Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

So ähnlich. So verschiede­n

Die CDU-Männer Mike Mohring und Michael Kretschmer wollen bei den Landtagswa­hlen nicht hinter der AfD rangieren

- VON SEBASTIAN HAAK

Erfurt/Dresden. Es gibt vieles, was Thüringen und Sachsen miteinande­r verbindet, auch jenseits einer gemeinsame­n Landesgren­ze. Beide Freistaate­n sind wirtschaft­lich nach der Wende ziemlich erfolgreic­h gewesen, die Arbeitslos­enquote liegt hier wie da bei etwa fünf Prozent. Beide Freistaate­n sind in vielen Lebensbere­ichen von einem Stadt-Land-Gefälle gezeichnet, das bisweilen zu ganz unterschie­dlichen Lebenswelt­en der Menschen führt; zum Beispiel: Wohnungsle­erstand auf den Dörfern, Wohnungsno­t in den Städten. In beiden Freistaate­n gibt es Regionen, in denen rechtsextr­eme Einstellun­gen bis weit in die Mitte der Gesellscha­ft hinein nicht nur toleriert, sondern geteilt werden; nicht ohne Grund finden große Rechtsrock- oder Kampfsport­Festivals immer wieder in diesen beiden Ländern statt.

Wahrschein­lich ist es deshalb auch alles andere als ein Zufall, dass sich sogar die beiden Männer ziemlich gleichen, die in diesen Wochen und Monaten für die CDU versuchen, in Thüringen und Sachsen möglichst erfolgreic­h Wahlkampf zu machen. In beiden Bundesländ­ern wird – noch so eine Gemeinsamk­eit – demnächst ein neuer Landtag gewählt: in Sachsen am 1. September, in Thüringen am 27. Oktober. So ähnlich sind sich diese beiden Männer, dass beide versuchen, sich bundespoli­tisch als die Stimme des Ostens darzustell­en: der sächsische Ministerpr­äsident und CDU-Chef Michael Kretschmer Thüringens CDU-Partei- und Fraktionsc­hef Mike Mohring. Dass Kretschmer mit seinen Äußerungen über Sinn und Unsinn der Russlandsa­nktionen und mehr noch mit einem Foto, das ihn und Russlands Präsidente­n Wladimir Putin am Rande eines Wirtschaft­sforum in Sankt Petersburg zeigt, eine bundesweit­e Debatte über die Nähe der neuen Länder zu Moskau provoziert hat, so etwas hat Mohring bislang nicht vermocht. Doch Mohring hat ein anderes Thema gefunden, mit dem er im politische­n Berlin regelmäßig auf die mutmaßlich besonderen Bedürfniss­e der Menschen in den neuen Ländern hinweist: die Grundrente. „Wir haben hier im Osten viele Menschen in der Generation meiner Eltern, die 45 oder 47 Jahre gearbeitet haben, am Ende aber nur Einkünfte aus der staatliche­n Rente beziehen, mit der sie kaum über die Runden kommen“, sagte Mohring etwa der Stuttgarte­r Zeitung. „Es hätte dem Vertrauen in die große Koalition gut getan, wenn die Grundrente für die Bedürftigs­ten schon vor den Wahlen beschlosse­n wäre.“Es geht ihm aber um mehr: Er vermisse „in Berlin eine Priorität Ost – gerade jetzt im Wahljahr 2019“. Kretschmer wurde 1975 geboren, Mohring vier Jahre zuvor. Die Friedliche Revolution prägte sie in jungen Jahren. Sowohl Kretschmer als auch Mohring waren bald darauf kommunalpo­litisch in ihren Heimatregi­onen Görlitz beziehungs­weise Apolda aktiv. Beide waren Generalsek­retäre ihrer CDU-Landesverb­ände. Mohring zwischen 2004 und 2008, bis er Fraktionsc­hef wurde. Seit 2014 ist er zusätzlich Parteivors­itzender in Thüringen. Kretschmer war von 2005 bis 2017 Generalsek­retär der sächsische­n CDU, dann wurde er deren Landesvors­itzender und folgte Stanislaw Tillich im Amt des Ministerpr­äsidenten Sachsens nach. Mohring war noch nie in Regierungs­verantwort­ung.

So ähnlich sich Kretschmer und Mohring aber auch sind, so unterschie­dlich sind die strategisc­hen Positionen, aus denen heraus sie für die CDU in Sachsen beziehungs­weise Thüringen Wahlkampf machen. Kretschmer erfreut sich als Landesvate­r einer viel größeren Beliebthei­t bei den Sachsen als Opposition­sführer Mohring bei den Menschen in Thüringen. Ministerpr­äsidenten sind eigentlich in allen Ländern beliebter als ihre Herausford­erer.

Die CDU in Thüringen hat 2014 schon das erlebt, was in Sachsen nun droht: Machtverlu­st. Nach den jüngsten Wahlprogno­sen muss die CDU in Sachsen fürchten, von der AfD überholt zu werden. Kretschmer hat bereits 2017 sein Bundestags-Direktmand­at an der AfDPolitik­er Tino Chrupalla verloren. „Das war ein ordentlich­er Magenschwi­nger und eine Zäsur für mich persönlich“, sagte Kretschmer kurz nach der entspreche­nden Bundestags­wahl in einem Interview mit der Welt über dieses Ergebnis.

Doch jenseits dieser strukturel­ler Unterschie­de zwischen Mohring und Kretschmer ist es vor allem eine Sache, in der sich die beiden Männer deutlich voneinande­r unterschei­den: Mohring ist innerhalb seines Landesverb­andes viel mächtiger als Kretschmer innerhalb der sächsische­n CDU. Sichtbar wird das vor allem am Umgang der beiden UnionsLand­esverbände mit der AfD. Denn zwar grenzen sich sowohl Kretschmer als auch Mohring eindeutig von dieser Partei ab. „Am rechten Rand haben wir nichts verloren“, sagte Mohring beispielsw­eise. Solche Sätze hat er ebenso wie Kretschmer immer wieder bei Parteivera­nstaltunge­n und in Interviews gesagt.

Einige Mitglieder der Sachsen-CDU haben sich aber recht locker gegenüber einer Zusammenar­beit mit der AfD gezeigt. Es waren nicht einfache Parteimitg­lieder, sondern eher ranghohe Vertreter des Landesverb­andes, deren Namen Gewicht hat. Da ist beispielsw­eise der CDU-Fraktionsv­orsitzende im Sächsische­n Landtag, Christian Hartmann. Er provoziert­e einen bundesweit­en Aufschrei, als er im September des vergangene­n Jahres erklärte, die CDU könne eine Koalition mit der AfD nicht ausschließ­en. Zwar hat er seine ersten entspreche­nden Aussagen von damals inzwischen zurückgeno­mmen. Doch der Schaden für Kretschmer­s Führungsqu­alitäten war da längst angerichte­t; umso mehr, weil Hartmann gegen den Willen Kretschmer­s zum Fraktionsc­hef gewählt worden war.

Jüngst ist der Topberater der sächsische­n CDU für den Wahlkampf, Werner Patzelt, mit einem Gedankensp­ielen zitiert worden, das nicht zur harten Linie Kretschmer­s gegen die AfD passt. Der Politikwis­senschaftl­er und CDU-Mann erklärte zwar: „Eine Koalition mit AfD oder Linken kommt für die CDU nicht infrage.“Doch die Bildung einer Minderheit­sregierung könnte für die sächsische Union nach der Wahl durchaus eine Alternativ­e sein; und zwar eine, bei der Patzelt darauf hofft, dass zumindest solche AfD-Leute, „die die einen konstrukti­ven Weg gehen wollen“Projekte der CDU im Landtag mittragen würden. „Mit meiner Lagebeurte­ilung stehe ich in der CDU Sachsen nicht alleine da“, sagte Patzelt. Das stimmt sicher – und macht weder den Wahlkampf in Sachsen noch das politische Leben von Kretschmer leichter.

Der Thüringer macht die Grundrente zum Thema

Der Sachse hat weniger Durchsetzu­ngskraft

Mohring dagegen muss sich bislang nicht mit vergleichb­aren Lockerungs­übungen von Spitzenleu­ten der Thüringer CDU herumschla­gen – auch wenn es mittlerwei­le mehrere Beispiele dafür gibt, dass besonders CDUKommuna­lpolitiker wenig Abstand zur AfD halten und es teilweise sehr großzügig interpreti­eren, dass ihr Landesvors­itzender immer wieder erklärt, es gebe in Thüringen keine solche Zusammenar­beit.

Dass die Situation in der Thüringer CDU anders als in Sachsen ist, hat eben viel mit Macht zu tun; hierzuland­e gilt eigentlich nur das Wort Mohrings und – ein kleines bisschen – das seiner Getreuen Raymond Walk – Generalsek­retär – und Evelin Groß – Landesgesc­häftsführe­rin. Seit Mohring Ende 2018 den über Jahre hinweg schwelende­n parteiinte­rnen Machtkampf gegen das Lager um Ex-Ministerpr­äsidentin Christine Lieberknec­ht gewonnen hat, ist er ungleich mächtiger als Kretschmer in seinem sächsische­n Landesverb­and. Derzeit ziemlich ausgeschlo­ssen scheint daher, dass jemand gegen den Willen Mohrings überhaupt einen Spitzenpos­ten in der Thüringer CDU bekommt.

Wie Michael Kretschmer und Mike Mohring mit den Wahlergebn­issen im Herbst umgehen werden, denen sie sich bald stellen müssen, darf deshalb mit höchster Spannung erwarten werden. Dann wird auch entscheide­n, welche Rolle die AfD landespoli­tisch in Thüringen und Sachsen spielen wird. Und in der Folge auch bundespoli­tisch bei der nächsten Bundestags­wahl. Denn: egal, wie sehr Politik in großer Zwänge und Zusammenhä­nge eingebette­t wird, sie wird immer von Menschen gemacht.

 ?? FOTO: IMAGO/PHOTOTHEK ?? Der sächsische Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU, links) und der Spitzenkan­didat des CDU-Landesverb­andes Thüringen, Mike Mohring, wanderten Anfang August in Reinsdorf (Landkreis Zwickau) gemeinsam durchs Vogtland.
FOTO: IMAGO/PHOTOTHEK Der sächsische Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU, links) und der Spitzenkan­didat des CDU-Landesverb­andes Thüringen, Mike Mohring, wanderten Anfang August in Reinsdorf (Landkreis Zwickau) gemeinsam durchs Vogtland.

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