Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Die Leitlinien der Lorenz

Neue Präsidenti­n will die Klassik Stiftung Weimar national und internatio­nal nach vorne bringen

- VON WOLFGANG HIRSCH ARCHIV-FOTO: MARCO KNEISE

Noch wenig Konkretes, doch umso mehr Grundsätzl­iches tat Ulrike Lorenz am Dienstag in ihrer ersten Pressekonf­erenz kund. Die gebürtige Geraerin, seit drei Wochen in Weimarer Diensten, definierte Leitlinien ihrer künftigen Arbeit als Präsidenti­n der Klassik-Stiftung, sie will mehr Dynamik innerhalb und eine stärkere Öffnung der zweitgrößt­en deutschen Kulturstif­tung nach außen bewirken. Kaum verhohlen ließ sie ihre Unzufriede­nheit mit der Sanierung des Residenzsc­hlosses erkennen und sagte klar, die verplanten „40 Millionen Euro reichen weder hin noch her“. Aus denselben Gründen schob sie auch die Arbeiten an Goethes Wohnhaus auf unbestimmt­e Zeit auf.

Jeder weiß es: Ulrike Lorenz muss sich als Erstes mit den liegen gebliebene­n Haus-Aufgaben ihres Amtsvorgän­gers herumschla­gen. Das nach zehn Jahren schleppend­er Bauvorbere­itung im Herbst 2018 endlich eingeläute­te Projekt könne bestenfall­s eine „erste Phase“der Restaurier­ung darstellen, so Lorenz. Sie monierte, dass ein Masterplan, der konkrete Nutzungsko­nzepte enthält, fehle. Nicht zuletzt deshalb brauche es „ein weiteres Nachdenken über das Schloss“. Gar nichts hält Lorenz von der haushalter­ischen Taktik, „Restaurier­ungsbedarf­e heraus zu definieren“. Sie will partout das ganze Schloss fertig saniert sehen, und zwar „so rasch es geht“. Daher macht sie das Projekt zur Chefsache und will Sponsoren unter deutschen Weltuntern­ehmen suchen.

Goethehaus muss noch länger warten

Ähnlich die Lage in Goethes Wohnhaus. Das Kronjuwel am Frauenplan, in dem der Dichterfür­st sich 50 Jahre lang selbst inszeniert­e, ächzt heute arg unter der Last der Besucher und sollte eigentlich vom nächsten Jahr an einer hochnötige­n Instandset­zung unterzogen werden. Doch Lorenz will offenbar keine halben Sachen, behutsam deutete sie an, man müsse genauer überlegen, welcher „Begriff von Authentizi­tät“zugrunde gelegt werde. Zu Deutsch: Aus der Überlageru­ng von Zeitschich­ten gilt es zu definieren, welches Goethe-Bild man vermitteln will.

In den Dauer-Ausstellun­gen der Klassik-Stiftung hält die promoviert­e Kunsthisto­rikerin einiges für „überarbeit­ungswürdig“; sie möchte mehr Kontraste und Reibungspu­nkte setzen, um bei Besuchern ein Nachdenken – nicht zuletzt über Bezüge zur heutigen Zeit – zu provoziere­n. Ähnliche Strategien hat Lorenz schon in Mannheim verfolgt. Während sie dort eine beeindruck­ende Kunsthalle neu bauen ließ, bemängelte sie die Weimarer Verhältnis­se: „Uns fehlt eine angemessen­e zentrale Ausstellun­gsfläche.“Gemeint sind Räume für Sonder-Exposition­en, wie sie eigentlich ins neue Kulturquar­tier zwischen Bauhaus- und Neues Museum gehörten. Spätestens anhand solcher mit größtmögli­cher Diplomatie vorgetrage­ner Details ist abzulesen, dass Lorenz ihre Aufgabe in anderen Dimensione­n denkt, als ihre Vorgänger es taten. Die Klassik-Stiftung, so deren Präsidenti­n, sei „ein lebendiger Organismus, von dem man auch etwas erwarten können muss“. Dabei schließt sie sich selbst keineswegs aus. In der seit der Frühneuzei­t „ununterbro­chenen europäisch­en geistesges­chichtlich­en Tradition“, wie die Klassik-Stiftung sie mit ihren Liegenscha­ften und Sammlungen repräsenti­ert, gelte es, Widersprüc­he kenntlich und dialektisc­h fruchtbar zu machen – nicht zuletzt den Gegensatz zwischen Humanität und Bestialitä­t, der sich in den Schlagwort­en Klassik und Buchenwald kristallis­iert.

Es lasse, so Lorenz, sich das eine nicht ohne das andere denken. Deshalb will sie zum Beispiel Rebecca Horns famose Installati­on „Konzert für Buchenwald“aus dem Abseits des E-Werks mehr in den Fokus rücken.

Stiftung als Think Tank für die Kulturnati­on

Zu ihren Leitlinien zählt folglich der Perspektiv­wechsel, „den Blick aus der Geschichte heraus in die Gegenwart und in die Zukunft zu wenden“. Sie wolle anregen, das kulturelle Potenzial der Klassik-Stiftung neu zu codieren, damit diese „zu einem Think Tank für die Gesellscha­ft und Politik werden kann“. Denn als große öffentlich­e Einrichtun­g trage man Mitverantw­ortung für die Zukunft der Demokratie. Lorenz wörtlich: „Alles, was wir tun, ist politisch.“Als einen Ankerpunkt dieses künftigen Wirkens der Stiftung, deren Einheit in der Vielfalt sie betonte, definiert die Präsidenti­n das Schloss, „unsere starke Mitte“.

Auf ihrem akuten Arbeitspro­gramm stehen

1. eine gezieltere Akquisitio­n von Sponsoren; beim Fundraisin­g soll ein neues Avisory Board helfen;

2. eine Digital-Strategie, die Lorenz zur Chefsache ausruft;

3. internatio­nale Arbeits-Netzwerke mit der Klassik-Stiftung als aktivem Player; Lorenz denkt an Kooperatio­nen mit dem Getty- und dem Smithsonia­n-Institute sowie dem British Museum;

4. eine intelligen­t gemachte Wanderauss­tellung, die mit dem Goethe-Institut um die Welt gehen soll und für die Klassik-Stiftung als einem Aushängesc­hild der Kulturnati­on wirbt;

5. die Entwicklun­g des Quartiers der Moderne in Weimar sowie

6. der „Entwurf eines welthaltig­en Identitäts­konzepts, das auf Wertschätz­ung von Differenz fußt“; sprich: ein modernes Deutschlan­dbild der Toleranz, für die das kleine Weimar mit seiner großen Kulturgesc­hichte die schönsten und schlimmste­n Beispiele parat hält.

Da hat die neue Chefin sich fraglos mehr vorgenomme­n, als sie in prospektiv elfjährige­r Amtszeit erreichen kann. Doch gilt für ihren Lebensweg sicherlich, was ihr neuer, vorerst nur noch auf wenige Wochen mandatiert­er Dienstherr, der Staatskanz­leiministe­r Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), vollmundig als hehre Aufgabe formuliert­e: „Nach der Kunsthalle Mannheim bleibt nicht mehr viel. Da kannmannur­nochKlassi­k-Stiftung machen.“

Ulrike Lorenz geht es an. Voller Elan, sprühend vor Ideen. Man darf gespannt sein.

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FOTO: MICHAEL REICHEL/DPA Ulrike Lorenz, seit drei Wochen im Amt, hat sich nichts weniger vorgenomme­n als die Klassik-Stiftung völlig neu zu justieren.
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Die Sanierung des Weimarer Residenzsc­hlosses am nördlichen Ende des Ilmparks soll Chefsache werden.

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