Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Grüne wollen in Erfurt den Klimanotstand ausrufen
Maßnahmepaket mit autofreiem Wenigemarkt und ticketfreiem ÖPNV. Flughafen als Standort für Ökosiedlung im Blick
Erfurt. Die Grünen wollen, dass Erfurt dem Beispiel anderer deutscher Städte folgt und den Klimanotstand ausruft. In einem Stadtratsantrag schlagen sie zugleich eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, mit denen sich Erfurt an der Eindämmung der globalen Erwärmung beteiligen könne.
Diese Maßnahmen sind den Grünen laut der Fraktionschefin Astrid Rothe-Beinlich sogar wichtiger als der eher symbolische Akt, einen Klimanotstand zu erklären – die Stadtpolitik würde damit dem Klimaschutz höchste Priorität einräumen. Die Maßnahmen beschäftigen sich mit den Themen Energie, Mobilität, Landwirtschaft, Stadtentwicklung und Verwaltung und erinnern zu großen Teilen an jüngere Wahlprogramme der Partei. Beispiele sind ein autofreier Wenigemarkt und die Widmung der Meienbergstraße als Fahrradstraße, Solaranlagen auf allen städtischen Gebäuden, mehr Baumpflanzungen oder ein ticketfreier ÖPNV. Zudem solle die Stadt in den nächsten Jahren „mindestens eine Ökosiedlung“ausschreiben. „Der Antrag ist etwas umfangreich geworden“, sagt RotheBeinlich. „Denn in der Fraktion haben wir viele junge Leute, die gern loslegen und Schwerpunkte setzen wollen.“Dabei werde auch der Einfluss der neuen Fraktionsmitglieder spürbar, die in der Bewegung „Fridays for Future“aktiv sind. Rothe-Beinlich möchte den Antrag als „Diskussionsanstoß“verstanden wissen und geht davon aus, dass er zunächst nicht abgestimmt, sondern in Ausschüsse verwiesen und dort weiter bearbeitet wird. Dabei solle nach Mehrheiten, Kompromissen und auch nach weiteren Ideen gesucht werden.
„Es ist nicht unser Ziel, mit einem radikalen Antrag zu scheitern“, sagt Rothe-Beinlich. „Aber wir wollen mit einem betont grünen Antrag einsteigen und schauen, was sich ergibt.“
Verbündete erhofft sich die Grüne-Fraktionschefin unter anderem aus Teilen der SPD und von den Linken, die gerade mit einem eigenen Antrag das Klimaschutzkonzept fortschreiben lassen wollen. Für die CDU. deren Fraktionschef Michael Hose den Umweltschutz vor einigen Wochen zum neuen Schwerpunktthema erklärt hatte, sei die Diskussion „ein Test“. In den Maßnahmevorschlägen stecken eine ganze Reihe von kontroversen Positionen. „Ticketfreier ÖPNV“zum Beispiel heißt nicht kostenfrei – er wäre mit einer „Solidarfinanzierung wie beim Semesterticket“verbunden, sagt Rothe-Beinlich – einer Pflichtabgabe also. Eine „weitgehend autofreie Innenstadt“stößt bereits in der abgeschwächten Stufe der Erfurter „Begegnungszone“auf Widerstand. Auch die Umwidmung von Fahrspuren auf Straßen zu Radwegen hat sich zumindest in vergangenen Diskussionen als nicht durchsetzbar erwiesen. Andere Punkte aus dem Forderungskatalog erscheinen auf den ersten Blick wenig realistisch. Wie es Erfurt auf seiner beschränkten Fläche zum Beispiel schaffen soll, „bis 2030 durch den Ausbau erneuerbarer Energien weitgehend energieautark zu sein“, wie es im Antrag heißt, ist kaum vorstellbar. Windräder auf dem Domplatz seien damit jedenfalls nicht gemeint. „Es geht auch darum, Energie einzusparen“, sagt Rothe-Beinlich.
Auch das Ausschreiben mindestens einer Öko-Vorzeigesiedlung ist ein Vorstoß, der an der Marienhöhe schon einmal grandios gescheitert ist. Zudem hat die Stadt gerade die meisten ihrer verbleibenden Bauflächen an die Kowo verkauft. RotheBeinlich sieht im Wachsen einiger Erfurter Dörfer, wie es im Stadtentwicklungskonzept vorgesehen ist, noch Potenzial. „Und richtig langfristig werden wir auch über die Nachnutzung des Flughafens reden müssen“, sagt sie – und stößt damit wohl eine eigene Diskussion an. Dass viele der Maßnahmen mit dem Einsatz erheblicher Mittel verbunden wären, ist Rothe-Beinlich bewusst. „Bei der nächsten Haushaltsdebatte müssen wir diese Diskussion führen“, sagt sie. „Wir sind überzeugt, dass Erfurt als eine wachsende Stadt nur als Klimastadt eine Zukunft hat.“
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