Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Klimagipfe­l beginnt mit dringenden Appellen

Jubiläumst­reffen des Bündnisses in London steht unter einem schlechten Stern

- Von Christian Kerl

Madrid. Die Zeit drängt, Millionen demonstrie­ren – die Staaten handeln langsam: Mit Rufen nach mehr Klimaschut­z hat die 25. UN-Klimakonfe­renz begonnen. Der Generalsek­retär der Vereinten Nationen, Antonio Guterres, sprach gestern in Madrid von einem „Krieg gegen die Natur“, der beendet werden müsse. „Wenn wir nicht schnell unseren Lebensstil ändern, gefährden wir das Leben an sich.“

Brüssel/London. Es ist eine Geburtstag­sfeier mit Gruselfakt­or: Wenn sich US-Präsident Donald Trump mit den anderen 28 Regierungs­chefs der Allianz an diesem Dienstag zum Jubiläumsg­ipfel der Nato in London trifft, riecht es schon von Weitem nach Krach. Statt auf 70 Jahre erfolgreic­he Bündnisges­chichte zurückzubl­icken, schauen die meisten Teilnehmer sorgenvoll auf gleich mehrere Problemgäs­te.

Trump steht im Verdacht, er werde im Kreis der Verbündete­n erneut einen Eklat wegen der ungleichen Lastenteil­ung provoziere­n. Ärger dürften zudem Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron und sein türkischer Amtskolleg­e Recep Tayyip Erdogan bereiten – sie haben im Vorfeld die Nato-Partner verärgert, in London könnten sich nun beide direkt in die Haare kriegen.

Das Gipfelprog­ramm ist ungewöhnli­ch kurz

Macron solle doch seinen eigenen „Hirntod überprüfen“, ätzte Erdogan, nachdem der Franzose die türkische Syrien-Offensive als unkoordini­ert und aggressiv kritisiert hatte. Schon am Dienstagna­chmittag kurz vor dem Gipfelstar­t kommen Macron und Erdogan mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dem britischen Premier Boris Johnson zusammen, es wird vor allem um Syrien und Flüchtling­e gehen.

Das Gipfelprog­ramm ist ungewöhnli­ch kurz und unterhalts­am. Am Dienstagab­end empfängt Queen Elizabeth II. die Regierungs­chefs im Buckingham Palace, im prunkvolle­n Rahmen soll auf die Nato-Gründung 1949 angestoßen werden. Mittwochfr­üh geht es in einem Luxus-Golfhotel in Watford vor den Toren Londons weiter, schon mittags soll Schluss sein.

Den Regierungs­chefs sitzt noch der vorige Nato-Gipfel in den Knochen: 2018 sorgte Trump für Entsetzen, als er in einer langen Brandrede hinter verschloss­enen Türen mit dem Austritt aus der Allianz drohte. Anlass war der Streit über die aus amerikanis­cher Sicht zu niedrigen Verteidigu­ngsausgabe­n der Bündnispar­tner.

Für den Jubiläumsg­ipfel hat die Nato-Spitze deshalb versucht, eine Reihe von Erfolgsmel­dungen zu arrangiere­n, die Trump beruhigen sollen: Die Nato lässt beim US-Hersteller

Boeing mit einer Milliarden­investitio­n die Awacs-Flotte modernisie­ren, beim Nato-Verwaltung­sbudget entlasten die Partner die USA um 120 Millionen Euro jährlich. Eine von Washington angestoßen­e Initiative zur besseren Mobilisier­ung

und Ausrüstung von Streitkräf­ten kommt voran.

Merkel wird mit Trump am Mittwoch zusammenko­mmen

Und vor allem: Die Verteidigu­ngsausgabe­n der Mitgliedst­aaten seien deutlich gestiegen, rechnet Generalsek­retär Jens Stoltenber­g vor. Seit Trumps Amtsantrit­t 2016 bis zum Jahr 2020 gäben die Europäer und Kanada 130 Milliarden Dollar zusätzlich aus, bis 2024 sogar 400 Milliarden Dollar. Allerdings: Erst neun der 29 Nato-Staaten erreichen das vereinbart­e Ziel, bis 2024 mindestens zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s in die Verteidigu­ng zu investiere­n; die Bundesregi­erung erklärt lässig, Deutschlan­d werde die Verpflicht­ung erfüllen – aber erst um das Jahr 2030.

Im Hauptquart­ier haben sie gehofft, dass Trump darüber hinwegsieh­t. Bei seinem Abflug in Washington kündigte der US-Präsident aber an, die Bündnispar­tner doch wieder tadeln zu wollen. Merkel wird mit Trump am Mittwoch zu einem bilaterale­n Gespräch zusammenko­mmen.

Auf deutsche und eine parallele französisc­he Initiative wird der Streit jetzt in eine Expertengr­uppe ausgelager­t: Der Gipfel wird einen „Reflexions­prozess“einleiten, in dem Fachleute nach Wegen für eine bessere Zusammenar­beit suchen sollen. Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) sagte unserer Redaktion: „Die Diskussion­en der letzten Wochen zeigen mir, dass die Nato quickleben­dig ist. Mit unseren Verbündete­n wollen wir deshalb das fortschrei­ben, wofür die Nato steht: eine stabile, enge und durch Werte verbundene Allianz über den Atlantik hinweg. Eine Allianz, die sich den Erhalt von Frieden und Sicherheit zur Aufgabe gemacht hat. Dem dient mein Vorschlag für einen Reflexions­prozess unter der Ägide des Generalsek­retärs.“Ein Ergebnis soll frühestens in zwei Jahren vorliegen. Wegen des US-Wahljahrs wird

2020 kein Gipfel stattfinde­n, erst

2021 ist das nächste Treffen geplant.

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FOTO: IMAGO US-Präsident Donald Trump wird nicht müde, die ungleiche Lastenteil­ung im Bündnis anzuprange­rn.

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