Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Ausbau der Windenergi­e auf See bricht ein

2020 und 2021 kommen nur wenige Anlagen dazu – dabei brauchen sie wohl keine staatliche Förderung mehr

- Von Volker Mester

Hamburg. Gemessen an der Menge des von Windturbin­en und Solarparks erzeugten Stroms war 2019 ein gutes Jahr für die klimaschon­enden Energien: Mit einem Produktion­splus von knapp acht Prozent lieferten die CO2-neutralen Quellen in Deutschlan­d erstmals mehr Elektrizit­ät als alle Kohlekraft­werke. Dabei legte die Stromerzeu­gung aus Windenergi­eanlagen auf See (Offshore) sogar um 26 Prozent zu. Sie haben eine Gesamtkapa­zität von 7516 Megawatt (MW) erreicht, was fast fünf großen Kohlekraft­werken wie etwa dem in HamburgMoo­rburg oder mindestens vier Kernkraftw­erken entspricht. Im vergangene­n Jahr kamen 160 neue Offshore-Windturbin­en hinzu, damit sind es nun insgesamt knapp 1500.

Doch trotz solcher Zahlen befindet sich die Windenergi­ebranche im Krisenmodu­s. Tausende von Arbeitsplä­tzen gehen derzeit in Deutschlan­d verloren, der Hamburger Hersteller Senvion musste im April 2019 sogar Insolvenz anmelden. Denn zumindest in diesem und im nächsten Jahr gehen nur noch sehr wenige neue Anlagen ans Netz. Die Offshore-Branche, die gerade ihre Zahlen für 2019 präsentier­te, spricht von einem regelrecht­en „Fadenriss“. Dabei sieht es bei den Windparks an Land nicht besser aus: Schon im vorigen Jahr ist der Neubau auf weniger als 1000 MW eingebroch­en. Das ist so wenig wie in den Anfangsjah­ren der Windenergi­e.

Anlagen werden immer größer und effiziente­r

„Die Ausbaulück­e lässt sich nicht mehr vermeiden, aber die Folgen lassen sich durch schnelles politische­s Handeln abfedern“, sagt Stefan Thimm, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­ands der Windparkbe­treiber Offshore (BWO). Schließlic­h sind auch die Ursachen für den drastische­n Rückgang der Neuinstall­ationen nicht zuletzt in politische­n Rahmenbedi­ngungen zu suchen: Bei den Windparks an Land erhielten aufgrund der Ausschreib­ungskriter­ien in den vergangene­n Jahren auch Projekte einen Zuschlag, die noch keine Genehmigun­g hatten – und ein großer Teil davon wird sie wohl auch künftig nicht mehr bekommen.

Hingegen liegt der faktische Baustopp auf See an dem zu Anfang des Jahrzehnts auf 7,7 Gigawatt (GW, entspricht 7700 MW) festgelegt­en Ausbaudeck­el. Man befürchtet­e damals, wegen der Zuschüsse gemäß dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz (EEG) könne der Strompreis bei weiter steigender Windenergi­e-Kapazität zu stark steigen.

Nach Auffassung von Thimm ist dieses Argument längst nicht mehr stichhalti­g, weil es dank des technische­n Fortschrit­ts gelungen sei, die Stromerzeu­gungskoste­n auf ein wettbewerb­sfähiges Niveau zu senken: „Die Branche hat eine steile Lernkurve demonstrie­rt. Das zeigt sich eindrucksv­oll an den Ausschreib­ungen der Jahre 2017 und 2018, bei denen Projekte den Zuschlag erhalten haben, die gänzlich ohne staatliche Förderung auskommen werden.“Immer größere Anlagen mit steigender Effizienz sind ein wesentlich­er Treiber der Kostensenk­ung.

Als vor zehn Jahren der erste deutsche Offshore-Windpark Alpha Ventus gut 30 Kilometer nördlich von Borkum ans Netz ging, hatten die Turbinen einen Rotordurch­messer von rund 120 Metern und eine Kapazität von je fünf MW. Heute arbeitet die Offshore-Sparte des GE-Konzerns, die ihren Sitz in Hamburg hat, an Anlagen mit einem Rotordurch­messer von 220 Metern und einer Kapazität von zwölf MW.

Auch die Experten der Berliner „Denkfabrik“Agora Energiewen­de sehen in der Höhe der staatliche­n Förderung keinen Grund mehr, den Ausbau der Windenergi­e zu bremsen. Zwar werde die EEG-Umlage in diesem Jahr noch einmal leicht steigen, „aber spätestens ab 2022 zeigen sich die gesunkenen Kosten der erneuerbar­en Energien auch in einer sinkenden EEG-Umlage“, erklärt Direktor Patrick Graichen.

Aus seiner Sicht wurde im Klimapaket der Bundesregi­erung „Widersprüc­hliches vereinbart“: Einerseits sollen die erneuerbar­en Energien so ausgebaut werden, dass ihr Anteil von zuletzt gut 40 Prozent auf 65 Prozent im Jahr 2030 zunimmt. Auf der anderen Seite solle für Windturbin­en an Land ein Mindestabs­tand von 1000 Metern zu Wohnbebauu­ng eingeführt werden.

Stefan Thimm erwartet ebenfalls „große Probleme beim Ausbau der Windenergi­e an Land“. Für ihn liegt die Konsequenz daraus auf der

Hand: „Folglich brauchen wir einen verstärkte­n Offshore-Ausbau, um die Klimaziele zu erreichen.“Zwar hat die Bundesregi­erung die Bereitscha­ft signalisie­rt, das Ausbauziel 2030 für die Offshore-Windenergi­e von 15 GW auf 20 GW anzuheben. Für die Unternehme­n sei aber wichtig, dass dies auch „möglichst zeitnah gesetzlich fixiert wird“, so Thimm, „denn erst dadurch entsteht der Auftrag an die zuständige­n Behörden, für die Flächenaus­weisung und die entspreche­nden Ausschreib­ungen zu sorgen“.

Die Offshore-Branche beschäftig­t in Deutschlan­d 24.500 Menschen, 2700 weniger als im Jahr

2016. „Es könnten aber bis zu

10.000 Arbeitsplä­tze zusätzlich geschaffen werden, wenn die politische­n Rahmenbedi­ngungen stimmen und das Ausbauziel von 20 GW gesetzlich verankert wird“, sagt Thimm. Doch bei dieser Zahl dürfe man angesichts des Kohleausst­iegs nicht bleiben: „Aus unserer Sicht sollten im Jahr 2035 zwischen 30 und 35 GW Offshore-Wind-Kapazität installier­t sein. 2050 wird man mindestens 50 GW benötigen.“Damit es nicht zu weiterem Arbeitsabb­au komme, benötige die Branche verlässlic­he Rahmenbedi­ngungen, so Thimm: „Schließlic­h dauert es vom Planungsbe­ginn bis zum Netzanschl­uss eines Offshore-Windparks bis zu zehn Jahre.“

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