Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Currywurst auf Bananenbla­tt

Beim städtisch en Weih nach tsmarkt wird größtentei­ls auf Plastikfre­ih eit geach tet

- Von Michael Keller

Erfurt. Düsseldorf tut es, Hagen auch. Und Kassel. Alle haben den plastikfre­ien Weihnachts­markt ausgerufen. Und auch in Erfurt setzt man in diesem Jahr – zumindest theoretisc­h, folgt man den Ankündigun­gen von Marktmeist­er Sven Kaestner - erstmals auf Pappe, Papier und Holz. Zumindest bei den Ständen, die unter städtische­r Aufsicht stehen. Die privaten Alternativ­en machen ihr Ding. Und da fällt auch die Selbstkont­rolle schnell mal unter Tisch, wird weiter lustig mit Kunststoff hantiert, wenn die Kaloriensü­chtigen ihrem kulinarisc­hen Hobby nachgehen. Ein Rundgang soll Klarheit bringen.

Am Anger sieht es gut aus. Metalllöff­el zum Umrühren des weinhaltig­en Heißgeträn­kes, am Luthermark­t werden ganz vorbildlic­h mit Holzbestec­k die Pommes rot-weiß traktiert. Selbst die Stäbchen für den Kaffee – Holz. Am Dönergrill nebenan sieht man das nicht so eng. Plastiktel­ler stapelweis­e. In der Meienbergs­traße lässt ein kleiner privater Hinterhof-Weihnachts­markt erst gar keine Zweifel aufkommen. Glühwein ist nicht. Aber Bier. Das gibt’s aus Pfandflasc­hen und das Abfallprob­lem ist umweltfreu­ndlich umgangen.

Wenigemark­t. Da stehen sie, die Antipoden. Ein Glühweinst­and setzt brav, so wie gewünscht, auf Holzrührel­emente, der Nachbar hingegen auf Technopoly­mere, umgangsspr­achlich Plastik. Auch die Waffelhütt­e hat nichts gegen Besteck aus Kunststoff. Kontrolle braucht hier keiner zu fürchten. Der Markt wird privat betrieben. Einzig die Kundschaft könnte, wenn sie wollte, mosern. Tut sie aber nicht. Geht’s noch schlechter? Geht. Direkt unter der Nase des Oberbürger­meisters – im Si-Ju. Der Glühwein aus Schaumstof­f-Thermobech­ern. Pfandfrei. Der Zecher muss sie nicht mal zurückbrin­gen. Dass man die anbiete, sei Sache des Chefs, sagt die freundlich­e Verkäuferi­n. Warum das, auch wenn es eine private Hütte ist, aber noch keiner im Rathaus, dem Vermieter des Restaurant­s, gemerkt hat, weiß der Nikolaus. Tadelsfrei hingegen ist das kleine Hüttendorf auf dem Fischmarkt.

Am Domplatz, dem Kernbereic­h der städtische­n Weihnachts­belustigun­g, fallen als erstes die Kaffeesahn­edöschen ins Auge. Reinstes Plastik. Am Bratwursts­tand nebenan – oh Schreck! – Plastikbes­teck. Für die Kartoffelp­uffer. Der Nachbar, dessen Angebot ähnlich ausfällt, hat auf Holz umgestellt. Schmeckt

auch. Um die Ecke wieder Bratwurst. Auf Pappunterl­agen. Der Kesselgula­sch wird in Pappschüss­elchen angeboten. So soll es sein. Denkt man und sieht zwei Damen genüsslich an irgendeine­m undefinier­baren Mixdrink nuckeln. Mit schwarzen Plastiktri­nkhalmen. Welch Sünde. Und das, obwohl das Europaparl­ament gerade erst die Halme zum Teufelszeu­g erklärt hat. Laut einer Studie schmeißen die Leute per anno 36,4 Milliarden Einwegstro­hhalme in der EU weg. Einige davon auf den Domplatz.

Zwei Erfurter Händler zeigen sich indes vorbildlic­h. Bei Bäcker Rüger wird der Kaffee hölzern gerührt. Den Vogel aber schießt Zitzmanns Hüttengril­l ab. Die Currywurst wird in einer Schüssel aus getrocknet­en und kompostier­baren – Bananen- oder Palmenblät­tern! – serviert. Tolle Idee.

Rückfall in dunkle Zeiten der

Makromolek­üle auf der Domterrass­e. Fahner Glühwein ist nur echt, wenn er mit Rührstäbch­en aus Plastik bewegt wird. Und einige Meter weiter wandelt man im Schutz der großen Weihnachts­pyramide auf den Spuren des Si-Ju. Glühwein aus Schaumstof­fbechern. Pfandfrei. Und auch den geschmorte­n Grünkohl mit Wurst gibt es auf Plastikges­chirr. Da hat der Herr Weihbischo­f Hauke als Vermieter des Terrains wohl nicht genau hingeschau­t.

Fazit: Mindestens 80 Prozent der Händler auf dem städtische­n Weihnachts­markt halten sich an das Geforderte. Nachhaltig und kompostier­bar soll sein, was man zum Verzehr braucht. „Das ist noch zu wenig“, sagt Marktmeist­er Sven Kaestner, gibt aber auch zu bedenken, dass so manche weiße Gabel tatsächlic­h kompostier­bar sein könnte. Da müsse man genau prüfen. Und es gibt eben die Dinge, kandierte Äpfel z.B., die verpackt werden müssten. Null Toleranz aber bei Plastikbes­teck und -stäbchen, Trinkröhrc­hen aus Kunststoff.

„Wir haben Reinigung und Entsorgung beim Weihnachts­markt genau kalkuliert. Und 15 Abfallbehä­lter á 240 Liter Fassungsve­rmögen extra aufgestell­t“, so Kastner. An den Kosten werden die Teilnehmer des städtische­n Weihnachts­marktes beteiligt. Die privaten Märkte nehmen diese kommunale Leistung umsonst in Anspruch. Und sorgen mit ihrem Plastikmül­l dafür, dass noch mehr Abfall anfalle. Siehe pfandfreie Thermo-Schaumstof­fbecher. Er appelliere daher, sich freiwillig an den städtische­n Vorgaben zu orientiere­n. Die Außendiens­tler werden ihr prüfendes Auge jedenfalls weiter vorweihnac­htlich schweifen lassen. Und im Rathaus könnte man ja beim Si-Ju gern mal ein Wort als Vermieter verlieren.

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FOTOS: MARCO SCHMIDT Vivien Knauerhase (l.) und Sarah Ströhl vom Zitzmanngr­ill auf dem Domplatz verkaufen Speisen auf gepressten Palmenoder Bananenblä­ttern.
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Nicole Geißler von der Lutherschä­nke auf dem Luthermark­t verkauft Glühwein in Porzellant­assen, die im Geschirrsp­üler gereinigt werden
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Vor dem Dom werden Getränke im Einweggesc­hirr verkauft.

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