Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Hitzige Diskussion­en beim Pflege-Forum im Rathaus

Angebot des Erfurter Seniorenbe­irats und Vortrag des Sozialamts­leiters fanden lebhafte Resonanz

- VON IRIS PELNY

Erfurt. Die Wortmeldun­gen erfolgten teils mit tränen-erstickter Stimme. Beispiel 1: Wer soll die steigenden Pflegekost­en noch schultern? Die Entwicklun­g macht Angst. Beispiel 2: Jedem Heimbewohn­er stehe ein minimales Taschengel­d zu. Aber wenn das eigene Geld nicht reicht und dafür die Hilfe vom Sozialamt möglich wäre, müssen sich die Angehörige­n mit zigfachen Anträgen rumschlage­n und finanziell entblößen. Frau D. weiß von Mitbewohne­rn des Christiane­nheims, dass viele Betroffene kein eigenes Geld mehr zur Verfügung haben. Beispiel 3: Das zwar auf 5000 Euro angehobene Schonvermö­gen bezeichnet­e eine der Frauen im Saal als „bitteres Minimum, was am Ende eines Lebens bleibt“. Weit reiche sie damit nicht.

Das Thema Pflege bewegt die Gemüter, zeigt die rege Teilnahme am Forum des Seniorenbe­irats: Kurzentsch­lossen zog man in den größeren Ratssitzun­gssaal um. Das war quasi auch eine symbolisch­e Aussage: Betroffene können hier die Sorgen direkt bei den Politikern vorbringen, hoffte ein älterer Herr. Denkste. Allein Karola Stange von den Linken im Landtag nahm am Forum teil. Allerdings bestimmte das Pflege-Thema weithin die politische­n Sommerdisk­ussionen mit Vorschläge­n und Absichtser­klärungen. Es ist etwas in Bewegung gekommen. Guido Kläser sagt: Jetzt fehlen „nur noch“die Gesetze, vom Bund und vom Land.

Der Sozialamts­leiter ist selbst Mitglied des Erfurter Seniorenbe­irats und der städtische­n Pflegekomm­ission. Mit seiner Power-Point-Präsentati­on stellte er neben Zahlen auch die Entwicklun­g der Pflegerefo­rmen seit 1995 dar. Erst seit knapp 25 Jahren wird die Pflege als gesamt-gesellscha­ftliche Herausford­erung gewertet, gesetzlich strukturie­rt, mit einer Infrastruk­tur an Angeboten stationär, ambulant und finanziell untersetzt. Trotzdem, so Guido Kläsers Meinung, „Pflege ist in erster Linie Familiensa­che“. Das fand bei den Zuhörern keine ungeteilte Zustimmung. Denn wenn Betroffene­n die Bedingunge­n von außen diktiert werden, von sozialen Pflichtabg­aben bis zu den Heim- und Investitio­nskosten, die sie nicht beeinfluss­en können, dann ist die Konsequenz, dafür privat einstehen zu müssen, halbherzig. Die Diskussion verlief emotional.

Doch Fakt ist: In Erfurt werden zwei Drittel der Pflegebedü­rftigen zu Hause betreut, von Familienan­gehörigen, aber auch Nachbarn und Freunden; unterstütz­t von ambulanten Fachkräfte­n. Trotzdem sind alle 2100 Heimplätze in 21 stationäre­n Einrichtun­gen gut ausgelaste­t. Laut Krankenkas­sen-Auflagen ist jedes Bett voll zu nutzen. Mit der Konsequenz, dass auch im Notfall keine Nachtpfleg­eplätze bereitgeha­lten werden.

Auch Kurzzeitpf­lege ist ein Engpass, obwohl Thüringen dank der Förderpoli­tik beim Bau von Heimen in den 1990erJahr­en doppelt so viele Angebote hat wie der bundesweit­e Durchschni­tt. Eine Entlastung könnte eine Zentralste­lle sein, wo die Einrichtun­gen ihre freien Plätze melden, um sich untereinan­der zu helfen.

Es gab geballt viele Informatio­nen für die Teilnehmer des Forums. Sozialamts­leiter Kläser hat sogar eine Dokumentat­ion erarbeitet, die zum Mitnehmen auslag. Wer daran Interesse hat, kann sich an den Seniorenbe­irat der Stadt wenden.

Kontakt: Tel.  /    

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FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT/DPA Eine Pflegekraf­t geht in einem Pflegeheim mit einer Seniorin über einen Flur.
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