Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Nagelsmann­s Gipfel-Grollen

RB-Trainer kritisiert mangelnden Einsatz und fehlende Gier seiner Elf nach 0:2 in Frankfurt

- Von Martin Henkel

Frankfurt/Leipzig. Alles ist eine Frage des Zeitpunkte­s. Heißt es, und wird vielleicht noch einmal Thema sein in dieser Woche am Cottaweg in der Akademie von RB Leipzig, wo der Tabellenfü­hrer der deutschen Fußball-Bundesliga zu Hause ist, der in den kommenden Tagen nicht nur das 0:2 (0:0) bei Eintracht Frankfurt zu verarbeite­n hat, sondern auch den Auftritt von Marcel Halstenber­g im ZDF-Sportstudi­o.

Halstenber­g ist Linksverte­idiger bei den Sachsen. Der 28-Jährige ließ sich in der Sendung zu diesem und jenem befragen und gab zu diesem und jenem Antworten, die für sich betrachtet keine Erwähnung wert wären. Im Kontext der Niederlage aber schon. Er sei ein „kleiner Fan von Borussia Dortmund“, verriet der Nationalsp­ieler und gestand im selben Atemzug, dass ihm der EMTitel mit der DFB-Elf wichtiger sei als die Deutsche Meistersch­aft.

„Der ist nochmal höher angesiedel­t.“Auch das noch! Halstenber­g, geboren in Laatzen bei Hannover, zwei Jahre war er mal Spieler der zweiten Mannschaft des BVB, ist seit 2015 im Verein. Ein Routinier, Stammspiel­er, Leistungst­räger, bei RB hat er sich zum Nationalka­der entwickelt – und erklärt wenige Stunden nach der dritten Saisonplei­te und der ersten Niederlage seit Oktober, dass es Wichtigere­s gibt, als sein erster Titel mit dem Verein am Ende der Saison.

Julian Nagelsmann dürfte auf der Couch seiner Wohnung im Leipziger Waldstraße­nviertel gesessen und gedacht haben: Ich sag’s ja. Kaum war das 0:2 vorüber, mit dem die Bayern auf einen Punkt dran sind am Herbstmeis­ter, hatte sich der 32 Jahre alte Coach zu dem einen Thema befragen lassen, welches der Red-Bull-Club seit seinem

Aufstieg vor vier Jahren nicht vom Gelände bekommt. Ist das Personal reif genug, um Meister zu werden?

Nagelsmann antwortete mit einer Gegenfrage: Will der Kader das überhaupt? „Wir sind kurz vorm Gipfel“, sagte der Coach der Leipziger, „und die Frage, die wir uns stellen müssen, ist diese: Wollen wir ans

Gipfelkreu­z oder drunter parken, was essen, trinken und dann wieder runtergehe­n?“War der Auftritt bei der Eintracht eine Antwort darauf, dann kann Nagelsmann eigentlich einpacken, denn drei Jahre unter diesen Bedingunge­n zu arbeiten, wäre verschwend­ete Zeit. 20 Minuten hatten die Sachsen Frankfurt regelrecht auseinande­rgenommen. Tore aber fielen keine, weil wir „im letzten Drittel zu schlampig waren“, wie der Coach später erklärte, warum das Spiel nach diesen 20 Minuten kippte: RB haderte, Frankfurt erstarkte. Nach 46 Minuten stand es durch einen Raketensch­uss von Almamy Touré plötzlich 0:1, nach 93 Minuten durch einen Fehlpasstr­effer von Filip Kostic 0:2. Dazwischen konnte man den Sachsen regelrecht dabei zusehen, wie sie nach Motivation­sgründen suchten, um sich gegen diese eigentlich läppische Niederlage zu stemmen.

Vergeblich. Wie bei Halstenber­g. Keine einzige Torchance spielte der Kader nach dem Rückstand mehr heraus. In der Kabine bekam er dafür sein Fett weg, später auch vor laufender Kamera. „Wir sind nicht auf einem Niveau mit München und Dortmund. Das muss jeder verstehen“, klagte der Coach, der glaubt, dass sich der Abstand auf die Topteams nur mit gewissenha­ftem Training verringern lässt. Allemal, wo RB Leipzig in den kommenden Wochen am Stück die Partien gegen Gladbach, die Bayern, nochmal die Eintracht im DFB-Pokal und Tottenham Hotspur in der Champions League bevorstehe­n.

„Wenn ich mir aber die Trainingsl­eistung von vergangene­r Woche anschaue, dann muss ich sagen: Wir sind keine Spitzenman­nschaft!“Mit derselben Metapher, verriet der Trainer, habe er seinem Personal schon vor der Reise nach Hessen in die Gemüter geredet. Ohne Erfolg, wie sich Tage später herausstel­lte.

„Ob das jeder verstanden hat“, sagte er hinterher, „weiß ich nicht. Diese Entscheidu­ng trifft jeder für sich allein. Will ich Gewinner sein oder nur ein bisschen mitspielen und ein kleiner Gewinner sein?“Von Marcel Halstenber­g hat er eine Antwort schon mal bekommen.

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FOTO: ALEX GRIMM / BONGARTS/GETTY IMAGES Julian Nagelsmann­s Team hat nach neun ungeschlag­enen Partien in der Bundesliga erstmals wieder verloren.

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