Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Vorhang auf für den neuen Chef
Bei der heutigen Bundesliga-Generalversammlung muss Fritz Keller zeigen, dass er auf großer Bühne bestehen kann
Berlin. Die letzte Telefonkonferenz vor dem Machtwechsel im deutschen Fußball fand Montagmorgen um neun statt. Von der DFB-Führung zugeschaltet: die Interimspräsidenten Reinhard Rauball und Rainer Koch sowie das designierte Oberhaupt Fritz Keller, noch Präsident des SC Freiburg. Als alle Aktualität abgehandelt war, holte Rauball zu einer kleinen Anekdote vom Supercup-Spiel in Dortmund aus.
Rauball erzählte von einer gut gelaunten Runde auf der Terrasse des Steigenberger Hotels, die sich Anfang August nach dem 2:0 von Borussia Dortmund gegen Bayern München eingefunden hatte. Am Tisch saßen unter anderem TV-Kommentator Marcel Reif, die Verlagschefin Julia Jäkel (Gruner & Jahr) und eben Fritz Keller, allesamt Mitglieder im Stiftungsrat oder -kuratorium der Fußball-Bundesliga.
Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht veröffentlicht, dass Keller DFB-Präsident werden sollte. So stand an diesem Tisch und bei den zufällig anwesenden Sportjournalisten die Frage unbeantwortet im Raum: „Wer wird’s denn nun?” Fritz Keller, längst auserkoren, ließ keine Sekunde durchblicken, dass die Wahl auf ihn gefallen war. Wann immer die Frage an ihn ging, duckte er sich weg.
Für diese schauspielerische Leistung, so Rauball in der Telefonkonferenz lachend, habe Fritz Keller zweifellos „den Iffland-Ring verdient”. Die Auszeichnung für den bedeutendsten und würdigsten Schauspieler des deutschen Theaters. In Wahrheit wird die Bühnenpräsenz des 62-jährigen Winzers aus dem Breisgau erst am Mittwoch in Berlin so richtig auf die Probe gestellt. Das Publikum, das ihn erwartet, ist als äußerst kritisch bekannt. Zunächst muss Fritz Keller um halb zehn im Hotel Esplanade die Repräsentanten aus den Regional- und Landesverbänden überzeugen, dass er die Belange aus dem Amateurbereich würdig zu vertreten weiß. Keine sechs Stunden später wird er zwei Kilometer entfernt bei der Bundesliga-Generalversammlung im Hotel Maritim vorstellig, um den Vertretern der 36 Erst- und Zweitliga-Clubs zu zeigen, dass er die Belange des Profifußballs zu verteidigen versteht.
„Das wird das wichtigste Thema für den DFB sein: die Einheit von Amateur- und Profibereich”, sagt Rainer Koch, sein künftiger Vizepräsident. Beide Versammlungen sollen mit einem überwältigenden Votum die Irrfahrt beenden, die der Verband zuletzt mit Reinhard Grindel an der Spitze erlebt hat. Fritz Keller gilt als bodenständig und professionell: Er muss sich kaum verstellen, um Menschen für sich einzunehmen.
Laut repräsentativer Erhebung des Umfrage-Instituts „SLC” von Professor Alfons Madeja in Nürnberg halten ihn 84,3 Prozent der Befragten für „geeignet als DFB-Präsident”. Sogar 87,6 Prozent schätzen seinen Sachverstand. Sein Problem ist ein anderes: Nur jeder zweite kennt ihn. Der Auftritt in Berlin ist sein erster als Präsidentschaftskandidat. Noch hat er Zeit. Die Wahl im DFB-Bundestag findet am letzten SeptemberWochenende in Frankfurt statt. Mehr Spannung verspricht die Bundesliga. Einen Präsidenten gibt es nach Rauball nicht mehr. Sein bisheriger Vize Peter Peters, Finanzchef bei Schalke 04, übernimmt eine Art Zwitterposition: Einerseits wird er heute Stellvertreter des Präsidiumssprechers Christian Seifert, andererseits als Aufsichtsratschef der Bundesliga dessen Chef. In der Deutschen Fußball-Liga (DFL) weiß man selbst: Die kuriose Konstruktion kann nur eine Übergangslösung sein. Umso wichtiger sind deshalb die Wahlen zum Präsidium und Aufsichtsrat. Wer reinkommt, darf bei der Verteilung der TVGelder mitreden. In den nächsten zwei Jahren startet erneut das Milliardenspiel um die Medienrechte. Kein Club will ein Milliönchen verpassen. So konkurriert BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke mit JanChristian Dreesen vom FC Bayern um den Platz im Präsidium. Womöglich springt ein Platz im Aufsichtsrat heraus.
Von den Verteilungskämpfen in der DFL wird Reinhard Rauball in seiner Abschiedsrede sicherlich berichten. Zwölf Jahre lang moderierte er die Spannungen zwischen den kleinen und großen Clubs. Man wird ihm dafür mit der Ehrenpräsidentschaft danken, bevor Christian Seifert als DFL-Geschäftsführer die neuen Herausforderungen bei der Globalisierung und Digitalisierung benennt. Dann beginnt mit den Wahlen die neue Ära.
Der designierte DFB-Präsident Fritz Keller kennt die Machtspielchen aus Sicht eines kleinen Vereins. Die DFB-Satzung schreibt ihm den Rücktritt beim SC Freiburg vor. Am Nachmittag wird Keller auf einer Pressekonferenz erstmals öffentlich über seinen Rollenwechsel reden. Er wird die Einheit des deutschen Fußballs beschwören und nicht alles sagen, was er an diesem Tag in Berlin gehört und beobachtet hat. Schauspielern kann er ja.