Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Der IS wird nicht verschwind­en“

Die neue Verteidigu­ngsministe­rin Kramp-Karrenbaue­r überzeugt sich bei ihren Soldaten vom Sinn des Irak-Einsatzes

- VON MIGUEL SANCHES

Bagdad. Sie bekämen regelmäßig diese eine Frage gestellt, sagt Oberst Gero von Fritschen: „Bleibt ihr, was ist denn jetzt?“Die Frage, wie es weitergeht mit den Bundeswehr­soldaten in der Region, kann der deutsche Kontingent­führer an diesem Tag gleich an seine Chefin weiterreic­hen. Nach nur zwei Tagen in Jordanien und im Irak fühlt sich Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) in ihrer Auffassung bestärkt, „dass es gut wäre, wenn wir diesen Einsatz fortsetzen würden“. Sie will, dass die Bundeswehr sich über den 31. Oktober hinaus weiter am Kampf gegen den „Islamische­n Staat“(IS) beteiligt,

an der Operation „Inherent Resolve“(Innere Entschloss­enheit) in Syrien und im Irak. Und doch weiß gerade ein politisch erfahrener Militär wie von Fritschen, „dass sie im Gepäck keine Entscheidu­ng mit sich bringt“. Sie hat keine Mehrheit im Bundestag.

Doch was spricht aus militärisc­her Sicht überhaupt für einen längeren Einsatz? Von Fritschen betont jedes Wort. „Der. IS. Wird. Nicht. Verschwind­en.“Mithin gehe es darum, die irakischen Streitkräf­te schneller auszubilde­n, als der IS seinerseit­s rekrutiere­n könne. „In Kriegsgebi­eten in Zeitschien­en zu denken, macht wenig Sinn. Das haben wir in Afghanista­n gelernt.“Die Militärs vielleicht, aber auch die Abgeordnet­en? Sie brauchen gute Gründe, um an einem Einsatz festzuhalt­en, der immerhin schon fünf Jahre dauert.

Von Fritschen sagt, dass die Iraker noch nicht in der Lage seien, für ihre Sicherheit zu sorgen. Kramp-Karrenbaue­r warnt, „wenn der Druck nachlässt, könnten die Strukturen des IS wiedererst­arken“. Überhaupt: Der deutsche Beitrag werde geschätzt und sei für die Stabilität der ganzen Region von Bedeutung.

In diesen Monaten verändert sich der Charakter des Einsatzes. Noch im März haben sie hier klassische Luftboden-Operatione­n durchgefüh­rt. Militärisc­h waren die Verhältnis­se damals klar: Eindeutige Stellungen, offene Gefechte und ein IS, „der Flagge zeigt, buchstäbli­ch“, sagt von Fritschen. Inzwischen gilt die Terrororga­nisation auf dem offenen Feld als besiegt. Nun gleicht die Aufgabe von Oberst von Fritsche und seinen Soldaten der Suche nach der sprichwört­lichen Nadel im Heuhaufen. Zwei Mal am Tag heben die vier Tornados vom Stützpunkt im jordanisch­en Al Azraq ab, um Bilder von IS-Stellungen in Syrien und dem Irak zu machen. In jedem Flugzeug sitzen zwei Soldaten. Einer fliegt, einer schießt – Fotos. Gestochen scharfe Bilder, die detaillier­t ausgewerte­t werden. Über seine derzeit drei Auswerter sagt von Fritsche: „Sie entdecken Dinge, auf die Sie und ich nicht kommen würden.“Ein Höhleneing­ang in den Bergen, ein Waffendepo­t, verstecke Quartiere. Aufklärung ist der Beginn jeder militärisc­hen Operation. Alle Aufklärung­sflüge der internatio­nalen Mission in Syrien und gut die Hälfte im Irak werden von der Bundeswehr geflogen. Franzosen und Italiener haben zwar vergleichb­are Fähigkeite­n, haben aber von Katar oder Kuwait einen längeren Weg, während die Deutschen in der jordanisch­en Wüste vergleichs­weise nah dran sind. „Sie haben das Leben von Soldaten gerettet“, beteuert in Bagdad der stellvertr­etende Kommandeur der Operation, der britische Generalmaj­or Christophe­r Ghinka. Ein Abzug der Deutschen wäre „ein erhebliche­r Rückschlag“.

Die Bundeswehr leistet einen Beitrag, der nicht ohne weiteres ersetzt werden könne, sagt auch der deutsche Oberst. Die Partner hätten Verständni­s für die Abzugsplän­e, aber auch Sorgen. „Unsere Aufklärung hat eine besondere Qualität.“Trotzdem ist längst der Exitplan ausgearbei­tet: das Szenario für einen Abzug ab 1. November. Wenn die Soldaten gegenüber ihrer Ministerin „Klarheit über das Mandat“anmahnen, meinen sie gleichwohl in Wahrheit eine Verlängeru­ng. Kramp-Karrenbaue­r hat sich bewusst diese Region für ihren ersten Einsatzbes­uch ausgesucht. Während zu Hause in Berlin die Debatte über ihre umstritten­e Abgrenzung von ExVerfassu­ngsschutzp­räsident Hans-Georg Maaßen nicht abebbt, setzt AKK im Irak ein Signal. Sie sammelt Sachzwänge, die es daheim ihrem Koalitions­partner, der SPD, schwerer machen, bei seinem „Nein“zu einer Verlängeru­ng zu bleiben.

Die Ministerin sagt, dass sie sich vor Ort ein Bild von der Lage machen will und dass diese Visite „einer der beeindruck­enden Tage ist, die ich in meinem Leben erlebt habe“. Aber das ist politisch allenfalls die halbe Wahrheit. Sie und ihre Partei haben sich längst entschloss­en, am Einsatz festzuhalt­en, obwohl sie der SPD bei der letzten Verlängeru­ng genau das Gegenteil versproche­n hatten.

„In Kriegsgebi­eten in Zeitschien­en zu denken, macht wenig Sinn. Das haben wir in Afghanista­n gelernt.“

Oberst Gero von Fritschen

Wird der Einsatz verlängert?

„Unsere Aufklärung hat eine besondere Qualität.“

Oberst Gero von Fritschen

AKK braucht ein neues Mandat, eine neue Lageeinsch­ätzung und Begründung. Zwei Komponente­n bieten sich an: einen stärkeren Akzent zugunsten des zivilen Wiederaufb­aus und ein Ende der Ausbildung­shilfe im Irak selbst. Die ist der SPD suspekt, genauer gesagt: Ihrem Fraktionsc­hef und ausgewiese­nem Außenpolit­iker Rolf Mützenich. AKK hofft, dass sie Mützenich mit Zugeständn­issen dazu bewegen kann, wenigstens den Einsatz der in Jordanien stationier­ten Soldaten zu verlängern. Gerade mal einen Monat im Amt wäre die Verlängeru­ng schon AKKs zweite Zumutung für den Koalitions­partner – die erste war das Beharren auf exorbitant höheren Verteidigu­ngsausgabe­n, auf dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato.

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER ?? Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) beim ihren ersten Truppenbes­uch im Ausland. Die Visite sei „einer der beeindruck­enden Tage“, die sie erlebt habe, sagt sie später.
FOTO: MICHAEL KAPPELER Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) beim ihren ersten Truppenbes­uch im Ausland. Die Visite sei „einer der beeindruck­enden Tage“, die sie erlebt habe, sagt sie später.

Newspapers in German

Newspapers from Germany