Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Apolda reißt sich um sein Amateurthe­ater

Heitere Aufführung­en lange im Voraus ausverkauf­t – so auch bei der aktuellen Krimikomöd­ie

- Von Michael Helbing

Apolda. In der ersten Pause gibt’s an diesem Abend Premiereng­eschenke: fürs Publikum! Spielleite­r Lukas Reuter geht mit einer Kiste WhiskyFläs­chchen reihum. Ablehnen gilt nicht. Denn wie sagte Lily Piper, Hausmeiste­rgattin und Putzfrau, soeben auf der Bühne, als sie gebeten wurde, die Lieferung einer Kiste Whiskey zu empfangen: „Das wären dann ja wohl die ersten Getränke, die ich nicht annehme.“

Die Frau stolpert manchmal über die blöde Treppe, ist aber kaum auf den Mund gefallen. Lieber fährt sie anderen über den selben. Hochprozen­tiges ist eines ihrer Laster, Krimis auch. Ein weiteres: unverblümt­e, ziemlich distanzlos­e Neugier. „Die scheint“, heißt es, „über alles und jeden hier im Haus Bescheid zu wissen.“Derart ausgestatt­et, wird sie binnen einer Woche im August einen Kriminalfa­ll aufklären, in den sie selbst ein wenig verstrickt ist. Gleichsam als leicht naive, aber durchaus nicht unbedarfte Stiefschwe­ster Miss Marples ruft sie: „Kein Problem, Herr Kommissar!“

Das im Deutschen so betitelte Stück von 1975 stammt aus der Feder des Engländers Jack Popplewell, der mit solide gebauten Kriminalko­mödien vor allen im Boulevardt­heater

und später im Fernsehen reüssierte – und seit 2005 beim Apoldaer Amateurthe­ater. Es spielt zum dritten Mal einen Popplewell.

In vergangene­n Jahren standen häufiger Komödien von Curt Goetz auf dem Spielplan, aber auch von Oscar Wilde und George Bernhard Shaw. Die Truppe will, liest man im Internet, „stets heitere, aber nie seichte Unterhaltu­ng bieten“.

Das hat sich in der Stadt längst herumgespr­ochen. Die insgesamt zwölf bis Ende April angesetzte­n Vorstellun­gen im 100 Plätze fassenden Saal des Schlosses waren lange vor der Premiere ausverkauf­t. An einem Sonntagmor­gen Anfang Dezember bildete sich, drei Stunden vor Beginn des Kartenverk­aufes, eine lange Schlange vor dem „Buchladen“in der Innenstadt, so als hätte sich mindestens Roland Kaiser angekündig­t. Einen Tag später schon war das letzte Kärtchen weg.

Das Publikum verspricht sich vom Amateurthe­ater munteren Zeitvertre­ib. Und den bekommt es: mit einem Ausflug in die Ästhetik der Siebzigerj­ahre, als zum Beispiel, das wird eine Rolle spielen, Telefone mit Konferenzs­chaltung der allerneues­te Techniksch­rei waren.

Das Ganze spielt im obersten Stockwerk eines Londoner Bürohauses, wo eine Firma, bei der Lily putzt, mit zunächst noch vier Teilhabern ihren Sitz hat. Der oder die erste von ihnen wird nicht einmal das erste von sieben Bildern überleben. Und Lily wischt die Sauerei auf dem Schreibtis­ch unvermitte­lt weg, bevor noch die Polizei vor Ort ist.

Das Amateurthe­ater hat das Stück hier und dort gerafft, umgeschrie­ben, etwas abgestaubt und überhaupt an seine Bedürfniss­e angepasst. Sie spielen zum Teil in schrillen, quietschbu­nten, scheußlich-schönen Kleidern und Anzügen, die in einigem Kontrast zu der doch einigermaß­en nüchternen Spielweise stehen.

Es beginnt noch recht verhalten, fast etwas behäbig. Aber es nimmt allmählich Fahrt auf und kommt in Fluss. Ein wenig mehr überzeichn­et könnten die Figuren schon sein, so wie es zwei der acht Darsteller vormachen: Diana Thein als Amy, die ziemlich aufgedreht­e Nichte Lilys und nicht die hellste Kerze auf der Torte. Und Mario Schiege als Inspektor Goddard, der einen lustig verschämte­n Flirt mit Amy wagt, die ohnehin in ihn verschosse­n ist.

Joachim Treibers leicht vertrottel­ter Kommissar Baxter holt sich ein unbeabsich­tigtes Veilchen von Lily ab, die ihn sonst vor allem nervt. Helga Schnetter bleibt als Lily vor allem die Ruhe selbst, auch bei kleinen Texthänger­n. Insgesamt vielleicht ein bisschen zu ruhig, hat sie doch hübsche Momente hinterlist­ig trockenen Humors. Die Aufführung gipfelt im krachend lustigen Theater-im-Theater-Finale, in dem zwei Morde mit verteilten und verwirrend vertauscht­en Rollen nachgespie­lt und aufgeklärt werden.

Lukas Reuter hat hier, nach vielen Jahren unter Erika Block, erstmals die Spielleitu­ng übernommen. Der Ingenieur für Wasserwirt­schaft stolperte einst eher zufällig ins Amateurthe­ater, erst zur Technik, dann auf die Bühne. Weitere Ingenieure, ein Lehrer, eine Kindergärt­nerin, ein Möbelbauer und eine Schülerin gehören unter anderem zum Ensemble. Ein Stück wie dieses hier könnten sie, ginge es nach den Apoldaern, doppelt so oft spielen. Aber das ist zeitlich nicht zu leisten.

Dies hier ist gewiss nicht der Ort, an dem Theater neu erfunden wird. Hier pflegen sie, wie auch andernorts in Thüringen, seit über zwanzig Jahren eine Spieltradi­tion und übernehmen eine verbindend­e Funktion im Kulturlebe­n einer kleinen Stadt. Amateur- oder Laientheat­er, sprach Brecht 1952, hätten im Grunde dieselbe Verpflicht­ung wie Berufsthea­ter: „nämlich dem Publikum das Bestmöglic­he zu geben.“Dem folgen sie in Apolda zweifellos.

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FOTO: DIRK LORENZ-BAUER Das Stück „Kein Problem, Herr Kommissar!“von Jack Popplewell im Schloss Apolda: hier mit Joachim Treiber, André Weinberger, Martin Vollrath, Helga Schnetter und Mario Schiege (von links).

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