Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
So ähnlich. So verschieden
Die CDU-Männer Mike Mohring und Michael Kretschmer wollen bei den Landtagswahlen nicht hinter der AfD rangieren
Erfurt/Dresden. Es gibt vieles, was Thüringen und Sachsen miteinander verbindet, auch jenseits einer gemeinsamen Landesgrenze. Beide Freistaaten sind wirtschaftlich nach der Wende ziemlich erfolgreich gewesen, die Arbeitslosenquote liegt hier wie da bei etwa fünf Prozent. Beide Freistaaten sind in vielen Lebensbereichen von einem Stadt-Land-Gefälle gezeichnet, das bisweilen zu ganz unterschiedlichen Lebenswelten der Menschen führt; zum Beispiel: Wohnungsleerstand auf den Dörfern, Wohnungsnot in den Städten. In beiden Freistaaten gibt es Regionen, in denen rechtsextreme Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein nicht nur toleriert, sondern geteilt werden; nicht ohne Grund finden große Rechtsrock- oder KampfsportFestivals immer wieder in diesen beiden Ländern statt.
Wahrscheinlich ist es deshalb auch alles andere als ein Zufall, dass sich sogar die beiden Männer ziemlich gleichen, die in diesen Wochen und Monaten für die CDU versuchen, in Thüringen und Sachsen möglichst erfolgreich Wahlkampf zu machen. In beiden Bundesländern wird – noch so eine Gemeinsamkeit – demnächst ein neuer Landtag gewählt: in Sachsen am 1. September, in Thüringen am 27. Oktober. So ähnlich sind sich diese beiden Männer, dass beide versuchen, sich bundespolitisch als die Stimme des Ostens darzustellen: der sächsische Ministerpräsident und CDU-Chef Michael Kretschmer Thüringens CDU-Partei- und Fraktionschef Mike Mohring. Dass Kretschmer mit seinen Äußerungen über Sinn und Unsinn der Russlandsanktionen und mehr noch mit einem Foto, das ihn und Russlands Präsidenten Wladimir Putin am Rande eines Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg zeigt, eine bundesweite Debatte über die Nähe der neuen Länder zu Moskau provoziert hat, so etwas hat Mohring bislang nicht vermocht. Doch Mohring hat ein anderes Thema gefunden, mit dem er im politischen Berlin regelmäßig auf die mutmaßlich besonderen Bedürfnisse der Menschen in den neuen Ländern hinweist: die Grundrente. „Wir haben hier im Osten viele Menschen in der Generation meiner Eltern, die 45 oder 47 Jahre gearbeitet haben, am Ende aber nur Einkünfte aus der staatlichen Rente beziehen, mit der sie kaum über die Runden kommen“, sagte Mohring etwa der Stuttgarter Zeitung. „Es hätte dem Vertrauen in die große Koalition gut getan, wenn die Grundrente für die Bedürftigsten schon vor den Wahlen beschlossen wäre.“Es geht ihm aber um mehr: Er vermisse „in Berlin eine Priorität Ost – gerade jetzt im Wahljahr 2019“. Kretschmer wurde 1975 geboren, Mohring vier Jahre zuvor. Die Friedliche Revolution prägte sie in jungen Jahren. Sowohl Kretschmer als auch Mohring waren bald darauf kommunalpolitisch in ihren Heimatregionen Görlitz beziehungsweise Apolda aktiv. Beide waren Generalsekretäre ihrer CDU-Landesverbände. Mohring zwischen 2004 und 2008, bis er Fraktionschef wurde. Seit 2014 ist er zusätzlich Parteivorsitzender in Thüringen. Kretschmer war von 2005 bis 2017 Generalsekretär der sächsischen CDU, dann wurde er deren Landesvorsitzender und folgte Stanislaw Tillich im Amt des Ministerpräsidenten Sachsens nach. Mohring war noch nie in Regierungsverantwortung.
So ähnlich sich Kretschmer und Mohring aber auch sind, so unterschiedlich sind die strategischen Positionen, aus denen heraus sie für die CDU in Sachsen beziehungsweise Thüringen Wahlkampf machen. Kretschmer erfreut sich als Landesvater einer viel größeren Beliebtheit bei den Sachsen als Oppositionsführer Mohring bei den Menschen in Thüringen. Ministerpräsidenten sind eigentlich in allen Ländern beliebter als ihre Herausforderer.
Die CDU in Thüringen hat 2014 schon das erlebt, was in Sachsen nun droht: Machtverlust. Nach den jüngsten Wahlprognosen muss die CDU in Sachsen fürchten, von der AfD überholt zu werden. Kretschmer hat bereits 2017 sein Bundestags-Direktmandat an der AfDPolitiker Tino Chrupalla verloren. „Das war ein ordentlicher Magenschwinger und eine Zäsur für mich persönlich“, sagte Kretschmer kurz nach der entsprechenden Bundestagswahl in einem Interview mit der Welt über dieses Ergebnis.
Doch jenseits dieser struktureller Unterschiede zwischen Mohring und Kretschmer ist es vor allem eine Sache, in der sich die beiden Männer deutlich voneinander unterscheiden: Mohring ist innerhalb seines Landesverbandes viel mächtiger als Kretschmer innerhalb der sächsischen CDU. Sichtbar wird das vor allem am Umgang der beiden UnionsLandesverbände mit der AfD. Denn zwar grenzen sich sowohl Kretschmer als auch Mohring eindeutig von dieser Partei ab. „Am rechten Rand haben wir nichts verloren“, sagte Mohring beispielsweise. Solche Sätze hat er ebenso wie Kretschmer immer wieder bei Parteiveranstaltungen und in Interviews gesagt.
Einige Mitglieder der Sachsen-CDU haben sich aber recht locker gegenüber einer Zusammenarbeit mit der AfD gezeigt. Es waren nicht einfache Parteimitglieder, sondern eher ranghohe Vertreter des Landesverbandes, deren Namen Gewicht hat. Da ist beispielsweise der CDU-Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag, Christian Hartmann. Er provozierte einen bundesweiten Aufschrei, als er im September des vergangenen Jahres erklärte, die CDU könne eine Koalition mit der AfD nicht ausschließen. Zwar hat er seine ersten entsprechenden Aussagen von damals inzwischen zurückgenommen. Doch der Schaden für Kretschmers Führungsqualitäten war da längst angerichtet; umso mehr, weil Hartmann gegen den Willen Kretschmers zum Fraktionschef gewählt worden war.
Jüngst ist der Topberater der sächsischen CDU für den Wahlkampf, Werner Patzelt, mit einem Gedankenspielen zitiert worden, das nicht zur harten Linie Kretschmers gegen die AfD passt. Der Politikwissenschaftler und CDU-Mann erklärte zwar: „Eine Koalition mit AfD oder Linken kommt für die CDU nicht infrage.“Doch die Bildung einer Minderheitsregierung könnte für die sächsische Union nach der Wahl durchaus eine Alternative sein; und zwar eine, bei der Patzelt darauf hofft, dass zumindest solche AfD-Leute, „die die einen konstruktiven Weg gehen wollen“Projekte der CDU im Landtag mittragen würden. „Mit meiner Lagebeurteilung stehe ich in der CDU Sachsen nicht alleine da“, sagte Patzelt. Das stimmt sicher – und macht weder den Wahlkampf in Sachsen noch das politische Leben von Kretschmer leichter.
Der Thüringer macht die Grundrente zum Thema
Der Sachse hat weniger Durchsetzungskraft
Mohring dagegen muss sich bislang nicht mit vergleichbaren Lockerungsübungen von Spitzenleuten der Thüringer CDU herumschlagen – auch wenn es mittlerweile mehrere Beispiele dafür gibt, dass besonders CDUKommunalpolitiker wenig Abstand zur AfD halten und es teilweise sehr großzügig interpretieren, dass ihr Landesvorsitzender immer wieder erklärt, es gebe in Thüringen keine solche Zusammenarbeit.
Dass die Situation in der Thüringer CDU anders als in Sachsen ist, hat eben viel mit Macht zu tun; hierzulande gilt eigentlich nur das Wort Mohrings und – ein kleines bisschen – das seiner Getreuen Raymond Walk – Generalsekretär – und Evelin Groß – Landesgeschäftsführerin. Seit Mohring Ende 2018 den über Jahre hinweg schwelenden parteiinternen Machtkampf gegen das Lager um Ex-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht gewonnen hat, ist er ungleich mächtiger als Kretschmer in seinem sächsischen Landesverband. Derzeit ziemlich ausgeschlossen scheint daher, dass jemand gegen den Willen Mohrings überhaupt einen Spitzenposten in der Thüringer CDU bekommt.
Wie Michael Kretschmer und Mike Mohring mit den Wahlergebnissen im Herbst umgehen werden, denen sie sich bald stellen müssen, darf deshalb mit höchster Spannung erwarten werden. Dann wird auch entscheiden, welche Rolle die AfD landespolitisch in Thüringen und Sachsen spielen wird. Und in der Folge auch bundespolitisch bei der nächsten Bundestagswahl. Denn: egal, wie sehr Politik in großer Zwänge und Zusammenhänge eingebettet wird, sie wird immer von Menschen gemacht.