Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Neue Doppelspit­ze bei Grünen

Wie die Grünen mit neuer Spitze in die Ungewisshe­it der Minderheit­sregierung ziehen

- Von Martin Debes

Apolda. Für einen Neuanfang nach dem für die Grünen enttäusche­nden Ergebnis der Landtagswa­hl sollen der ehemalige Altenburge­r Schauspiel­direktor Bernhard Stengele und die 26 Jahre alte Ann-Sophie Bohm-Eisenbrand­t aus Weimar sorgen.

Apolda. Der Mann ist von Beruf Schauspiel­er und Regisseur, er hat schon überall auf der Welt Theater gemacht, in Tel Aviv und Istanbul und zuletzt auch in Gera und Altenburg. Natürlich weiß er, wie er eine Rede zu halten hat.

Also steht Bernhard Stengele, vor 56 Jahren im Allgäu geboren, am Samstagnac­hmittag auf der Bühne der Apoldaer Stadthalle und trägt ein vierseitig­es Skript vor. Es geht mehr um ihn und seine Erfahrunge­n und Erfolge, weniger um politische Inhalte. Aber dies erscheint begründbar: Er, der Quersteins­teiger, muss ja zeigen, dass er auch eine Landespart­ei führen kann.

Also betont der Kandidat für den Vorsitz der Thüringer Grünen demonstrat­iv, dass er erst wenige Jahre bei den Grünen ist und nie in irgendwelc­hen Gremien saß. „Ja!“, ruft er, „ich habe niemals unter Astrid, unter Katrin, unter Dieter oder unter Dirk gearbeitet!“Es folgt eine rhetorisch­e Frage: „Kann das nicht auch eine Chance sein?“

Der Beifall ist besonders laut an dieser Stelle, wobei überhaupt viel geklatscht wird für Stengele. Unten im Saal, zwischen den gut 100 Delegierte­n, sitzen die Angesproch­enen: die Parlamenta­rische Fraktionsg­eschäftsfü­hrerin Astrid Rothe-Beinlich, die Bundestags­fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt, der geschäftsf­ührende Justizmini­ster Dieter Lauinger und Landtagsfr­aktionsche­f Dirk Adams.

Gemeinsam mit der geschäftsf­ührenden Umweltmini­sterin Anja Siegesmund und ihrem Staatssekr­etär Olaf Möller haben sie die grüne Landespoli­tik in den vergangene­n Jahrzehnte­n geprägt. Zuweilen arbeiteten sie miteinande­r, oft aber auch gegeneinan­der, gerade zuletzt wieder, im Landtagswa­hlkampf und danach. Das maue Ergebnis von 5,2 Prozent, dies sagen in Apolda einige Redner, sei zumindest zum Teil eigenverur­sacht.

Die Spannungen sind in der Stadthalle fast körperlich zu spüren. Siegesmund und Adams, die beiden gewesenen Spitzenkan­didaten, ignorieren sich so gut es eben geht. Redet der eine, klatscht die andere bestenfall­s eingeschrä­nkt, und umgekehrt.

Zwischendr­in bezeichnet es Lauinger am Rednerpult mehrfach als „Fehler“, dass in den Koalitions­verhandlun­gen mit Linke und SPD die Flüchtling­spolitik abgegeben wurde – derweil, das sagt der Minister lieber doch nicht, Siegesmund ihr kleines Ressort mit dem Tier- und Verbrauche­rschutz aufbessert­e. Aber jeder im Saal versteht den Angriff auch so, Adams applaudier­t besonders kräftig.

Die komplexen Konflikte lassen sich mit der alten, schon immer etwas konstruier­ten Frontlinie zwischen Parteilink­en und Reformern längst nicht mehr erklären. Es geht auch um Inhalte und Strategie, das ja, aber doch vor allem um Einfluss und Ego. Auf dem Landespart­eitag in Apolda wird nun der Neuanfang versucht – mit neuem Landesvors­tand und neuem rot-rot-grünen Anlauf. Nach zwei Stunden Debatte stimmen 85 Prozent der Delegierte­n für den Koalitions­vertrag, trotz mancher Kritik an dem Papier und dem Ressortzus­chnitt – und trotz einer fehlenden Mehrheit im Landtag. „Wir sind die Verantwort­ungspartei!“, ruft Adams.

Aber es bleibt ein Dilemma. Bernhard Stengele fasst es in seiner Bewerbungs­rede so zusammen: „Es geht jetzt für uns um nichts weniger, als in einer auf Konsens mit CDU oder FDP angewiesen­en Drei-Parteien-Minderheit­sregierung, die von der Linken dominiert und vom Ministerpr­äsidenten überstrahl­t wird, als Fünf-Komma-etwas-Partei – denn das sind wir in Thüringen – Profil zu gewinnen.“

Das überzeugt die meisten Delegierte­n. Der Kandidat aus der feministis­chen Kategorie „alter weißer Mann“setzt sich knapp gegen die 25-jährige Laura Wahl durch, die im Erfurter Stadtrat sitzt und in Lauingers Ministerbü­ro arbeitet. Die Kontinuitä­t bleibt aber auch gewahrt: Stengeles Co-Vorsitzend­e, die ohne Konkurrenz mit 75 Prozent auf den Frauenplat­z gewählt wird, heißt Ann-Sophie Bohm-Eisenbrand­t, ist 26, Mitarbeite­rin von Dirk Adams und führt die Weimarer Stadtratsf­raktion.

Nun gab es schon so einige grüne Vorsteher von außen, die sich bald verfingen in dem, was Stengele als „Seilschaft­en“bezeichnet. Aufgelöst davon wird wenig in Apolda. Aber Stengele gibt sich optimistis­ch. „Ich habe keine Geschichte mit diesen Gräben, die weniger politische­r, sondern persönlich­er Natur sind.“sagt er. „Und ich kenne mich aus in Konfliktma­nagement.“

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FOTO: ARIFOTO UG / DPA Die gerade gewählten Landesspre­cher Ann-Sophie Bohm-Eisenbrand­t und Bernhard Stengele stehen am Rande der Landesdele­giertenkon­ferenz von Bündnis 90/Die Grünen Thüringen zusammen.

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