Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Der Banken-Schreck
Taavet Hinrikus revolutioniert Auslandsüberweisungen. Sein Start-up Transferwise ist 3,5 Milliarden US-Dollar wert
München. Er sieht harmlos aus. Taavet Hinrikus trägt Shirt, Jeans und schlichte Sneakers. Ruhig läuft der 38-Jährige über die Digital-Life-Design-Konferenz in München, grüßt hier und da höflich. Dieser Mann wirkt nicht wie einer, der den internationalen Bankenhäusern den Kampf ansagt. Doch genau das ist sein Job. Taavet Hinrikus ist ein Disruptor, ein Zerstörer. So heißt das, wenn junge Unternehmen traditionelle Geschäftsmodelle verdrängen. Mit einer Bewertung von 3,5 Milliarden US-Dollar ist Hinrikus’ Firma Transferwise eines der wertvollsten europäischen Fintechs.
Die Firma bietet eine neue Form von Auslandsüberweisungen an. Das System funktioniert so: Eine klassische Überweisung des Kundengeldes über Ländergrenzen findet nicht statt. Wer beispielsweise Geld von Deutschland in die USA überweisen möchte, zahlt den Betrag stattdessen in Euro auf ein Transferwise-Konto in Deutschland. Der Empfänger in den USA erhält den entsprechenden Wert in Dollar von einem amerikanischen Konto des Anbieters.
So gelingt es dem Fintech, Überweisungen per App bis zu zehnmal günstiger als traditionelle Banken durchzuführen – in Echtzeit und mit dem echten Wechselkurs. Zwar sind herkömmliche Transfers innerhalb der Eurozone nahezu kostenfrei, Überweisungen in andere Währungen kosten die Verbraucher aber oft viel Geld. Das liegt vor allem an versteckten Wechselkursaufschlägen
der Anbieter. Die Unternehmensberatung McKinsey hat ausgerechnet, dass Privatpersonen und kleine Unternehmen bei Überweisungen in fremde Währungen jährlich 200 Milliarden US-Dollar an Gebühren zahlen.
Zwei Freunde gründen ein 3,5 Milliarden Dollar-Fintech
Transferwise verlangt im Schnitt eine Abgabe von 0,6 Prozent pro Überweisung. Bei Banken werden hingegen bis zu fünf Prozent und mehr fällig. Das ärgerte Hinrikus, als er vor zehn Jahren nach London zog und Geld in seine Heimat Estland überweisen musste. „Es dauerte tagelang, und die Wechselkurse waren katastrophal“, erinnert er sich. Zufällig traf Hinrikus auf seinen Landsmann Kristo Käärmann, der ein ähnliches Problem mit Auslandsüberweisungen hatte. Gemeinsam gründeten sie im Jahr 2011 Transferwise.
Neun Jahre später arbeiten mehr als 2000 Mitarbeiter in weltweit 13 Büros. Im Gegensatz zu vielen anderen Finanz-Start-ups ist Transferwise bereits profitabel. Im letzten Jahr lag der operative Gewinn umgerechnet bei mehr als 14 Millionen Euro, der Umsatz bei über 212 Millionen Euro. Zu den Investoren gehören prominente Namen wie der Finanzinvestor Lone Pine, der Paypal-Gründer Peter Thiel sowie der Fondsriese Blackrock. Käärmann und Hinrikus sind nach wie vor die größten Anteilseigner.
Der Siegener Unternehmensberater Maik Klotz kennt sich aus in der Fintech-Szene. Er sieht in der Firma großes Potenzial. „Transferwise
hilft Kunden bei der Lösung eines Problems, das in den nächsten Jahren nicht kleiner werden wird“, sagt Klotz mit Blick auf die fortschreitende Globalisierung und Banken, die Innovationen verschliefen.
Bereits jetzt versenden mehr als sechs Millionen Nutzer jeden Monat umgerechnet rund 5,25 Milliarden US Dollar über Transferwise. Deutschland ist der größte Markt in
Kontinentaleuropa. „Wir sehen hier großes Potenzial“, sagt Hinrikus. Insbesondere mittelständische Unternehmen mit Exportorientierung zeigten großes Interesse.
Mit den deutschen Geldhäusern legte sich Transferwise kürzlich an – und verrechnete sich bei einem Gebührenvergleich kräftig. Unter anderem die Deutsche Bank und die Commerzbank hätten die Gebühren für Überweisungen nach Großbritannien
in nur drei Monaten um durchschnittlich 17 Prozent erhöht, prangerte die Firma an. Später stellte sich heraus, dass dem beauftragten Marktforschungsunternehmen massive Fehler unterlaufen waren. Transferwise musste sich entschuldigen.
Der Gründer begann beim Videodienst Skype
Taavet Hinrikus kennt die Aufs und Abs im Geschäftsleben seit seinen Zwanzigern. 2003 war er der erste Mitarbeiter und Chef-Stratege beim Videodienst Skype, der später für 8,5 Milliarden US-Dollar von Microsoft gekauft wurde. Hinrikus erlebte, wie aus einer kleinen Idee eine gigantische Firma entstand, die Kommunikation weltweit veränderte. Plötzlich waren Videoanrufe in alle Länder der Erde möglich und das vollkommen kostenlos. Heute versendet Hinrikus Geld statt Gespräche.
Der Gründer wurde in der Sowjetunion geboren, studierte in Singapur, heiratete eine Italienerin, die in Deutschland aufgewachsen ist. Mit ihren beiden Kindern leben sie in London. Auf Instagram zeigt Hinrikus, wie er in Sydney einen Marathon läuft oder mit Kollegen den Mont Blanc besteigt. Seit zwei Jahren ist er Chairman und kümmert sich um die langfristige Ausrichtung der Firma. Mitgründer Käärmann hat den CEO-Posten übernommen. „Das gibt mir mehr Flexibilität“, sagt Hinrikus. Doch das bedeute nicht, dass er mit Transferwise bereits alle Ziele erreicht hat. Im Gegenteil: „Unsere Geschichte hat gerade erst begonnen.“