Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Die unterirdische Stadt der Toten
In Jerusalem eröffnet 50 Meter unter der Erde ein hypermoderner Mega-Friedhof für 24.000 Gräber. Ein deutscher Künstler verantwortet die Beleuchtung
Jerusalem. Freie Fläche ist ein rares Gut im kleinen Israel, insbesondere in Städten – das weiß jeder, der dort einmal einen Parkplatz suchen musste. Der Platzmangel betrifft jedoch nicht nur die neun Millionen Einwohner des Landes, das ungefähr so groß ist wie Hessen, sondern zunehmend auch seine Toten: Israels Friedhöfen geht der Boden für neue Gräber aus. Doch Israel ist bekannt dafür, unkonventionelle Lösungen für unbequeme Probleme zu entwickeln. Ist auf dem Friedhof kein Platz mehr, wird er eben untertunnelt: Das ist die Antwort, die die Jerusalemer Beerdigungsgesellschaft auf den Platzmangel gefunden hat.
Für Jerusalemer ist das Grab kostenlos
Jetzt wurde in Jerusalem die erste unterirdische Ruhestätte des Landes feierlich eröffnet: eine hochmoderne Konstruktion unterhalb des Friedhofs auf dem „Har HaMenuchot“, dem „Hügel der Ruhenden“, im Nordwesten der Stadt, der bereits seit 1951 existiert. Der neue Friedhof beginnt 50 Meter tiefer: schlicht-moderne Hallen in Beigeund Grautönen, die an die Sandstein-Architektur der Heiligen Stadt erinnern. In Wände und Böden sind dicht an dicht die Gräber eingelassen, deren Anblick ein wenig an viereckige Bienenwaben erinnert.
Noch sind die Gräber unbeschriftet: Erst im Dezember soll die Anladort ge ihren Betrieb aufnehmen. Derzeit würden die Sensoren getestet, die Licht, Belüftung und Klimatisierung regulieren sollen, und letzte Vorbereitungen getroffen, erklärt Chananya Shachor, Vorsitzender der Jerusalemer Beerdigungsgesellschaft. „Ich will keine Gräber verkaufen, bevor nicht alles perfekt ist.“Bei der Beerdigungsgesellschaft, die das Projekt initiiert hat, handelt es sich um eine gemeinnützige Organisation, die sich nach Angaben Shachors allein über den Verkauf von Gräbern finanziert. Ähnliche Organisationen existieren auch in anderen israelischen Städten und Dörfern.
Die Jerusalemer Gesellschaft verfügt jedoch über mehr finanzielle Mittel als andere, erklärt Shachor, weil viele Juden aus dem Ausland
ihre letzte Ruhestätte finden wollen. „Jerusalem ist die heiligste Stadt der Welt“, sagt er, „deshalb sind die Menschen bereit, viel Geld zu bezahlen, um hier begraben zu werden.“Bewohner der Stadt erhalten ihre Grabstätte dagegen kostenlos. Was die Preise für die unterirdischen Gräber betrifft, will sich Shachor noch nicht festlegen. „Ich vermute aber, sie werden etwa so teuer sein wie die Gräber im Freien.“Das teuerste konventionelle Grab habe seine Gesellschaft für 25.000 USDollar vergeben.
Idee soll Vorbild sein auch für andere Länder
8000 Gräber sind unter Tage bisher bezugsbereit, bis zum Abschluss der Arbeiten in sechs Jahren sollen es
24.000 sein. Die Gesamtkosten schätzt Shachor auf 300 Millionen Schekel, umgerechnet 78 Millionen Euro. Die barrierefreie Anlage verfügt über Fahrstühle und motorisierte Fahrzeuge, auch Wlan soll es geben. Nach der Trauerfeier sollen die Leichen im Golfkart zu ihren Gräbern transportiert werden. Die einzige Dekoration liefert ausgerechnet ein nichtjüdischer Künstler aus Deutschland: Der Mainzer Glaskünstler Yvelle Gabriel hat rotgelb
glimmende Glaskugeln entworfen, die die unterirdischen Flure beleuchten sollen. Das Rabbanut, die höchste jüdische Instanz im Land, hat den unterirdischen Friedhof für konform mit jüdischem Gesetz erklärt.
Das Platzproblem in Israel dürfte sich in Zukunft noch verschärfen: Die Bevölkerung wächst rasch – dank einer Fruchtbarkeitsrate, die mit 3,1 Kindern pro Frau unter Industrieländern einzigartig hoch ist. Gut möglich also, dass das Beispiel aus Jerusalem Nachahmer findet. „Wir sind die Ersten, die den Sprung ins Wasser wagen“, sagt Shachor. „Wenn die Öffentlichkeit diese neue Art des Begräbnisses akzeptiert, könnten andere Städte folgen.“Er hält die Idee sogar für exportfähig: Zwei Staaten hätten bereits mit der an dem Projekt beteiligten Baufirma Kontakt aufgenommen.