Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Der IS wird nicht verschwinden“
Die neue Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer überzeugt sich bei ihren Soldaten vom Sinn des Irak-Einsatzes
Bagdad. Sie bekämen regelmäßig diese eine Frage gestellt, sagt Oberst Gero von Fritschen: „Bleibt ihr, was ist denn jetzt?“Die Frage, wie es weitergeht mit den Bundeswehrsoldaten in der Region, kann der deutsche Kontingentführer an diesem Tag gleich an seine Chefin weiterreichen. Nach nur zwei Tagen in Jordanien und im Irak fühlt sich Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) in ihrer Auffassung bestärkt, „dass es gut wäre, wenn wir diesen Einsatz fortsetzen würden“. Sie will, dass die Bundeswehr sich über den 31. Oktober hinaus weiter am Kampf gegen den „Islamischen Staat“(IS) beteiligt,
an der Operation „Inherent Resolve“(Innere Entschlossenheit) in Syrien und im Irak. Und doch weiß gerade ein politisch erfahrener Militär wie von Fritschen, „dass sie im Gepäck keine Entscheidung mit sich bringt“. Sie hat keine Mehrheit im Bundestag.
Doch was spricht aus militärischer Sicht überhaupt für einen längeren Einsatz? Von Fritschen betont jedes Wort. „Der. IS. Wird. Nicht. Verschwinden.“Mithin gehe es darum, die irakischen Streitkräfte schneller auszubilden, als der IS seinerseits rekrutieren könne. „In Kriegsgebieten in Zeitschienen zu denken, macht wenig Sinn. Das haben wir in Afghanistan gelernt.“Die Militärs vielleicht, aber auch die Abgeordneten? Sie brauchen gute Gründe, um an einem Einsatz festzuhalten, der immerhin schon fünf Jahre dauert.
Von Fritschen sagt, dass die Iraker noch nicht in der Lage seien, für ihre Sicherheit zu sorgen. Kramp-Karrenbauer warnt, „wenn der Druck nachlässt, könnten die Strukturen des IS wiedererstarken“. Überhaupt: Der deutsche Beitrag werde geschätzt und sei für die Stabilität der ganzen Region von Bedeutung.
In diesen Monaten verändert sich der Charakter des Einsatzes. Noch im März haben sie hier klassische Luftboden-Operationen durchgeführt. Militärisch waren die Verhältnisse damals klar: Eindeutige Stellungen, offene Gefechte und ein IS, „der Flagge zeigt, buchstäblich“, sagt von Fritschen. Inzwischen gilt die Terrororganisation auf dem offenen Feld als besiegt. Nun gleicht die Aufgabe von Oberst von Fritsche und seinen Soldaten der Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Zwei Mal am Tag heben die vier Tornados vom Stützpunkt im jordanischen Al Azraq ab, um Bilder von IS-Stellungen in Syrien und dem Irak zu machen. In jedem Flugzeug sitzen zwei Soldaten. Einer fliegt, einer schießt – Fotos. Gestochen scharfe Bilder, die detailliert ausgewertet werden. Über seine derzeit drei Auswerter sagt von Fritsche: „Sie entdecken Dinge, auf die Sie und ich nicht kommen würden.“Ein Höhleneingang in den Bergen, ein Waffendepot, verstecke Quartiere. Aufklärung ist der Beginn jeder militärischen Operation. Alle Aufklärungsflüge der internationalen Mission in Syrien und gut die Hälfte im Irak werden von der Bundeswehr geflogen. Franzosen und Italiener haben zwar vergleichbare Fähigkeiten, haben aber von Katar oder Kuwait einen längeren Weg, während die Deutschen in der jordanischen Wüste vergleichsweise nah dran sind. „Sie haben das Leben von Soldaten gerettet“, beteuert in Bagdad der stellvertretende Kommandeur der Operation, der britische Generalmajor Christopher Ghinka. Ein Abzug der Deutschen wäre „ein erheblicher Rückschlag“.
Die Bundeswehr leistet einen Beitrag, der nicht ohne weiteres ersetzt werden könne, sagt auch der deutsche Oberst. Die Partner hätten Verständnis für die Abzugspläne, aber auch Sorgen. „Unsere Aufklärung hat eine besondere Qualität.“Trotzdem ist längst der Exitplan ausgearbeitet: das Szenario für einen Abzug ab 1. November. Wenn die Soldaten gegenüber ihrer Ministerin „Klarheit über das Mandat“anmahnen, meinen sie gleichwohl in Wahrheit eine Verlängerung. Kramp-Karrenbauer hat sich bewusst diese Region für ihren ersten Einsatzbesuch ausgesucht. Während zu Hause in Berlin die Debatte über ihre umstrittene Abgrenzung von ExVerfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen nicht abebbt, setzt AKK im Irak ein Signal. Sie sammelt Sachzwänge, die es daheim ihrem Koalitionspartner, der SPD, schwerer machen, bei seinem „Nein“zu einer Verlängerung zu bleiben.
Die Ministerin sagt, dass sie sich vor Ort ein Bild von der Lage machen will und dass diese Visite „einer der beeindruckenden Tage ist, die ich in meinem Leben erlebt habe“. Aber das ist politisch allenfalls die halbe Wahrheit. Sie und ihre Partei haben sich längst entschlossen, am Einsatz festzuhalten, obwohl sie der SPD bei der letzten Verlängerung genau das Gegenteil versprochen hatten.
„In Kriegsgebieten in Zeitschienen zu denken, macht wenig Sinn. Das haben wir in Afghanistan gelernt.“
Oberst Gero von Fritschen
Wird der Einsatz verlängert?
„Unsere Aufklärung hat eine besondere Qualität.“
Oberst Gero von Fritschen
AKK braucht ein neues Mandat, eine neue Lageeinschätzung und Begründung. Zwei Komponenten bieten sich an: einen stärkeren Akzent zugunsten des zivilen Wiederaufbaus und ein Ende der Ausbildungshilfe im Irak selbst. Die ist der SPD suspekt, genauer gesagt: Ihrem Fraktionschef und ausgewiesenem Außenpolitiker Rolf Mützenich. AKK hofft, dass sie Mützenich mit Zugeständnissen dazu bewegen kann, wenigstens den Einsatz der in Jordanien stationierten Soldaten zu verlängern. Gerade mal einen Monat im Amt wäre die Verlängerung schon AKKs zweite Zumutung für den Koalitionspartner – die erste war das Beharren auf exorbitant höheren Verteidigungsausgaben, auf dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato.