Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Im Wartestand

Ein junger Mann aus Afghanista­n und eine junge Frau aus dem Irak sprechen über ihre Perspektiv­en in Thüringen

- Von Gerlinde Sommer

Weimar/Erfurt. Jamshid Akbari stammt aus Afghanista­n. Er ist bereits 2012 nach Drohungen, die seine Familie betrafen, auf Rat seines Vaters geflohen. Zunächst in den Iran, von dort 2015 auf der Mittelmeer­route nach Deutschlan­d, weil er auch im Iran um sein Leben fürchten musste, wie er berichtet. Gerade ist festlegt worden, dass Jamshid Akbari weitere zwei Jahre in Deutschlan­d bleiben darf. Das hat die Thüringer Härtefallk­ommission ermöglicht.

Akbari hat in Thüringens Mitte Arbeit als Florist – und vielleicht bald schon Aussicht auf einen festen Wohnsitz in Erfurt. Er wartet jetzt auf seinen Pass mit dem Visum, sagt er. Der Aufenthalt für die nächste Zeit scheint also gesichert. Dennoch fühlt sich der 28-Jährige wie in einer Warteschle­ife: Schnell hat er Deutsch gelernt, jetzt würde er seine Sprachkenn­tnisse gerne weiter verbessern. Er würde gerne die Mittlere Reife machen und sich weiterbild­en. Irgendwann Ingenieur werden. Das erscheint ihm erstrebens­werter als sein jetziger Beruf, für den er zwar im Alltag, beim Blumenbind­en etwa, die nötigen Fähigkeite­n nachweisen kann, in dem ihm aber der deutsche Gesellenab­schluss fehlt.

Er fürchtet, dass ihm irgendwann die Zuversicht schwindet, in Deutschlan­d eine Zukunft aufzubauen: „Die Unsicherhe­it hat mich zwischendu­rch ziellos gemacht“, sagt er über die Zeit, als er die schnelle Abschiebun­g fürchten musste. Er hatte damals eine Lehrstelle als Mechatroni­ker in Aussicht. Doch er sah wegen seiner ungeklärte­n Aufenthalt­ssituation keinen Sinn. Was ihm fehlt, das ist der Rückhalt seiner Familie. Im Gespräch sagt er, dass er nicht wisse, wo sich seine Angehörige­n aufhalten. Offenbar hat nur er es bis nach Europa geschafft.

Die Situation von Tiba Al-Jassani wurde ebenfalls jüngst bei der Härtefallk­ommission besprochen. Die junge Irakerin hatte lange Angst, abgeschobe­n zu werden. Jetzt kann die 27-Jährige aufatmen: Zumindest für die nächsten zwei Jahre ist ihr Verbleib in Deutschlan­d gesichert. Sie hat jetzt einen befristete­n Aufenthalt­stitel.

Tiba Al-Jassani ist am 19. Oktober 2015 mit ihrem Vater und zwei ihrer jüngeren Geschwiste­r in Deutschlan­d angekommen. Ihre Mutter und drei weitere jüngere Geschwiste­r reisten später nach.

Mittlerwei­le sind die Eltern getrennt – und in diesem familiären Durcheinan­der ist offenbar ein Brief mit einem wichtigen Anhörungst­ermin bei der jungen Frau nicht angekommen. Das hätte das Ende ihres Aufenthalt­s in Sicherheit bedeuten können. Doch die eingeschal­tete Härtefallk­ommiszum sion konnte die Abschiebun­g abwenden. Für den positiven Bescheid spricht nach Angaben der Migrations­beauftragt­en Mirjam Kruppe: Die junge Frau aus dem Irak ist sehr gut integriert und lebt mit ihrer Familie hier. Zudem verdient sie schon seit längerem eigenes Geld; sie hat eine Festanstel­lung. Bisher reichte es aber nur für Basis-Kenntnisse in der deutschen Sprache.

Das unterschei­det sie von ihrem jüngeren Bruder Muntazar, der sie

Gespräch mit der Zeitung begleitet. Der 16-Jährige kann sich problemlos verständig­en. Er geht in die Regelschul­e – und will sich jetzt verstärkt durch Praktika einen Einblick in die Berufswelt verschaffe­n. Welche Ausbildung er anstrebt, kann Muntazar noch nicht sagen.

Er sieht seine Zukunft hier; anders als für seine ältere Schwester ist die irakische Heimat für ihn weit weg. Beide sagen: „Man kann da nicht leben.“Dabei lebt einer ihrer Brüder dort. Er sei nach kurzer Zeit in Deutschlan­d wieder zurückgega­ngen. Wohl aus Liebe. Tiba Al-Jassani aber will den Irak hinter sich lassen, auch wenn sie alle immer wieder an Heimweh leiden. Sie will als junge, ungebunden­e Frau ein freies Leben führen, selbstbest­immt. Dabei, das zeigt sich im Gespräch, ist dieser Neuanfang hierzuland­e alles andere als leicht. „Aber ich habe schon so viel geschafft“, übersetzt der kleine Bruder die Worte seiner Schwester.

Der Fall der jungen Irakerin ist aus Sicht der Beauftragt­en für Integratio­n, Migration und Flüchtling­e, Mirjam Kruppa, „typisch für die Härtefallk­ommission.“Es gibt klare Regeln, wann die Prüfung eines Härtefalls beantragt werden kann. Die betroffene Person muss als „vollziehba­r ausreisepf­lichtig“gelten. Den Antrag kann dann ein Mitglied der Härtefallk­ommission einbringen. Bei der Kommission handelt

es sich um ein achtköpfig­es Gremium von je einer Vertretung des Petitionsa­usschusses, der Liga, des Landkreist­ages, der Katholisch­en Kirche, der Evangelisc­hen Kirche, der Landesärzt­ekammer, des Gemeinde- und Städtebund­es sowie der Migrations­beauftragt­en unter Vorsitz des Staatssekr­etärs im Justizmini­sterium, das bislang für Migration zuständig ist.

Zu jedem eingereich­ten Fall entscheide­t die Kommission mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder. Der zuständige Minister entscheide­t abschließe­nd über das Votum. Es gibt bestimmte Umstände, die eine Befassung der Härtefallk­ommission ausschließ­en oder die ein erfolgreic­hes Verfahren unwahrsche­inlich erscheinen lassen. Das ist insbesonde­re der Fall, wenn ausschließ­lich Gründe angeführt werden, die das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e zu prüfen hat. Selbiges gilt, wenn Straftaten von erhebliche­m

Gewicht begangen wurden, ein Rückführun­gstermin bereits konkret feststeht oder sich der Betroffene in einem sogenannte­n Dublin-Verfahren befindet.

Aus Sicht der Migrations­beauftragt­en besteht grundsätzl­icher Regelungsb­edarf auf bundesrech­tlicher Ebene. „Zum einen gilt es, legale Einwanderu­ngsmöglich­keiten zu schaffen und zu erleichter­n. Das Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz ist hier nur ein erster Schritt in die richtige Richtung“, sagt sie. „Darüber hinaus plädiere ich für die Einrichtun­g eines echten Spurwechse­ls: Ein Großteil der Härtefälle sind junge afghanisch­e Männer, die nicht abgeschobe­n werden können und bestens integriert sind. Sie arbeiten und verdienen ihren Lebensunte­rhalt. Ihnen sollten gesetzlich­e Regelungen den Wechsel in einen festen Aufenthalt­stitel ermögliche­n.“Damit wäre auch Jamshid Akbari geholfen, der sich in Deutschlan­d eine Zukunft aufbauen möchte.

„Die Unsicherhe­it hat mich zwischendu­rch ziellos gemacht. Jetzt möchte ich lernen, mein Deutsch verbessern und meine Zukunft hier weiter aufbauen.“Jamshid Akbari, Florist, als junger Mann aus Afghanista­n geflohen

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FOTOS (2): GERLINDE SOMMER Tiba Al-Jassani darf bleiben: Das hat die Härtefallk­ommission entschiede­n, weil sie gut integriert ist und Arbeit sowie Wohnung hat. Ihr kleiner Bruder Muntazar ist froh, dass sie nicht abgeschobe­n wird.
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