Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Apolda reißt sich um sein Amateurtheater
Heitere Aufführungen lange im Voraus ausverkauft – so auch bei der aktuellen Krimikomödie
Apolda. In der ersten Pause gibt’s an diesem Abend Premierengeschenke: fürs Publikum! Spielleiter Lukas Reuter geht mit einer Kiste WhiskyFläschchen reihum. Ablehnen gilt nicht. Denn wie sagte Lily Piper, Hausmeistergattin und Putzfrau, soeben auf der Bühne, als sie gebeten wurde, die Lieferung einer Kiste Whiskey zu empfangen: „Das wären dann ja wohl die ersten Getränke, die ich nicht annehme.“
Die Frau stolpert manchmal über die blöde Treppe, ist aber kaum auf den Mund gefallen. Lieber fährt sie anderen über den selben. Hochprozentiges ist eines ihrer Laster, Krimis auch. Ein weiteres: unverblümte, ziemlich distanzlose Neugier. „Die scheint“, heißt es, „über alles und jeden hier im Haus Bescheid zu wissen.“Derart ausgestattet, wird sie binnen einer Woche im August einen Kriminalfall aufklären, in den sie selbst ein wenig verstrickt ist. Gleichsam als leicht naive, aber durchaus nicht unbedarfte Stiefschwester Miss Marples ruft sie: „Kein Problem, Herr Kommissar!“
Das im Deutschen so betitelte Stück von 1975 stammt aus der Feder des Engländers Jack Popplewell, der mit solide gebauten Kriminalkomödien vor allen im Boulevardtheater
und später im Fernsehen reüssierte – und seit 2005 beim Apoldaer Amateurtheater. Es spielt zum dritten Mal einen Popplewell.
In vergangenen Jahren standen häufiger Komödien von Curt Goetz auf dem Spielplan, aber auch von Oscar Wilde und George Bernhard Shaw. Die Truppe will, liest man im Internet, „stets heitere, aber nie seichte Unterhaltung bieten“.
Das hat sich in der Stadt längst herumgesprochen. Die insgesamt zwölf bis Ende April angesetzten Vorstellungen im 100 Plätze fassenden Saal des Schlosses waren lange vor der Premiere ausverkauft. An einem Sonntagmorgen Anfang Dezember bildete sich, drei Stunden vor Beginn des Kartenverkaufes, eine lange Schlange vor dem „Buchladen“in der Innenstadt, so als hätte sich mindestens Roland Kaiser angekündigt. Einen Tag später schon war das letzte Kärtchen weg.
Das Publikum verspricht sich vom Amateurtheater munteren Zeitvertreib. Und den bekommt es: mit einem Ausflug in die Ästhetik der Siebzigerjahre, als zum Beispiel, das wird eine Rolle spielen, Telefone mit Konferenzschaltung der allerneueste Technikschrei waren.
Das Ganze spielt im obersten Stockwerk eines Londoner Bürohauses, wo eine Firma, bei der Lily putzt, mit zunächst noch vier Teilhabern ihren Sitz hat. Der oder die erste von ihnen wird nicht einmal das erste von sieben Bildern überleben. Und Lily wischt die Sauerei auf dem Schreibtisch unvermittelt weg, bevor noch die Polizei vor Ort ist.
Das Amateurtheater hat das Stück hier und dort gerafft, umgeschrieben, etwas abgestaubt und überhaupt an seine Bedürfnisse angepasst. Sie spielen zum Teil in schrillen, quietschbunten, scheußlich-schönen Kleidern und Anzügen, die in einigem Kontrast zu der doch einigermaßen nüchternen Spielweise stehen.
Es beginnt noch recht verhalten, fast etwas behäbig. Aber es nimmt allmählich Fahrt auf und kommt in Fluss. Ein wenig mehr überzeichnet könnten die Figuren schon sein, so wie es zwei der acht Darsteller vormachen: Diana Thein als Amy, die ziemlich aufgedrehte Nichte Lilys und nicht die hellste Kerze auf der Torte. Und Mario Schiege als Inspektor Goddard, der einen lustig verschämten Flirt mit Amy wagt, die ohnehin in ihn verschossen ist.
Joachim Treibers leicht vertrottelter Kommissar Baxter holt sich ein unbeabsichtigtes Veilchen von Lily ab, die ihn sonst vor allem nervt. Helga Schnetter bleibt als Lily vor allem die Ruhe selbst, auch bei kleinen Texthängern. Insgesamt vielleicht ein bisschen zu ruhig, hat sie doch hübsche Momente hinterlistig trockenen Humors. Die Aufführung gipfelt im krachend lustigen Theater-im-Theater-Finale, in dem zwei Morde mit verteilten und verwirrend vertauschten Rollen nachgespielt und aufgeklärt werden.
Lukas Reuter hat hier, nach vielen Jahren unter Erika Block, erstmals die Spielleitung übernommen. Der Ingenieur für Wasserwirtschaft stolperte einst eher zufällig ins Amateurtheater, erst zur Technik, dann auf die Bühne. Weitere Ingenieure, ein Lehrer, eine Kindergärtnerin, ein Möbelbauer und eine Schülerin gehören unter anderem zum Ensemble. Ein Stück wie dieses hier könnten sie, ginge es nach den Apoldaern, doppelt so oft spielen. Aber das ist zeitlich nicht zu leisten.
Dies hier ist gewiss nicht der Ort, an dem Theater neu erfunden wird. Hier pflegen sie, wie auch andernorts in Thüringen, seit über zwanzig Jahren eine Spieltradition und übernehmen eine verbindende Funktion im Kulturleben einer kleinen Stadt. Amateur- oder Laientheater, sprach Brecht 1952, hätten im Grunde dieselbe Verpflichtung wie Berufstheater: „nämlich dem Publikum das Bestmögliche zu geben.“Dem folgen sie in Apolda zweifellos.