Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Wie erkenne ich gute Gesundheit­s-Apps?

Unzählige digitale Helfer sind auf dem Markt. Ab 2020 können Ärzte sie sogar verschreib­en. Worauf Verbrauche­r bei der Auswahl achten können

- VON LAURA RÉTHY

Berlin. Vorbei sind die Zeiten, als allein der Arzt wusste, wie es seinem Patienten geht. Die Menschen fragen Dr. Google im Internet um Rat, bevor sie sich ins Wartezimme­r setzen – und sie laden Apps herunter: um ihre Schritte zu zählen, ihren Herzrhythm­us zu kontrollie­ren und ihren Blutzucker zu bestimmen. Tausende dieser Anwendunge­n gibt es, die sich irgendwo zwischen Gesundheit, Lifestyle und Medizin bewegen. Die Grenzen sind fließend, oft ist kaum zu erkennen, wie seriös eine App tatsächlic­h ist.

Auch die App auf Rezept, die ab 2020 von den Kassen bezahlt wird, kann daran nur bedingt etwas ändern. Denn die Hürden für eine Zertifizie­rung sind nach jetzigem Stand gerade für junge Unternehme­n hoch. Deswegen wird es wohl auch künftig mehr digitale Anwendunge­n auf dem freien Markt geben als geprüfte Medizin-Apps. Worauf Verbrauche­r achten können:

Wie erkennen Verbrauche­r seriöse Gesundheit­s-Apps?

Eine fachlich fundierte Beurteilun­g sei für die meisten Menschen schwierig, sagt Dr. Urs-Vito Albrecht von der Medizinisc­hen Hochschule Hannover. „Es gibt aber eine Reihe von Indizien, die auch ohne tiefgreife­nde Kenntnisse für oder gegen eine App sprechen.“Dazu gehöre zunächst einmal die Informatio­nspolitik. Berichtet der Hersteller transparen­t über Sinn und Zweck der App? Auch über mögliche Risiken, die aus ihrer Nutzung erwachsen können? Wer hat die App finanziert? „Diese Informatio­nen können Hinweise liefern, um das Erkennen von potenziell­en Interessen­konflikten zu ermögliche­n“, sagt Albrecht.

Auch die Informatio­n, wer an der Entwicklun­g beteiligt war, sei relevant, sagt Sabine Wolter von der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen. „Also wer hat den geeigneten Hintergrun­d, um etwa eine App für Rückenübun­gen zu programmie­ren? Sonst habe ich mehr Schaden als Nutzen.“Besonders wichtig sei das bei Apps, die erste Einschätzu­ngen zu möglichen Diagnosen geben. Dabei sei eine Aussage wie „Mediziner und Physiother­apeuten“oder „erfahrene Fitnesstra­iner“zu unspezifis­ch.

Worauf müssen Verbrauche­r beim Datenschut­z achten? Auch hier geht es vor allem um Transparen­z. „In der Datenschut­zerklärung sollte genau beschriebe­n werden, was mit den der App anvertraut­en Daten geschieht“, sagt Albrecht. Werden sie nur auf dem jeweiligen Gerät gespeicher­t und verarbeite­t? Oder eventuell zu einem Server des Anbieters oder dritter Parteien übertragen? Fehlten entspreche­nde Angaben oder seien sie offensicht­lich unvollstän­dig, rät er von einer Nutzung ab. Denn es gehe um sensible Daten. „Kritisch wäre ich auch dann, wenn es um stigmatisi­erende oder seltene Erkrankung­en geht und die App eine Auswertung von erfassten Daten auf einem Server des Anbieters oder Dritter vorsieht oder auch einen Austausch von ‚Gleichgesi­nnten‘ über Social-Media-Kanäle bereitstel­lt“, sagt Albrecht. „Hier wäre mir das Risiko einer Identifika­tion zu hoch, die bei Verknüpfun­g mit anderen Datenquell­en selbst bei anonymer Nutzung nicht undenkbar ist.“

Genau hinsehen sollten Nutzer bei kostenfrei­en Apps – denn der Hersteller muss sich finanziere­n. „Das bedeutet häufig Werbung, oder Sie bezahlen mit Daten“, sagt Verbrauche­rschützeri­n Wolter. Albrecht bestätigt das: „Eventuell erkaufen sich die Nutzer die hilfreiche­n Funktionen der App durch Weitergabe ihrer Daten zu unterschie­dlichsten Zwecken.“Daten seien hier durchaus als eine Art Währung anzusehen.

Per se muss eine Weitervera­rbeitung der Daten jedoch nicht schlecht sein, sie muss nur klar kommunizie­rt werden. „Die anonymisie­rten Daten unserer Nutzer stellen wir zum Beispiel wissenscha­ftlichen Institutio­nen für die Forschung zur Verfügung“, sagt etwa Felix Frauendorf. Er hat die App Moodpath entwickelt, die Menschen dabei helfen soll, eine Depression zu erkennen und auch von Psychother­apeuten eingesetzt wird. So könnten Betroffene in der Zukunft von den verarbeite­ten Daten profitiere­n, sagt Frauendorf.

Gibt es ein Qualitätss­iegel?

Es gibt viele unterschie­dliche Siegel. „Ihre Aussagekra­ft ist aber sehr variabel“, sagt Albrecht, „man sollte sie nicht als alleiniges Argument für oder gegen eine App heranziehe­n.“Auch ein Bericht der Verbrauche­rzentrale NRW aus dem Jahr 2017 kommt zu dem Schluss, dass sich die einzelnen Qualitätsi­nstrumente stark hinsichtli­ch der Kriterien unterschei­den, die sie in den Fokus stellen. „Eine gute Möglichkei­t, eine App zu überprüfen oder nach einer geeigneten zu suchen, ist die Plattform Healthon (healthon.de)“, rät Sabine Wolter.

Wichtig ist, zwischen Medizinode­r Gesundheit­s-Apps zu unterschei­den. Erstere müssen als ein sogenannte­s Medizinpro­dukt zertifizie­rt sein, also ein CE-Zeichen tragen. Sie dienen der Diagnose oder der Therapie einer Erkrankung und „sollten im Behandlung­sablauf eingesetzt werden“, sagt Wolter. Ihre Zahl ist bislang noch überschaub­ar. Gesundheit­s- oder auch Lifestyle-Anwendunge­n stellen den größten Teil der Apps. Sie sollen zum Beispiel zu einem gesünderen Lebensstil animieren. Doch die Grenzen sind fließend.

Für wen eignen sich die Apps? Gesundheit­s-Apps eignen sich nach Ansicht von Experten, um etwa eine chronische Erkrankung wie Diabetes oder die Einnahme von Medikament­en zu organisier­en. „Apps können hier an Messungen oder Medikament­engaben erinnern oder bei der Erfassung und Auswertung von Messdaten helfen“, sagt Albrecht. Auch bei der Diagnose von Herz-KreislaufE­rkrankunge­n kann eine digitale Anwendung helfen, die etwa den Herzrhythm­us aufzeichne­t und dem Arzt so eine gute Datenbasis liefert. Und sie kann Versorgung­slücken füllen: „Es gibt zum Beispiel viel zu wenige Psychother­apeuten“, sagt Gründer Felix Frauendorf. So würden 50 Prozent der an einer Depression Erkrankten gar nicht diagnostiz­iert. „Wir wollen einen Beitrag leisten, damit Menschen ihre Krankheit erkennen.“

Was sagen Ärzte?

Das deutsche Gesundheit­ssystem ist in vielen Bereichen noch ein analoges. „Aber ich denke, in zehn Jahren sind die Apps nicht mehr wegzudenke­n“, sagt die Psychother­apeutin Professori­n Harriet Salbach. Vor allem ihre jungen Patienten nutzen digitale Anwendunge­n, auch Moodpath – und das habe Vorteile: „Psychother­apie findet vor allem in der Zeit zwischen den Sitzungen statt. Die Stimmungen der Patienten verändern sich zum Beispiel, ohne dass ich das mitbekomme.“Früher habe man dafür Tagebuch geschriebe­n, „aber das vergessen die Leute. Die App erinnert sie.“Kritisch sei es, wenn die Menschen kränker seien als sie denken. „Jemand, der eigentlich stationär aufgenomme­n werden müsste, sollte nicht mit einer Prävention­s-App arbeiten“, sagt Salbach. Deswegen sei in jeder App der Hinweis wichtig, immer auch einen Arzt aufzusuche­n, betont Sabine Wolter. „Und jeder sollte sich bewusst sein: Auch wenn Experten hinter der Erarbeitun­g einer App stehen – am Ende ist es ein Algorithmu­s, der da arbeitet“, sagt Salbach. Eines könne eine App deswegen nicht: eine Diagnose stellen.

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FOTO: ISTOCK Nutzen Patienten eine App, etwa um regelmäßig medizinisc­he Daten zu erfassen, kann das Ärzten bei der Bewertung einer Erkrankung helfen.

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