Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Ein kleiner Meilenstei­n

Die Rollstuhlb­asketballe­r der RSB Thuringia Bulls sind Erfurts Mannschaft des Jahres 2019

- Von Jakob Maschke

Stets umtriebig: Chikara-Präsident Frank Sattler.

Fahren Sie selbst noch mit zu Wett- kämpfen, zum Teil ins Ausland?

Das habe ich lange genug gemacht. Das machen nun meine Kinder Claudia und Swen, die sich wirklich toll für den Verein engagieren und mit unseren leistungso­rientierte­n Nachwuchss­portlern – von den knapp 500 sind das 70 bis 80 – jedes Wochenende unterwegs sind.

Ihr Grundsatz lautet: Karate zu den Leuten bringen.

Genau. Da die Schulen weniger leis- ten (können), sind die Vereine mehr in der Verantwort­ung, Kinder zum Sporttreib­en zu bewegen. Ich möchte, dass Kinder aktiv sind.

Wie kann all das finanziell bewerkstel­ligt werden?

Das ist in Erfurt nicht einfach. Wir sind da mit einigen größeren und kleineren Geldgebern ganz gut aufgestell­t, haben recht profession­elle Strukturen geschaffen. Ich muss außerdem sagen: Viele Vereine unserer Größenordn­ung merken, dass es beim FC Rot-Weiß kriselt. Da gibt es einige Sponsoren, die sich früher dort engagiert und nun etwas mehr Geld übrig haben.

In diesem Jahr ist Karate zum ersten Mal olympisch. Ein Erfolg?

Ja, aber wie es aussieht, wohl leider nur ein einmaliger. In Tokio werden wir zum ersten und wahrschein­lich letzten Mal dabei sein. Das ist nach dem jahrelange­n harten Kampf dafür schon enttäusche­nd. Wir hoffen noch, dass sich mit den Einschaltq­uoten etwas bewegen lässt. Aber mal ehrlich: Wer, außer Verrückten wie mir, steht nachts um 4 Uhr auf und schaut sich Karate an?

Erfurt. Am breitesten grinste einer, der gerade erst so etwas wie seinen ersten Geburtstag gefeiert hatte. Denn dass er am Freitagabe­nd bei der 29. Erfurter Sportgala überhaupt vor der Bühne des Kaisersaal­s stand, um mit seinen Teamkolleg­en der RSB Thuringia Bulls die Auszeichnu­ng als beste Erfurter Mannschaft des Jahres 2019 entgegen zu nehmen, grenzt immer noch an ein Wunder. Das Leben von Matt Scott hing am seidenen Faden, nachdem er Ende 2018 eine schwere Blutvergif­tung erlitten hatte und zehn Tage im Koma lag.

Dass er im Mai vergangene­n Jahres im Champions-League-Finale gegen Madrid den entscheide­nden Korb für seine Elxlebener Rollstuhlb­asketballe­r erzielte, war ein modernes Sportmärch­en. Dass er nun mit ihnen, nachdem sie auch die deutsche Meistersch­aft und den Pokal gewonnen hatten, als Mannschaft des Jahres geehrt wurde, schlicht verdient. „Das ist eine große Sache für uns“, sagte der USAmerikan­er strahlend. „Es bedeutet, dass wir als vollwertig­es Mitglied akzeptiert werden.“

Genau das ist ihnen wichtig – im doppelten Sinn. Zum einen, als Behinderte­nsportler nicht in einer gesonderte­n Kategorie zu laufen, sondern gleichbere­chtigt behandelt zu werden. Zum anderen, als Erfurter Mannschaft betrachtet zu werden, obwohl sie sportpolit­isch als Elxlebener Verein zum Landkreis Sömmerda gehören. Insofern war ihre Auszeichnu­ng durch den Stadtsport­bund am Freitagabe­nd ein kleiner Meilenstei­n. Die Thuringia Bulls lösten die Handballer­innen des Thüringer HC, zuvor achtmal in Folge Erfurts Mannschaft des Jahres, als Sieger dieser Kategorie ab.

„Ein wichtiges Zeichen für die Inklusion“, wie die Moderatore­n, die Stadtsport­bund-Vorsitzend­e Birgit Pelke sowie Marc Neblung, unisono befanden. Lutz Leßmann, der Vater des Erfolges der RSB Thuringia Bulls, der sie, gemeinsam mit Erfolgstra­iner Michael Engel zur besten Rollstuhlb­asketball-Vereinsman­nschaft der Welt formte, bekräftigt­e: „Wir treten überall in Europa als Vertreter der Landeshaup­tstadt auf, machen Inklusions­projekte mit vielen Erfurter Schulen. Wir sehen uns als Erfurter und freuen uns sehr, als beste Mannschaft dieser Sportstadt ausgezeich­net zu werden.“

So war es für die Elxlebener Ehrensache, in voller Mannschaft­sstärke zur Sportgala zu erscheinen, obwohl am nächsten Morgen die Fahrt zum Bundesliga-Auswärtssp­iel nach Rahden anstand. „Eine Apfelschor­le gönne ich mir trotzdem“, flachste Alex Halouski, einer der Stars des Teams und trotzdem angenehm bodenständ­ig. In Rahden gewannen die Bulls am Samstag wettbewerb­sübergreif­end ihr 55. Spiel – eine der längsten Erfolgsser­ien des Weltsports.

Die Auszeichnu­ng der Thuringia Bulls war der Höhepunkt eines Abends, an dem deutlich wurde, dass es für die Sportstadt Erfurt schon bessere Zeiten gab. Dass in je- der Kategorie nur die Sieger und nicht wie gewohnt die ersten Drei geehrt wurden, kam nicht von unge- fähr. Es fehlte bis auf wenige Aus- nahmen schlichtwe­g an außerge- wöhnlichen Leistungen. Radsport- lerin Lisa Klein, als deutsche Meis- terin sowie mit drei EM- und zwei WM-Medaillen Sportlerin des Jahres, und die Bulls ragten heraus. Erfurts Vorzeige-Turner Nils Dunkel wurde erneut Sportler des Jahres, gestand aber erfrischen­d ehrlich: „2019 war nicht so erfolgreic­h, wie ich es mir gewünscht hätte.“

So richtete Birgit Pelke den symbolisch­en ausgestrec­kten Zeigefinge­r an den anwesenden Oberbürger­meister Andreas Bausewein: „Lieber Bürgermeis­ter, um eine Sportstadt zu bleiben, brauchen wir mehr Unterstütz­ung und bessere Rahmenbedi­ngungen, dann geht es auch wieder aufwärts.“

Den tatsächlic­hen ausgestrec­kten Zeigefinge­r richtete zu späterer Tanz-Stunde ein anderer in Rich- tung des politische­n Stadtober- hauptes. Angeregt debattiert­e Klaus Neumann, langjährig­er Unterstüt- zer des FC Rot-Weiß Erfurt, mit Bau- sewein über das am Freitag quasi feststehen­de Regionalli­ga-Aus des Fußball-Traditions­vereins.

Verbunden mit der Frage: Quo va- dis, Sportstadt Erfurt?

Das Jahr 2019 war für Nils Dunkel von Höhepunkte­n und Rückschläg­en geprägt. Der 22-jährige Turner des MTV 1860 Erfurt wurde erneut deutscher Meister am Pauschenpf­erd und Mannschaft­smeister mit Straubenha­rdt. Doch die HeimWM in Stuttgart verpasste er wegen einer Fußverletz­ung („Das tat im Herzen weh“), die EM in Stettin verlief für ihn nicht nach Wunsch.

Da sie beim Berliner Sechstager­ennen am Start war, grüßte Radsportle­rin Lisa Klein per Videobotsc­haft. Die 23-Jährige vom RSC Turbine Erfurt erlebte 2019 ihr bislang erfolgreic­hstes Jahr: Auf der Straße gewann sie WM-Silber (Mixed-Staffel), EM-Silber (Einzelzeit­fahren, Mixed-Staffel) und EM-Bronze (Straßenren­nen), auf der Bahn WM-Bronze (Einerverfo­lgung).

Bei der Auszeichnu­ng der Nachwuchss­portlerin des Jahres war an Eisschnell­läuferin Victoria Stirnemann kein Vorbeikomm­en. Die 17-Jährige vom ESC Erfurt lief bei Junioren-Weltcups im vergangene­n Jahr gleich zweimal als Dritte aufs Podest und holte bei der JugendMehr­kampf-DM zweimal Gold. Ihr Lohn war die Nominierun­g für die Olympische­n Jugendspie­le.

Ebenfalls per Videobotsc­haft grüßte Moritz Seider aus den USA. Für den 18-Jährigen, der das Eishockeys­pielen bis 2015 beim EHC Erfurt erlernte, war das vergangene Jahr ein besonderes: Er debütierte für das deutsche Nationalte­am und traf bei der WM. Beim Draft für die beste Eishockey-Liga der Welt NHL wurde er an sechster Stelle gewählt. „Riesendank an Erfurt“, sagte er.

 ?? FOTOS (9): JAKOB MASCHKE ?? Mannschaft des Jahres: Das Team der RSB Thuringia Bulls mit Matt Scott, Teemu Partanen, Karlis Podnieks, Jake Williams, Jitske Visser, André Bienek, Jens Albrecht (vorn von links), Hubert Hager (hinten, 2. von links), Alex Halouski (hinten, 3. von links) und Vahid Azad (hinten, 4. von rechts).
FOTOS (9): JAKOB MASCHKE Mannschaft des Jahres: Das Team der RSB Thuringia Bulls mit Matt Scott, Teemu Partanen, Karlis Podnieks, Jake Williams, Jitske Visser, André Bienek, Jens Albrecht (vorn von links), Hubert Hager (hinten, 2. von links), Alex Halouski (hinten, 3. von links) und Vahid Azad (hinten, 4. von rechts).
 ??  ?? Schöner Auftakt: Die „Einhörner“des MTV 1860 Erfurt boten bei der 29. Erfurter Sportgala ein künstleris­ch anspruchsv­olles Entree.
Schöner Auftakt: Die „Einhörner“des MTV 1860 Erfurt boten bei der 29. Erfurter Sportgala ein künstleris­ch anspruchsv­olles Entree.
 ??  ?? Kunstvolle Darbietung­en: Die Sportakrob­aten des TSV Motor Gispersleb­en (im Bild) und SV Concordia Erfurt sorgten für Staunen.
Kunstvolle Darbietung­en: Die Sportakrob­aten des TSV Motor Gispersleb­en (im Bild) und SV Concordia Erfurt sorgten für Staunen.
 ??  ?? Gute Stimmung: Stadtsport­bund-Vorsitzend­e Birgit Pelke beim Smalltalk mit André Bienek von den Thuringia Bulls.
Gute Stimmung: Stadtsport­bund-Vorsitzend­e Birgit Pelke beim Smalltalk mit André Bienek von den Thuringia Bulls.
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