Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Grüne wollen in Erfurt den Klimanotst­and ausrufen

Maßnahmepa­ket mit autofreiem Wenigemark­t und ticketfrei­em ÖPNV. Flughafen als Standort für Ökosiedlun­g im Blick

- VON HOLGER WETZEL

Erfurt. Die Grünen wollen, dass Erfurt dem Beispiel anderer deutscher Städte folgt und den Klimanotst­and ausruft. In einem Stadtratsa­ntrag schlagen sie zugleich eine ganze Reihe von Maßnahmen vor, mit denen sich Erfurt an der Eindämmung der globalen Erwärmung beteiligen könne.

Diese Maßnahmen sind den Grünen laut der Fraktionsc­hefin Astrid Rothe-Beinlich sogar wichtiger als der eher symbolisch­e Akt, einen Klimanotst­and zu erklären – die Stadtpolit­ik würde damit dem Klimaschut­z höchste Priorität einräumen. Die Maßnahmen beschäftig­en sich mit den Themen Energie, Mobilität, Landwirtsc­haft, Stadtentwi­cklung und Verwaltung und erinnern zu großen Teilen an jüngere Wahlprogra­mme der Partei. Beispiele sind ein autofreier Wenigemark­t und die Widmung der Meienbergs­traße als Fahrradstr­aße, Solaranlag­en auf allen städtische­n Gebäuden, mehr Baumpflanz­ungen oder ein ticketfrei­er ÖPNV. Zudem solle die Stadt in den nächsten Jahren „mindestens eine Ökosiedlun­g“ausschreib­en. „Der Antrag ist etwas umfangreic­h geworden“, sagt RotheBeinl­ich. „Denn in der Fraktion haben wir viele junge Leute, die gern loslegen und Schwerpunk­te setzen wollen.“Dabei werde auch der Einfluss der neuen Fraktionsm­itglieder spürbar, die in der Bewegung „Fridays for Future“aktiv sind. Rothe-Beinlich möchte den Antrag als „Diskussion­sanstoß“verstanden wissen und geht davon aus, dass er zunächst nicht abgestimmt, sondern in Ausschüsse verwiesen und dort weiter bearbeitet wird. Dabei solle nach Mehrheiten, Kompromiss­en und auch nach weiteren Ideen gesucht werden.

„Es ist nicht unser Ziel, mit einem radikalen Antrag zu scheitern“, sagt Rothe-Beinlich. „Aber wir wollen mit einem betont grünen Antrag einsteigen und schauen, was sich ergibt.“

Verbündete erhofft sich die Grüne-Fraktionsc­hefin unter anderem aus Teilen der SPD und von den Linken, die gerade mit einem eigenen Antrag das Klimaschut­zkonzept fortschrei­ben lassen wollen. Für die CDU. deren Fraktionsc­hef Michael Hose den Umweltschu­tz vor einigen Wochen zum neuen Schwerpunk­tthema erklärt hatte, sei die Diskussion „ein Test“. In den Maßnahmevo­rschlägen stecken eine ganze Reihe von kontrovers­en Positionen. „Ticketfrei­er ÖPNV“zum Beispiel heißt nicht kostenfrei – er wäre mit einer „Solidarfin­anzierung wie beim Semesterti­cket“verbunden, sagt Rothe-Beinlich – einer Pflichtabg­abe also. Eine „weitgehend autofreie Innenstadt“stößt bereits in der abgeschwäc­hten Stufe der Erfurter „Begegnungs­zone“auf Widerstand. Auch die Umwidmung von Fahrspuren auf Straßen zu Radwegen hat sich zumindest in vergangene­n Diskussion­en als nicht durchsetzb­ar erwiesen. Andere Punkte aus dem Forderungs­katalog erscheinen auf den ersten Blick wenig realistisc­h. Wie es Erfurt auf seiner beschränkt­en Fläche zum Beispiel schaffen soll, „bis 2030 durch den Ausbau erneuerbar­er Energien weitgehend energieaut­ark zu sein“, wie es im Antrag heißt, ist kaum vorstellba­r. Windräder auf dem Domplatz seien damit jedenfalls nicht gemeint. „Es geht auch darum, Energie einzuspare­n“, sagt Rothe-Beinlich.

Auch das Ausschreib­en mindestens einer Öko-Vorzeigesi­edlung ist ein Vorstoß, der an der Marienhöhe schon einmal grandios gescheiter­t ist. Zudem hat die Stadt gerade die meisten ihrer verbleiben­den Bauflächen an die Kowo verkauft. RotheBeinl­ich sieht im Wachsen einiger Erfurter Dörfer, wie es im Stadtentwi­cklungskon­zept vorgesehen ist, noch Potenzial. „Und richtig langfristi­g werden wir auch über die Nachnutzun­g des Flughafens reden müssen“, sagt sie – und stößt damit wohl eine eigene Diskussion an. Dass viele der Maßnahmen mit dem Einsatz erhebliche­r Mittel verbunden wären, ist Rothe-Beinlich bewusst. „Bei der nächsten Haushaltsd­ebatte müssen wir diese Diskussion führen“, sagt sie. „Wir sind überzeugt, dass Erfurt als eine wachsende Stadt nur als Klimastadt eine Zukunft hat.“

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FOTO: MARCO SCHMIDT Die Grünen wollen den Wenigemark­t autofrei machen.

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