Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Die Apostel politischer Moral sollten „auf dem Teppich“bleiben
Warum greifen Söder und andere Politiker die AfD und vor allem Höcke an? Ein Erklärungsversuch
Karl Riedel aus Weimar schreibt zum Beitrag „Söder gegen Höcke“:
Wer gegen die vom französischen Begründer der Massenpsychologe Gustave Le Bon erkannten Regeln verstößt, darf sich nicht wundern, wenn es zu einem „Rückschlageffekt“kommt. Dieser Effekt zeigte sich auch bei mir, als ich in der TLZ den Beitrag „Söder gegen Höcke“las und sofort erkannte: Hier wird vom bayerischen Ministerpräsidenten und CSUChef Wahlhilfe für die bedrängte Schwesterpartei in drei ostdeutschen Bundesländern geleistet. Ob diese Art von Hilfe wirklichen Nutzen erbringt, das wird sich bald zeigen.
Mir jedenfalls hat es auch als Nichtmitglied der AfD die Sprache verschlagen, wenn ich lesen musste, wie massiv ein bayerischer Spitzenpolitiker diese Partei angreift und sie quasi mit der profaschistischen NPD auf eine Stufe stellt. Wenn ein bekannter Hau-drauf-Politiker einen anderen rhetorisch vergleichbaren Konkurrenten so attackiert, erklärt sich das meines Erachtens weniger durch den trennenden politischen Standpunkt der beiden als durch das physikalische Gesetz, wonach „gleichnamige Pole“sich abstoßen.
Dass ein bisher wenig erfolgreicher Politiker wie Herr Lindner (FDP) mit aufsattelt und versucht, sich am (un)passenden Objekt AfD die Zähne zu wetzen, verwundert nicht.
Es scheint aber bemerkenswert, dass Söder und Lindner Vertreter eines alten Parteiensystems sind, das innen- und außenpolitisch die Deutungshoheit für sich beansprucht. Ich finde es fatal, dass in fast allen Fragen, die Deutschlands Interessen betreffen, „alt-bundesdeutsche“Standpunkte vertreten und – wenn erforderlich – mit Zähnen und Klauen verteidigt werden. Und diese Standpunkte sind es auch, die sich gegenwärtig in den meisten politischen Kommentaren und Kolumnen unserer Leitmedien widerspiegeln. Sei es die grundsätzliche Haltung gegenüber den USA, die Dauerkritik an Russland und das Werben um ausländische Neubürger – dies sind nur einige Beispiele: Sie alle verraten eines: Der Geist des kalten Krieges, seit Gorbatschows Perestroika und Deutschlands Wiedervereinigung eigentlich Geschichte, spukt in den Köpfen vieler gegenwärtig agierender Politiker und Meinungsmacher der „alten Schule“herum.
Was den Hauptvorwurf gegenüber der AfD betrifft, sie sei profaschistisch und antisemitisch, kurzgesagt „sittenwidrig“orientiert, halte ich für einen bösartigen Versuch, von der früheren postnazistischen Ära unter Adenauer abzulenken, also um einen vielleicht unbewussten „Wiedergutmachungs-Reflex“. Wer das „Braunbuch“(DDR-Staatsverlag 1965) und das jüngst erschienene Buch Jürgen Todenhöfers „Die Große Heuchelei“gelesen hat, kann sich über die aktuellen „WerteKapriolen“unserer politischen Vorreiter nur wundern. Mein Standpunkt: Die Apostel politischer Moral sollten „auf dem Teppich“bleiben und sich stattdessen darum bemühen, dass eine echte Wertegemeinschaft in Deutschland und Europa entsteht und sich ein spannungsarmes Miteinander in unserer Gesellschaft entwickelt.