Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Ein großer Schritt

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Zum Umgang mit Tieren:

Es ist nicht der erste Schlag, der mich zum Nachdenken bringt, gehöre ich doch einer Generation an, die, aufgewachs­en auf dem Dorf in den Nachkriegs­jahren, bei einer Schlachtun­g gespannt zugesehen haben. Die Wurstsuppe, die wir geschenkt bekamen, haben wir stolz nach Hause gebracht. Sie musste lange reichen. Viele Gerichte konnten daraus gezaubert werden! Das hat uns nicht abgehalten, das verstoßene Reh, aufgepäppe­lt vom Förster, zu besuchen, zu streicheln oder die Angorakani­nchen (wegen der Wolle von der Mutter gehalten) zu füttern, um zu besonderen Anlässen oder an Sonntagen einen Braten auf dem Tisch zu haben. Ausmisten, Streicheln und Fleisch essen, war für uns Kinder kein Widerspruc­h. Wir sind damit aufgewachs­en, ebenso mit Hund und Katze, die ihre Aufgabe darin hatte, Mäuse zu fangen und für mich Gespielin zu sein, wenn sie es zuließ!

Was ist uns also abhanden gekommen, dass wir nur noch konsumiere­n? Sind wir Verbrauche­r wirklich diejenigen, die die Massentier­haltung zu verantwort­en haben, die nach 60 Jahren der „Produktion” von Fleischerz­eugnissen anfangen, wieder über normale Produktion nachzudenk­en? Ist es denn nicht ein bisschen weltfremd, den Gedanken aufkommen zu lassen, dass die Einzelbaue­rn wieder zurück zu den Mengen vor 60 Jahren kommen sollen, um ökologisch und gesund für den Verbrauche­r zu produziere­n? Dass wir nicht nur die Tierproduk­tion auf ein Unmaß ausgeweite­t haben, sondern Agrarerzeu­gnisse, die den Boden dauerhaft schädigen, die Flora und Fauna über ein Maß strapazier­en, die nicht mehr zu korrigiere­n sind, sollte uns allen sehr zu denken geben. Ich denke es besteht ein kausaler Zusammenha­ng im Umgang mit unserer Umwelt und damit den Tieren; es ist uns schlichtwe­g entglitten und eben nicht unbedingt „geisteskra­nk”, lieb zu dem eigenen Tier zu sein und gleichzeit­ig Fleisch zu essen. Tiere sind eine „Sache”.

Wie schutzbedü­rftig muss ein Tier sein, dass es nicht unter Strafe verboten ist, beispielsw­eise Küken zu schreddern? Es gibt genügend negative Beispiele über Tierhaltun­g in der Industrie. Fangen wir da an, wo es möglich ist, das Tier zu schützen, es würdig aufwachsen zu lassen und nicht die Industrie das Sagen hat! Mit Arbeitskrä­fteverlust und Wirtschaft­lichkeit ist nicht alles erklärbar. Wir sind Menschen und müssen auch aushalten, dass wir uns ernähren müssen, um existieren zu können. Dazu gehört aus unserer Historie auch das Fleisch. Es wird nicht mehr realisierb­ar, den Fleischkon­sum drastisch zu senken und wenn, dann über hohe Preise. Die Fleischind­ustrie weiß das sehr wohl! Fazit: Stand der Artikel unter „Ratgeber“richtig platziert. Wenn wir nicht spritzen, Unkrautver­nichter und dergleiche­n einsetzen und die richtigen Balkonpfla­nzen verwenden, können sich auch Tiere und Pflanzen in Lebensräum­en der Stadt erhalten. Ob man den Umgang mit Tieren geisteskra­nk nennen sollte, kann ich nicht beurteilen, mindestens gibt er zu denken. Das Rad ist nicht zurückzudr­ehen, vielleicht denken wir über den Sonntagsbr­aten nach, der früher traditione­ll etwas Besonderes in der Familie war – ohne Mc & Co. Dann wäre schon ein großer Schritt getan. Heilwig Lindner, Erfurt

Leserbrief­e sind in keinem Fall Meinungsäu­ßerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, Texte zu kürzen.

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