Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
123 Frauen von Ex-Partner oder Partner getötet
Ein Drittel der getöteten Frauen sind Opfer von Beziehungstaten. Grüne sehen die Bundesregierung in der Verantwortung
Berlin/Erfurt. Weit mehr als ein Drittel der Frauen, die in Deutschland durch Verbrechen getötet werden, sind Opfer häuslicher Gewalt. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervor, die dieser Zeitung vorliegt. Demnach kamen 2018 insgesamt 333 Frauen gewaltsam zu Tode, 141 von ihnen in der eigenen Familie. In 123 Fällen waren die Partner oder Ex-Partner die Täter.
Die Grünen forderten die Bundesregierung auf, Frauen besser zu schützen. „Es ist schon bestürzend, dass alle zwei, drei Tage in Deutschland Frauen durch häusliche Gewalt ums Leben kommen, in einem Bereich also, in dem viele meinen, sicher zu sein“, so die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic.
Berlin. Anruf bei der Polizeiwache: „Ich habe gerade meine Frau getötet.“Es ist der 25. November 2019 in Essen, aber es könnte überall sein. Im Jahr 2018 kamen in Deutschland 141 Frauen durch häusliche Gewalt zu Tode. „Es ist schon bestürzend, dass alle zwei, drei Tage in Deutschland Frauen durch häusliche Gewalt ums Leben kommen“, sagte die Grünen-Abgeordnete Irene Mihalic unserer Redaktion. In 123 Fällen war der Täter der eigene Ehemann, der Partner oder der Ex. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen zurück.
Die Familie ist eine Idylle, sie gilt als Hort der Geborgenheit, auch der
Sicherheit, sie ist der Bereich, so Grünen-Innenpolitikerin Mihalic, „in dem viele meinen, sicher zu sein“. Aber nicht sind. Der Filter, den das Bundeskriminalamt (BKA) seinen Statistiken vorstellt, lautet „in gemeinsamen Haushalt lebend“. 2018 zählte die Behörde hier 131 weibliche Opfer durch vorsätzliche Tötungsdelikte, dazu neun Körperverletzungen und eine Vergewaltigung jeweils mit Todesfolge.
Es geht auch um Vergewaltigung, Stalking oder Bedrohung
Über ein Drittel aller getöteten Frauen (333) fielen Beziehungstaten in der Familie zum Opfer, rechnet die frühere Polizeibeamtin vor.
Die Familie als Tatort – das gilt für die unterschiedlichsten Delikte: In 38 Prozent der Fälle von gefährlicher oder schwerer Körperverletzung, in 61 Prozent von Freiheitsberaubung und in 40 Prozent der Geiselnahmen von Frauen ist der Tatverdächtige der (Ex-)Partner oder ein Verwandter. Die Fallzahlen des BKA steigen auch hier. Nach einer Erhebung vom November 2019 wurden 2017 insgesamt 138.893 Menschen Opfer häuslicher Gewalt. 2018 stieg die Zahl der Opfer auf 140.755 Personen an. Hinzu komme ein großes Dunkelfeld, so das BKA.
Nach den BKA-Zahlen haben Opfer und Täter in der überwiegenden Zahl (67 Prozent) einen deutschen Pass.
Für die Opfer stehen bundesweit 7000 Plätze in 350 Frauenhäusern zur Verfügung. Doch nach einem Bericht der Wissenschaftlichen Dienste (WD) des deutschen Bundestages suchen 16.000 Frauen mit fast ebenso vielen Kindern Zuflucht in einem Frauenhaus. 14.600 Plätze fehlten, heißt es weiter, vor allem in den Ballungsgebieten.
Grünen-Politikerin Mihalic hatte nach einer Analyse gefragt, sie hat auf Muster und Erklärungen gehofft. Die Bundesregierung aber schien überfragt – bekommen hat die Parlamentarierin aus Gelsenkirchen dann Zahlenkolonnen und Verweise auf Kampagnen, Hilfstelefone, runde Tische („Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“) und Förderprogramme für Frauenhäuser.
Mihalic hat das Gefühl, dass die Bundesregierung bei ihrer Analyse häuslicher Gewalt „noch nicht sehr weit“sei. „Hier gibt es dringenden Nachholbedarf.“In ihrer Anfrage rufen die Grünen die Politik dazu auf, sich intensiver mit dem Phänomen schwerer und schwerster Straftaten in Partnerschaft und Familie zu befassen. In der Öffentlichkeit sei das „erstaunlicherweise immer noch unterbelichtet“.
Auch das BKA hat zum Teil noch ein Analysedefizit. Erst in diesem Jahr hat die Behörde begonnen, in seiner Opferstatistik zu erfassen, wie stark jemand bei einem Verbrechen verletzt wird. Bis 2019 war es ein blinder Fleck.