Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Wir fordern keine Hilfe vom Staat“
Überproduktion bei Bio-Getreide drückt die Preise. Ernte fällt schlechter aus, sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied
Berlin. Joachim Rukwied sieht seinen Beruf als Berufung. Mit Freude ist er Landwirt und setzt sich zugleich seit sieben Jahren für die Interessen der Bauern ein. Über die Herausforderungen der Branche durch den Klimawandel, über Ökolandbau, Höfesterben und Nutztierhaltung sprach unsere Redaktion mit dem Präsidenten des Deutschen Bauernverbands.
Herr Rukwied, wie reagieren die Landwirte auf Hitze, Starkregen und Dürre? Sind das noch Wetterkapriolen, oder ist das schon der Klimawandel? Joachim Rukwied: Wir spüren die Wetterveränderungen seit längerer Zeit. Hitzeperioden nehmen zu, ebenso längere Regenperioden. In meiner Jugend ging die Weinlese noch bis Anfang November. 2018 waren wir Winzer schon im September fertig, dieses Jahr vielleicht Mitte Oktober. Statistisch gesehen beginnt die Ernte elf bis 14 Tage früher. Im Ackerbau wird deshalb versucht, Pflanzensorten zu züchten, die widerstandsfähiger gegen Trockenheit und Hitze sind. Aber das dauert 15 bis 20 Jahre.
Wie fällt die Ernte in diesem Jahr aus?
Die Ernte in diesem Jahr ist unterdurchschnittlich, wobei es starke Schwankungen je nach Region gibt. Im Großraum Leipzig und Sachsen-Anhalt gibt es beispielsweise sehr hohe Ertragsausfälle. Regionen im Nordwesten, in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern sind ebenfalls betroffen. Südlich der Schwäbischen Alb und im südlichen Bayern gab es in der Regel gute Erträge.
Brauchen Sie erneut Staatshilfe?
Eindeutig nein – wir fordern keine finanzielle Hilfe vom Staat. Was wir fordern, ist die Einführung einer steuerfreien Risikoausgleichsrücklage, um in guten Jahren Reserven für schlechte Jahre bilden zu können. Außerdem diskutieren wir Versicherungslösungen für dürrebedingte Ernteausfälle. Hierfür ist jedoch eine Anschubfinanzierung durch den Bund oder die Länder erforderlich.
Waren die Dürrehilfen nach dem Sommer 2018 eine sinnvolle Maßnahme?
Die Landwirte, die Dürrehilfen bekommen haben, waren sehr froh darüber. Das Geld hat den Fortbestand ihrer Betriebe ermöglicht.
Von Milchkrise oder Klagen über Schweinezüchter ist derzeit wenig zu hören. Wie ist die wirtschaftliche Lage der Landwirte?
Die Situation ist nach wie vor angespannt. Die Investitionstätigkeit ist rückläufig, auch wegen der Unsicherheit über die künftige Agrarpolitik. Nur noch 28 Prozent der Betriebe wollen in den nächsten sechs Monaten investieren. Die Unternehmensgewinne sind in vielen Betrieben rückläufig. Im Bereich Schweinemast haben sich nach langer Durststrecke die Preise wieder stabilisiert. Bei der Milch haben wir eine Seitwärtsbewegung – einen drei bis vier Cent höheren Milchpreis würden wir uns schon wünschen. Die Preise für Getreide sind deutlich unter Vorjahresniveau.
Müssen viele Höfe dichtmachen?
Der Strukturwandel in der Landwirtschaft ist sehr stark durch den Generationswechsel bedingt, aber heute geringer als vor 15 Jahren. Damals ging die Zahl der Betriebe um etwa drei Prozent im Jahr zurück. Heute liegen wir bei den von der amtlichen Statistik erfassten Betrieben bei 1,6 Prozent. 2018 hatten wir 266.700 landwirtschaftliche Betriebe, 3100 weniger als 2017. Der Nachwuchs übernimmt nicht mehr selbstverständlich die Nachfolge.
Die Bundesregierung will 20 Prozent Ökolandbau bis 2030. Ist das Ziel erreichbar?
Wir als Bauernverband sind offen dafür. Die Umstellung auf Ökolandbau ist eine unternehmerische Entscheidung des Bauers oder der Bäuerin, und wir freuen uns, wenn sich der Sektor gut entwickelt. Über den Erfolg wird letztlich an der Ladentheke entschieden. In den vergangenen beiden Jahren gab es einen Wandel und erstmals Überangebote, die die Preise unter Druck gesetzt haben. Beispielsweise gab es in Brandenburg im Juli noch 50.000 Tonnen Bio-Roggen aus der Ernte 2018, die nicht verkauft waren.
Müsste die Schweinezucht in Deutschland aus Gründen des Klimaschutzes gedeckelt werden?
Von einer verordneten Obergrenze halten wir nichts. Wir Bauern haben uns 2018 das Ziel gesetzt, den Treibhausgasausstoß bis 2030 um 30 Prozent zu reduzieren. Manchmal stehen sich aber auch die Interessen von Tierschutz und Umweltschutz diametral entgegen. So wäre es zur Luftreinhaltung und für das Klima das Beste, wir würden die Ställe komplett geschlossen halten. Aus Tierschutzgründen ist es aber sinnvoll, gerade bei Kühen, offene Ställe zu haben. Hier müssen wir Kompromisse finden. Bei der Milchproduktion liegt der Treibhausgasausstoß hierzulande bereits rund 25 Prozent niedriger als in anderen Industriestaaten.
Bayer muss sich wegen des möglicherweise krebserregenden Pflanzenschutzmittels Glyphosat verantworten. Sollte Glyphosat auf deutschen Äckern verboten werden? Nein. Wenn ein Landwirt mit einem bodenschonenden Mulch- oder Direktsaatverfahren seinen Acker bearbeiten will, ist Glyphosat in manchen Situationen unverzichtbar. Es bietet beispielsweise die Möglichkeit, ein Feld nach einem nassen, frostfreien Winter von einem dichten Zwischenfruchtbestand – der normalerweise bei Frost abfriert – zu befreien, ohne dabei den Erosionsschutz zu zerstören. Eine echte Alternative bei Mulchsaatverfahren gibt es nicht. In Deutschland setzen wir Glyphosat nur selten ein – nicht auf jedem Feld und nicht in jedem Jahr.
Die Hühner-Aufzucht ist seit Jahren in der Kritik. Wann wird das Kükenschreddern endlich beendet?
Ich sehne den Tag herbei, wo dieses Thema Geschichte ist. Noch fehlt es aber an praktikablen Lösungen.