Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Frieden als oberstes persönliches Gebot
Der Erfurter Wilfried Wolf zu den Holocaust-Gedenktagen und zum 8. Mai 1945, der für ihn nach wie vor als Tag der Befreiung gelten sollte
Erfurt. Wenn jemand wie Wilfried Wolf gerade 60 Jahre alt geworden ist, dann kennt er das Kriegsende vor 75 Jahren nur noch aus Erzählungen wie denen des Vaters Werner Wolf: Eisenbahner und Sohn einer Arbeiterfamilie im Erfurter Norden. „Im Bereich Nordhäuser Bahnhof beobachtete er als Lehrling wiederholt, wie Häftlinge beim Gleisbau schikaniert und ermordet wurden.“Als Luftschutzhelfer fühlte sich der Junge Werner dem Krieg eher ausgeliefert als in einer verordneten Heldenrolle.
Der Großvater war Häftling im KZ Buchenwald
Mehr noch prägten Wilfried Wolfs Haltung „die Schilderungen meiner Großmutter mütterlicherseits“. Ihr Mann erlebte die Befreiung im Konzentrationslager Buchenwald, war zuvor Haftgefährte von Ernst Thälmann. Der 8. Mai 1945 besiegelte nicht allein das Kriegsende. „Für uns ist es der Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus“, sagt Wilfried Wolf. „Ein Sieg der Gerechtigkeit“, verurteilt er einige Fernsehsender, die noch heute jeden Tag unter dem Deckmantel der Dokumentation die Wehrmacht marschieren lassen, unkommentiert die Gräuel an Menschen vieler Nationen zeigen. „Das wird den Opfern nicht gerecht.“
Wilfried Wolfs (Groß-)Eltern leben nicht mehr. Er lernte nach der Schule Maurer und Fliesenleger, arbeitete dann in den Erfurter Malzwerken als Mälzer. Doch nach seiner Armeezeit wurde er – wie der Vater – Eisenbahner: Er war Rangierer, in der Materialwirtschaft als Bereichsleiter und Einkäufer.
Ritterliches Verhalten bedeutet auch Verantwortung
1992 beging Erfurt sein 1250-jähriges Bestehen. Damals fand Wilfried Wolf in die Erfurter Veranstaltungswurde szene. Als „Graf von Gleichen“repräsentierte er die Ritterschaft Erfordia. „Hier kann man Fantasie und Geschichte verbinden.“
Ein kämpfendes Hobby für einen bekennenden Pazifisten? Kein Widerspruch
bewies er bei seinem Engagement in der ehrenamtlichen Kinder- und Jugendarbeit. Bei Freizeiten für Kinderheim-Kinder, auch auf der Burg Gleichen, lebte er ihnen vor, dass ein Ritter Verantwortung
übernimmt, zu den Tugenden gehört der Schutz Schwächerer. Auch organisiert er mit kirchlichen Partnern seit Jahren Spenden- und Ferienaktionen für Kinder aus sozialschwachen Familien. Dafür
er 2018 als einziger Deutscher mit der „Goldenen Palme von Assisi“geehrt, gehört dem Ritterorden Guardia di Pace an.
Derzeit Fernstudium im Fach Theologie
Intensiv hat sich Willi Wolf mit Ordensund Kirchengeschichte beschäftigt, macht derzeit ein Theologie-Fernstudium. Obwohl er kommunistisch aufwuchs, ist er seit Jahren Christ. Das Verbindende sieht er im Humanismus. Über die Akademie des Ritterordens in Aleppo, bekamen Krieg und Flüchtlingsdebatten für ihn ein persönliches Gesicht. Weltweit hat er erfahren, dass Freundschaft, nicht Herkunft verbindet. Verfolgt wurden von den Nazis Minderheiten und Andersgläubige. Seine Generation der Nachgeborenen sei nicht schuld. „Aber wir sind dafür verantwortlich, dass es nie wieder passiert.“
Der Respekt gebiete die Glaubensausübung ohne Rechtfertigung, lebt Wilfried Wolf vor, besucht als Christ auch die jüdische Gemeinde. Beim November-Gedenken 2019 stand er mit in der Menschenkette um die Synagoge am Gagarin-Ring. In Facebook nannte man ihn dafür „Judenfreund“. Gelassen sagt er: „Das ist für mich eher Ansporn.“Alarmierend seien die nachfolgenden Bedrohungen: in Erfurt, im 75. Jahr nach Kriegsende und Faschismus.
„Wir entfernen uns vom demokratischen Verständnis“, beobachtet er mittlerweile auch in seiner Familie geteilte Meinungen zu politischen Tendenzen und Populismus. Ja, er sehe eine Kriegsgefahr. Wilfried Wolf ist wichtig, darüber zu diskutieren und öffentlich Haltung zu zeigen: bei Demos, an Aktionstagen zum 1. oder 8. Mai jeden Jahres.
Er lebe nach den zehn Geboten. Sie ermöglichen ein friedliches Miteinander. „Dafür muss man kein Christ sein.“Aber die Vergangenheit kennen. . .