Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Ich halte Tempo 130 für sinnvoll“
Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) fordert schärfere Klimaziele und sagt, was das für die Bürger bedeutet
Berlin. In einigen Tagen reist Umweltministerin Svenja Schulze zum Weltklimagipfel nach Madrid, wo auch Greta Thunberg erwartet wird. Im Interview verrät die SPDPolitikerin, was sie der 16-jährigen Klimaaktivistin sagen will. Die Folgen der Erderwärmung sind auch in Deutschland immer deutlicher zu spüren. Worauf müssen sich die Menschen in den nächsten zehn Jahren einstellen?
Svenja Schulze: Es gibt häufiger extreme Hitzeperioden. Mehr Trockenheit führt dazu, dass wir im Sommer weniger Wasser zur Verfügung haben. Andererseits bringen Starkregenfälle oft große lokale Überschwemmungen mit sich. Auch meine Heimatstadt Münster hat das schon schmerzhaft erlebt. Die Veränderungen wirken sich auf die Gesundheit der Menschen aus. Es ist vollkommen klar: Wir werden uns auch in Deutschland an den Klimawandel anpassen müssen, indem wir Vorsorge treffen: begrünte Dächer und Gebäudefassaden, Wasserflächen, verschattete Plätze, Küstenschutz – um nur einige Beispiele zu nennen.
Pünktlich zur Klimakonferenz in Madrid breitet das UN-Umweltprogramm ein Schreckensszenario aus: Das Weltklima könnte bis Ende des Jahrhunderts fast vier Grad wärmer sein als zu Beginn der Industrialisierung. Wie realistisch ist das?
Wenn die Weltgemeinschaft nicht entschlossen handelt, sind das sehr realistische Projektionen. Weitermachen wie bisher – das geht nicht. Die Bundesregierung hat mit dem Klimapaket die richtigen Weichen gestellt. UN-Generalsekretär António Guterres hat uns dafür gerade sehr gelobt. Gleichwohl sage ich auch: Niemand darf die Hände in den Schoß legen. Es kann sein, dass wir schon im nächsten Jahr in einigen Bereichen nachsteuern müssen, um unsere Klimaschutzziele in allen Sektoren zu erreichen. Die Weltgemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Was versprechen Sie sich von dem Gipfel in Spanien?
Es geht darum, die entscheidenden
Weichen zu stellen für die Weltklimakonferenz 2020 in Glasgow. Denn fünf Jahre nach dem Pariser Abkommen müssen alle Staaten ihre nationalen Klimaziele überprüfen. Hier in Deutschland fragen manche: Sind wir denn die Einzigen, die was tun? Was ist denn mit den Amerikanern, den Chinesen, den Indern?
Berechtigte Fragen.
Natürlich können Deutschland oder Europa das Weltklima nicht alleine retten. Zur Wahrheit gehört aber auch: Unsere Pro-Kopf-Emissionen liegen weit über dem Weltdurchschnitt. Wir sind es also, die mit als Erste liefern müssen. Und: Deutschland und Europa können zeigen, dass Klimaschutz geht, und dadurch andere mitziehen. Europa wird das bisher geltende Ziel – minus 40 Prozent bis 2030 – sicher erreichen. Aber ich unterstütze sehr, was die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagen hat: Die Europäische Union sollte das 2030-Ziel nächstes
Jahr auf 50 bis 55 Prozent anheben, denn wir wollen ja bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein. Ist das Klimapaket der Bundesregierung schon wieder überholt?
Klimaschutz ist und bleibt eine Daueraufgabe, die man nicht mal eben als erledigt markieren kann. Darum gibt es auch schon jetzt im neuen Klimaschutzgesetz, das der Bundestag gerade verabschiedet hat, eine Pflicht zum jährlichen Nachsteuern. Die einzelnen Maßnahmen werden dann zu verhandeln sein, wenn sich Zielverfehlungen abzeichnen. Was würde ein Tempolimit auf Autobahnen bringen?
Tempo 130 auf Autobahnen wäre eine mögliche Maßnahme, da haben Sie recht. Ich halte das für sinnvoll – aus Sicherheits- und aus Klimaschutzgründen. Um die Erderhitzung aufzuhalten, kommt es auf jede Tonne CO2 weniger an. Ein wesentlicher Teil des Klimapa
kets – das Steuergesetz – geht an diesem Freitag in den Bundesrat. Erwarten Sie die Zustimmung der Länder?
Im Bundesrat geht es um Fragen wie diese: Wird Bahnfahren billiger? Wird es eine steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung geben? Da reden die Länder mit, und sie haben Änderungsbedarf angemeldet. Wie werden Sie sich einigen – und wann?
Mir ist wichtig, dass gerade die Verbilligung von Bahnfahrten nicht aufgehalten wird. Die Entlastung soll Anfang Januar kommen. Eine Verzögerung wäre politisch absolut falsch. Zur Klimakonferenz in Madrid wird auch die 16-jährige Aktivistin Greta Thunberg erwartet. Haben Sie sich zum Gespräch verabredet?
Bei der Klimakonferenz in New York habe ich sie nur auf der Bühne gesehen. Vielleicht können wir ja in Madrid kurz miteinander reden, mal sehen. Ich bewundere, was diese 16-Jährige alles ausgelöst hat. Ohne sie gäbe es die weltweite Jugendbewegung für den Klimaschutz wohl nicht. Das ist etwas ganz Besonderes, davor habe ich großen Respekt. Thunberg fragt die Politik: „Wie konntet ihr es wagen, meine Träume und meine Kindheit zu stehlen mit euren leeren Worten?“Was antworten Sie?
Dass wir in Deutschland keine leeren Worte machen, sondern handeln. Handeln Sie anders, seit es „Fridays for Future“gibt?
Nein. Die SPD hat das Klimaschutzgesetz schon in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt, da war „Fridays for Future“noch nicht zu sehen. Aber die Proteste der jungen Leute geben uns Rückenwind. In jeder Familie wird jetzt diskutiert. Das ist gut für den Klimaschutz.
Hätten Sie ein Mädchen wie Greta gerne als Tochter? (lacht) Ich glaube, dass Gretas Engagement für die Eltern ganz schön anstrengend ist. Aber es ist doch toll, wenn man sich mit der Jugend auseinandersetzt. Dass da jemand ist, der Druck macht. Ich war gerade auf dem Juso-Bundeskongress, und die machen auch Druck. So muss das sein. Die Jusos haben gerufen: „Am Nikolaus ist GroKo-Aus.“Reicht der Druck, um die Koalition zu beenden?
Nein, ich hoffe nicht. Ich möchte umsetzen, was die Koalition auf den Weg gebracht hat. Es ist nicht mein Politikverständnis, jetzt alles den Konservativen zu überlassen. Die SPD ist immens wichtig für einen gelingenden Klimaschutz, denn wir bringen die soziale Frage, die Frage von Arbeitsplätzen und die ökologische Vernunft zusammen. Wir sollten uns mitten in der Wahlperiode nicht aus der Koalition zurückziehen. Wir tragen Verantwortung.
„Wir können das Weltklima nicht alleine retten.“