Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Und plötzlich geht die Tür auf

Die Unachtsamk­eit von Autofahrer­n kann Fahrradfah­rer das Leben kosten. So können Unfälle vermieden werden

- Von Stefan Schulte

Essen. Den in diesen Wochen besonders nervtötend­en Berufsverk­ehr ertragen, die eiligsten Einkäufe erledigt, endlich einen Parkplatz gefunden, nichts wie raus aus dem Auto und – ein dumpfer Knall. Der fehlende Schulterbl­ick wird der Radfahreri­n zum Verhängnis, sie hat keine Chance mehr zu reagieren, knallt ungebremst vor die Innenseite der Fahrertür, mit dem Kopf vor die obere Türkante. So oder so ähnlich ereignen sich in Deutschlan­d jedes Jahr Tausende Unfälle, Dutzende davon tödlich. Dabei wären sie mit Verhaltens­änderungen der Autofahrer, technische­r Hilfe und klügerer Verkehrspl­anung leicht zu verhindern.

Im Verhältnis zu anderen Unfallursa­chen prallen Radfahrer zwar vergleichs­weise selten gegen sich öffnende Autotüren, doch das endet überdurchs­chnittlich häufig mit schweren Verletzung­en oder gar tödlich. Laut Statistisc­hem Bundesamt waren im vergangene­n Jahr gut

50.000 Radfahrer in Unfälle mit Autos verwickelt. Nach Hochrechnu­ngen der Unfallfors­chung der Versichere­r (UDV) für unsere Redaktion auf Basis ihrer eigenen Unfalldate­nbank gingen davon rund

3500 Unfälle auf plötzlich geöffnete Autotüren zurück, das sogenannte Dooring. Dabei gab es rund 700 Schwerverl­etzte. Zahlen zu Todesopfer­n gibt es nicht, aber immer wieder Berichte darüber. Ideen, das zu verhindern, gibt es viele, doch umgesetzt sind die wenigsten.

Verkehrspl­anung als Sicherheit­srisiko

Die Versicheru­ngen beobachten wachsende Gefahren für Türunfälle. „Die Dooring-Unfälle haben mit den Radspuren auf den Straßen zugenommen“, nennt UDV-Chef Siegfried Brockmann einen Grund, den die Stadtplane­r der Kommunen zu verantwort­en haben. Die auf die Fahrbahn nur aufgemalte­n Radfahrstr­eifen liegen zwischen der Hauptfahrb­ahn und den parkenden Autos, deren Fahrer in der Regel ihre Tür Richtung Radstreife­n öffnen. „Die Planer tun so, als hätten sie etwas für die Radfahrer getan, dabei wird es dadurch nur gefährlich­er“, sagt Brockmann. Die Versichere­r fordern mindestens 75 Zentimeter Abstand zwischen Radspur und Parkstreif­en. Und wenn das nicht möglich ist? „Dann lässt man es besser, ein Mischverke­hr auf einer Fahrbahn ist besser als ein

Radstreife­n, der die Fahrer in trügerisch­er Sicherheit wiegt“, sagt Brockmann.

Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad Club (ADFC) kritisiert die „auf die Fahrbahn gepinselte AlibiInfra­struktur“und fordert „vom starken Autoverkeh­r physisch getrennte Radwege“, so ADFC-Sprecherin Stephanie Krone. Wegen der „autofokuss­ierten Verkehrspl­anung“müssten die Radfahrer „oft auf der Fahrbahn – eingequets­cht zwischen fließendem Kfz-Verkehr und parkenden Autos – mitschwimm­en“. Der „zunehmend motorisier­te Verkehr und immer breitere Autos“gefährdete­n die Sicherheit der Radfahrer. Das Straßenran­dParken solle in den Innenstädt­en „auch aus Platzgründ­en stark zurückgefa­hren“werden, fordert Krone.

Der „holländisc­he Griff“

Der einfachste Schutz wären natürlich aufmerksam­ere Autofahrer. Das lässt sich nicht erzwingen, aber verinnerli­chte Verhaltens­muster könnten schon helfen. Dafür nennen Sicherheit­sexperten als ersten Tipp stets den „holländisc­hen Griff“: Wenn der Fahrer sich angewöhnt, seine Tür mit der rechten Hand zu öffnen, dreht sich sein Oberkörper von allein Richtung Tür, sodass der Schulterbl­ick nach hinten leichterfä­llt. In den Niederland­en ist das gelebte Praxis.

Technische Lösungen könnten

Auto- oder Radfahrer warnen. Letzteres möchte der Krefelder Taxifahrer und Erfinder Zülfikar Celik erreichen: Er hat als Patent bereits vor zehn Jahren eine Signalauto­matik angemeldet, bei der die hinteren Bremslicht­er aufleuchte­n, sobald eine Tür geöffnet wird. Das könne besonders in der Dunkelheit nahende Radfahrer warnen. Selbst wenn die Zeit nicht mehr ausreiche, um vollständi­g zu bremsen, könne das zumindest die Unfallschw­ere lindern. „Das erfordert nur eine kleine Änderung in der Elektronik, wäre sehr leicht und günstig umzusetzen und könnte Menschenle­ben retten“, sagt der Krefelder.

Das Problem: Dafür müssten die Zulassungs­vorschrift­en geändert werden, die für jede Lampe festlegen, wann sie angehen darf. Celik kämpft dafür seit Jahren.

Warnleucht­en und Türblockad­en

Den effektivst­en Schutz böten Türen, die sich gar nicht erst öffnen lassen, wenn ein Radfahrer naht. Denn es bleibt in der Regel kaum Zeit zu reagieren – bei 20 Stundenkil­ometern benötigt ein Radfahrer rund elf Meter, um zum Stillstand zu kommen. Die Weiterentw­icklung der Sensortech­nik macht Türblockad­en möglich, konkrete Lösungen sind aber noch rar oder in den Kinderschu­hen. Audi testet im A6 eine Technik, die das Öffnen der Tür um eine knappe Sekunde verzögert, die kurze Blockade soll den Fahrer sensibilis­ieren, sie lässt sich aber beim zweiten Versuch umgehen. Der Velberter Türschloss­hersteller Kiekert entwickelt vollelektr­onische Türschlöss­er ohne Griff, die sich nicht öffnen lassen, wenn Sensoren herannahen­de Fahrzeuge erkennen.

Die Versichere­r befürworte­n derartige Lösungen, sie müssten laut UDV in wenigen Jahren in der Breite umsetzbar sein. Dabei sei es „wichtig, nicht zu viele Fehlauslös­ungen zuzulassen“, sagt Brockmann. Auch verstehe er, dass die Autoindust­rie hier vorsichtig agiere, weil niemand die Käufer seiner Autos in diesen einschließ­en wolle.

Die Autoindust­rie hätte die Technik längst

Reinhard Spörer, der sich als Leiter der Region Hannover beim ADFC um das Thema Dooring kümmert, wirft der Autoindust­rie Untätigkei­t vor und betont: „Die Hardware für all diese Lösungen ist da, die Autoindust­rie müsste sie nur einsetzen und ihre Software anpassen.“So gebe es seit Jahren Tote-Winkel-Assistente­n, die während der Fahrt auch vor Radfahrern warnten, doch mit der Zündung würden sie ausgeschal­tet – anders als etwa Radio und Innenbeleu­chtung. „Die Autoindust­rie tut alles, um es den Fahrern so angenehm wie möglich zu machen. Nur um die anderen Verkehrste­ilnehmer kümmert sie sich nicht“, sagt Spörer.

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FOTO: PHOTOTHEK VIA GETTY IMAGES Geht die Autotür auf, haben Radfahrer kaum Zeit zu reagieren. Oft enden Zusammenst­öße mit schweren Verletzung­en.

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