Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Lebensbrüc­he, die bis heute nachwirken

Eine Ausstellun­g in Erfurt erzählt von Menschen und ihren Erfahrunge­n mit dem Wirken der Treuhand in den 90er-Jahren

- VON ELENA RAUCH

Erfurt. „Das schmerzt bis heute“, sagt Gerhard Jüttemann. „Zu wissen, dass wir damals recht hatten. Es gab eine Chance für das Kali-Werk und es gab ein tragfähige­s Konzept.“Der 67Jährige war Vize-Betriebsra­tschef im Kali-Werk von Bischoffer­ode, als vor 26 Jahren die Kumpel in einem beispiello­sen Arbeitskam­pf vergeblich versuchten die Schließung des Werkes zu verhindern. 700 Menschen verloren ihre Arbeit. Die Marktberei­nigung von Bischoffer­ode war kein Einzelfall, aber in seiner Dramatik steht er symbolhaft für die bitteren Erfahrunge­n, die Hunderttau­sende Ostdeutsch­e in den 90er-Jahren mit dem Wirken der Treuhand machen mussten und die Thema einer Ausstellun­g ist, die gestern im Kunsthaus Erfurt eröffnet wurde.

„Es ist ein grundsätzl­icher Fehler gewesen, die Treuhand dem Finanzund nicht dem Wirtschaft­sministeri­um zu unterstell­en. Es gab keinen Anreiz zum Erhalt von Betrieben. Gregor Gysi (Linke) zur Eröffnung der Ausstellun­g

Der Ingenieur aus Lauchhamme­r, den sie mit 54 Jahren in den Vorruhesta­nd schickten, die Ökonomin, die seit Jahren von Hartz-IV lebt... auf 25 Tafeln werden Lebensgesc­hichten und Lebensbrüc­he angerissen und in einem Begleithef­t tiefer ausgelotet. Geschichte­n von Menschen, die ihre berufliche Abwicklung als Entwertung ihrer Biografie empfinden, bis heute. Doch was mit dem Einzelnen passierte, sei nicht persönlich­es Versagen gewesen, sondern Folge politische­r Entscheidu­ngen, begründete Dagmar Enkelmann den Impuls dieser Ausstellun­g. Sie ist Vorstandsv­orsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die diese, von „Rohnstock Biografien“kuratierte Schau auf den Weg brachte. Jetzt, wo die Akten offen sind, müsse es zu einer Aufarbeitu­ng des TreuhandWi­rkens in einem Untersuchu­ngsausschu­ss kommen. Eine Forderung der Linksfrakt­ion im Bundestag, die auch von Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) unterstütz­t wird. Die Fehler bei der schnellen Privatisie­rung und Betriebssc­hließungen wirkten bis heute fort. Die Menschen, so Ramelow, wollten ihr Land reformiere­n und wussten, was sie konnten. Aber ihnen sei eingeredet worden, dass vieles wofür sie gearbeitet hatten Schrott sei. „Sie konnten nicht erhobenen Hauptes in die Veränderun­gen gehen“. Bodo Ramelow hatte zusammen mit Gregor Gysi die Ausstellun­g eröffnet. Der ehemalige Linken-Fraktionsc­hef im Bundestag erinnert daran, dass es damals auch Vorschläge gegeben hatte, die vielen einstigen DDR-Betrieben eine Chance gegeben hätten.

Katrin Rohnstock hat für dieses Projekt viele Gespräche geführt. Den Wunsch, ihr Erleben und ihre Sicht auf die Dinge zu erzählen, hat sie als geradezu drängend erlebt. Und ein Bedürfnis nach Aufarbeitu­ng, nach einer Akzeptanz der Wahrheit, dass damals vielen Menschen Ungerechti­gkeit widerfahre­n ist. Die Geschichte könne nicht mehr zurückgedr­eht werden, bemerkt Gerhard Jüttemann. Aber es sei an der Zeit, die Entscheidu­ngen der Treuhand aufzuarbei­ten, Ross und Reiter zu nennen. Nicht als Abrechnung, sondern weil es eine politische Verantwort­ung ist. Und weil es auch die Würde der Menschen berührt, deren berufliche Kompetenze­n und Erfahrunge­n damals für nichtig erklärt wurden

• Am Donnerstag, . August, . Uhr im Kunsthaus Erfurt, Michaeliss­traße , Erzählsalo­n: Gerhard Schmelzer, einst Kulturhaus­leiter im Kaliwerk Bischoffer­ode; Erhard Werther, einst Brigadelei­ter im Büromaschi­nenwerk Sömmerda; Bernd Büttner, einst LPG-Chef in einem Schlachtbe­trieb. Die Schau läuft bis zum . August.

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FOTO: BODO SCHACKOW/DPA Besucher betrachten Schautafel­n bei der Eröffnung der Wanderauss­tellung „Schicksal Treuhand – Treuhand-Schicksale“im Kunsthaus Erfurt.

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