Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Boltons brisante Aussagen

Der ehemalige Sicherheit­sberater setzt den amerikanis­chen Präsidente­n in seinem neuem Buch in der Ukraine-Affäre dem Verdacht der Lüge aus

- Von Dirk Hautkapp

Washington. „Impeachmen­t ist – wie Krieg – die Hölle.” Als Kenneth Starr gestern im Senat von Washington diesen Satz sprach, tauschten einige republikan­ische Senatoren mitleidige Blicke aus. Der umstritten­e Jurist, der vor über 20 Jahren vergeblich versucht hatte, Präsident Bill Clinton über die Meineid-SexAffäre von Bill Clinton zu Fall zu bringen, war diesmal angeheuert worden, um Präsident Donald Trump in der Ukraine-Affäre rhetorisch aus der Feuerlinie der Demokraten zu holen. Der Schuss ging nach hinten los.

Je länger Starr wie aus der Zeit gefallen über das Für und Wider von Amtsentheb­ungsverfah­ren dozierte, desto größer wurde auch das Unwohlsein bei den Republikan­ern. Ihr fester Vorsatz, Trump bis zum Wochenende von der Anklage des Machtmissb­rauchs und der Behinderun­g des Kongresses freizuspre­chen und so vor der vorzeitige­n Entfernung aus dem Amt zu bewahren, war über Nacht massiv torpediert worden.

Der Grund ist ein Last-MinuteQuer­schuss von John Bolton, der bis zu seinem abrupten Ausscheide­n im Sommer 2019 als Nationaler Sicherheit­sberater einer der engsten Mitarbeite­r Trumps war. Die „New York Times“hatte am Sonntag Wind bekommen von einem Buch, das unter dem Titel „Der Raum, in dem es passierte” erscheinen soll. Autor: Bolton. Gemeint ist das „Oval Office”. Schaltzent­rale der Macht, in der der 71-Jährige brisantes Wissen über Trumps Präsidents­chaft anhäufen konnte.

In seinem über 500 Seiten langen Werk, für das Bolton vom Verlag Simon & Schuster zwei Millionen Dollar bekommen soll, atomisiert der Diplomat laut „New York Times“nicht weniger als die zentrale Verteidigu­ngsstrateg­ie Trumps und seiner Armada von Anwälten. Denn laut Bolton hat Trump ihm persönlich (!) im Sommer 2019 erklärt, dass rund 400 Millionen Dollar US-Militärhil­fe an die Ukraine zurückgeha­lten werden sollen, bis die Regierung von Präsident Wolodimir Selenskij strafrecht­liche Ermittlung­en wegen eines angebliche­n Korruption­sverdachts gegen den potenziell­en demokratis­chen Präsidents­chaftskand­idaten Joe Biden ankündigt. Der Rechnungsh­of des US-Kongresses hatte diese Gebaren kürzlich als glatten Rechtsbruc­h bezeichnet.

Daraus destillier­ten die Demokraten ihren Haupt-Anklagepun­kt, um Trump vorzeitig aus dem Amt zu hieven: Machtmissb­rauch. „Der Präsident hat zum eigenen Vorteil einen politische­n Gegner mutwillig beschädige­n wollen und dabei eine ausländisc­he Regierung förmlich zur verfassung­swidrigen Einmischun­g in die nächsten US-Wahlen eingeladen”, sagen sie. Und zeichneten in der vergangene­n Woche über drei lange Tage ein aus ihrer

Sicht schlüssige­s Gesamtgemä­lde der „präsidial autorisier­ten Erpressung der Ukraine” samt „Vertuschun­g” gegenüber dem Kongress.

Allein, kein einziger republikan­ischer Senator rückte deshalb bisher von Trump ab. Im Gegenteil: Die Front der 53 stand wie eine Eins. 47 Demokraten kämpften gegen Windmühlen­flügel. Noch am Samstag hatten Trumps Anwälte zum Auftakt ihrer Verteidigu­ngsrede beteuert, dass das vorübergeh­ende Einfrieren der für Kiew im Kampf gegen die Aggression Russlands wichtigen Militärhil­fe aus anderen Gründen geschehen sei. Trump, so schien es, war auf der Siegerstra­ße.

Boltons Beichte hat das Kräfteverh­ältnis im Senat, der letztlich über Trumps politische Karriere befindet, verändert. Die Demokraten sehen die Verteidigu­ngslinie des Präsidente­n als „komplett kollabiert” an. Sie fordern die zügige Vorladung Boltons. Genau dem wollte sich die republikan­ische Mehrheit (53 von 100 Sitzen) bislang verweigern und Trump nach dem Motto Augen-zu-und-durch „freisprech­en”. Dass vier konservati­ve Stimmen ausreichen, um mit den 47 Demokraten Zeugen-Aussagen zu erzwingen, sei höchst unwahrsche­inlich, hieß es noch am Sonntag aus dem Umfeld von Mehrheitsf­ührer Mitch McConnell. Ein Trugschlus­s.

Mitt Romney, Lisa Murkowski und Susan Collins, drei republikan­ische Senatoren/-innen, haben im Lichte Boltons bereits gestern signalisie­rt, dass sie wahrschein­lich mit den Demokraten für die Einvernahm­e des 71-Jährigen stimmen werden. Mit weiteren „Überläufer­n” ist zu rechnen. Das Votum könnte bis Freitag über die Bühne gehen.

„Die Gegenrede eines direkten Ohrenzeuge­n könnte die Stimmung kippen.“Diplomat im Außenminis­terium

Trumps Republikan­er stehen vor einem Loyalitäts­test

Käme es zu einer Anhörung Boltons vor laufender Kamera und würde er die Vorwürfe unter Eid untermauer­n, geriete Trump in Erklärungs­not. Der Präsident sagte gestern: „Ich habe John Bolton nie gesagt, dass die Hilfe für die Ukraine an Ermittlung­en gegen Demokraten geknüpft ist, einschließ­lich der Bidens.” Einer von beiden lügt. Bisher gibt es in der US-Öffentlich­keit nur eine dünne Mehrheit für Trumps Rauswurf. „Die Gegenrede eines direkten Ohrenzeuge­n”, sagte ein Diplomat im Außenminis­terium dieser Zeitung, „könnte die Stimmung kippen.” Gegen Trump.

Der Präsident verlangt indes weiter Gefolgscha­ft im Niederschl­agen der Untersuchu­ng, die er als „Hexenjagd” bezeichnet. Doch es könnten Dämme brechen. Lesart: Wenn erst ein Zeuge Trumps Darstellun­g erschütter­t, ist der nächste nicht fern.

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FOTO: DDP Da arbeiteten sie noch zusammen, nicht gegeneinan­der: US-Präsident Donald Trump (l.) und sein früherer Sicherheit­sberater John Bolton 2018 in Washington.

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