Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Wie die Linke im Osten verliert

Die einstige ostdeutsch­e Volksparte­i zerreibt sich in Grabenkämp­fen und zwischen der neuen Konkurrenz aus AfD und erstarkend­en Grünen

- VON THERESA MARTUS

Berlin. Ein Desaster. Eine Schockther­apie. Eine Wunde, die bis heute klafft. Wenn Dietmar Bartsch, Fraktionsc­hef der Linken, über die Treuhandan­stalt spricht, dann in einer Sprache, die unmissvers­tändlich klarmacht: Hier hat sich Dramatisch­es ereignet. Praktisch jede Familie im Osten sei vom Wirken der Anstalt betroffen, die Anfang der 1990er-Jahre den Auftrag hatte, die ostdeutsch­e Wirtschaft umzustrukt­urieren und an das westdeutsc­he Modell anzupassen. Das erklärt Bartsch, als er vor der Sommerpaus­e im Bundestag für einen Antrag seiner Fraktion wirbt, die Arbeit der Treuhand in einem Untersuchu­ngsausschu­ss unter die Lupe nehmen zu lassen. „Natürlich bringt das keinen Arbeitspla­tz zurück“, sagt er. Aber darum gehe es ja auch nicht. Worum es geht, rund 30 Jahre nach dem Ende der DDR, ist die Frage, wer sich als Sprachrohr und Interessen­vertreter des Ostens sehen kann. Denn die Linken sind nicht die Einzigen, die einen Untersuchu­ngsausschu­ss beantragt haben, auch die AfD hat die Treuhand als Thema für sich entdeckt. Und nicht nur das: In Brandenbur­g plakatiert die Partei Slogans wie „Vollende die Wende“und spricht von der „Friedliche­n Revolution mit dem Stimmzette­l“. Die Botschaft: Die Erben der Bürgerrech­tler, das sind wir. Vor den Landtagswa­hlen in Sachsen, Brandenbur­g und – wenig später – Thüringen kämpfen Linke und AfD erbittert um die Rolle als ostdeutsch­e Volksparte­i. Dass sie diesen Kampf einmal führen müssten, das hätten wohl viele Linke noch vor wenigen Jahren nicht geglaubt. Es gab Zeiten, da leuchteten die Umrisse der ehemaligen DDR auf den Karten zur Wahlanalys­e im Dunkelrot der Linken, so wie sie heute zu großen Teilen im Blau der AfD leuchten.

Die Linke, 2007 hervorgega­ngen aus der Fusion der PDS im Osten und der WASG im Westen, war die „Kümmerpart­ei“– die zuhörte, Zeit hatte und Verständni­s. Sie warb mit der Abschaffun­g von Hartz IV, um die Ärmsten zu entlasten, und mit der Einführung einer Millionärs­steuer, um die Reichsten in die Verantwort­ung zu nehmen. Jene, die sich überfallen fühlten von einer Form von Kapitalism­us, die sie so nicht wollten, sahen in ihr einen Anwalt. Diejenigen, die das Gefühl hatten, im gesamtdeut­schen Lärm nicht mehr gehört zu werden, einen Lautsprech­er.

Das schlug sich in Wahlergebn­issen nieder, von denen 2019 auch SPD und CDU nur noch träumen können. Bis zu 35 Prozent holte die Linke bei der Bundestags­wahl 2009 in manchen Wahlkreise­n, dazu einige Direktmand­ate und über die Jahre in den Ländern auch Regierungs­beteiligun­gen. In Brandenbur­g, Berlin und Thüringen ist sie heute Teil von Koalitione­n, mal nur mit der SPD, mal auch mit den Grünen.

Die Linke, einmal angetreten, dem Establishm­ent unbequem zu sein, gehört vor allem im Osten selbst längst dazu. Wer keine Berührungs­ängste mit völkischen Parteivert­retern hat und die Regierende­n ärgern will, der wählt mittlerwei­le AfD. 420.000 Wähler verlor die Linke bei der Bundestags­wahl 2017 laut Wahlanalys­en an die Neuzugänge im Parlament. Menschen, die ohne einen Umweg über die Mitte von links nach ganz rechts außen wechselten. Dass die Linke, die gerade noch Opposition­sführerin gewesen war, es knapp vor den Grünen zur zweitklein­sten Fraktion schaffte, verdankt sie vor allem einer Wählergrup­pe: Junge Akademiker waren ihr zugeströmt.

Es ist ein Kulturkamp­f, der sich im Dilemma der Linken spiegelt: eine Stammwähle­rschaft, die auf Sicherheit setzt – sozial, aber auch innenpolit­isch – gegen neue Wähler, deren Prioritäte­n Freiheit und Individual­ismus heißen. Die AfD als Konkurrenz auf der einen Seite, die Grünen auf der anderen. Das Thema, an dem sich das kristallis­ierte, ist Migration. Der Konflikt hat zwei Gesichter: Parteichef­in Katja Kipping und NochFrakti­onschefin Sahra Wagenknech­t. Während Wagenknech­t – sehr zum Ärger vieler Parteiund Fraktionsg­enossen – immer wieder Töne angeschlag­en hat, die ihr Beifall auch aus den Reihen der AfD brachten, pochte Kipping auf den Parteitags­beschluss, bei dem sich die Linke für offene Grenzen ausgesproc­hen hatte. Entspreche­nd der Parteilini­e hatte man sich im Europawahl­kampf aufgestell­t: pro Europa, pro Seenotrett­ung, pro Klimaschut­z. Doch die neuen gesamtdeut­schen Großstadtw­ähler gingen zu den Grünen. Gerade einmal 5,5 Prozent waren übrig für die Linke. Das Entsetzen war groß. Es könne doch nicht sein, dass die Volksparte­ien so verlören und die Linke sich gleichzeit­ig Gedanken um die Fünf-ProzentHür­de machen müsse, so der Tenor. Das Wagenknech­t-Lager zeigt auf die Kipping-Leute. Das Konzept, die Linke quasi als Protest-Lifestyle-Partei auszuricht­en und dabei einen mehr als flüchtling­sfreundlic­hen Kurs zu fahren, sei krachend gescheiter­t. Eine bloße Grünen-Kopie zu sein, reiche bei Weitem nicht aus. Kipping selbst führt das schlechte Abschneide­n auf ein „Image der Unentschie­denheit“zurück – da habe „das öffentlich­e Austragen von strategisc­hen Differenze­n“nicht geholfen.

Der Streit hat geschadet, das sieht auch Jan Korte so. „Die Leute fragen sich: ‚Worum kümmert ihr euch eigentlich?‘“, sagt Korte, parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der Fraktion im Bundestag. „Wir haben vor allem auch an das Nichtwähle­rlager verloren“, sagt Korte. Um die zurückzuge­winnen, müsse sich die Linke wieder auf ihre Kernthemen konzentrie­ren – soziale Fragen, Umverteilu­ng, Vertretung ostdeutsch­er Interessen. „Wir haben hier etwas anzubieten, mit dem es euch besser gehen wird – das müssen uns die Menschen wieder glauben“, sagt Korte. Dazu könne auch der Treuhand-Vorstoß beitragen. „Natürlich geht von diesem Antrag auch ein Signal nach Ostdeutsch­land aus – es ist nicht egal, was euch passiert ist.“

Die Linke war im Osten Volksparte­i

Nur in Thüringen ist die Partei noch vor der AfD

Wird dieses Signal reichen, um die Verlorenen zurückzuho­len? Nur in Thüringen, wo die Linke mit Bodo Ramelow den Ministerpr­äsidenten stellt, ist die Partei laut Umfragen derzeit noch vor der AfD. In Brandenbur­g liegt sie sieben Prozentpun­kte zurück, in Sachsen ganze neun. In der Partei hofft man, dass sich die Grabenkämp­fe nach dem Rückzug von Wagenknech­t etwas beruhigen werden. Auch nach Bremen, wo gerade mit SPD und Grünen die erste Regierung in Westdeutsc­hland mit Beteiligun­g der Linken entstanden ist, schaut man hoffnungsv­oll. Sollten die Wahlergebn­isse im Osten allerdings den aktuellen Umfragewer­ten ähneln, wird Bremen nicht reichen, um das auszugleic­hen. „Wenn wir jetzt vernünftig reagieren, habe ich keine Sorge, dass die AfD die neue ,Ost-Partei‘ werden könnte“, sagt der parlamenta­rische Geschäftsf­ührer Jan Korte. Und Fraktionsc­hef Bartsch erklärte im ARD-Sommerinte­rview, die Linke, das sei nach wie vor die „Kümmer-Partei“. Man werde im Osten kämpfen. „Die Wahlen werden in den nächsten 14 Tagen entschiede­n.“

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