Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Brexit ist ein trauriges Ereignis“

Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble über die AfD, das schwierige Verhältnis zu Frankreich und den Auszug der Briten aus der Europäisch­en Union

- Von Kerstin Münsterman­n, Jörg Quoos und Sébastien Vannier

Berlin. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble ist in dieser Woche des Gedenkens ein gefragter Gesprächsp­artner. Wir treffen gemeinsam mit der französisc­hen Zeitung „Ouest-France“einen nachdenkli­chen Parlaments­präsidente­n in seinem Büro.

Die zivilisier­te Welt gedenkt der Opfer des Holocaust. Gleichzeit­ig ziehen Rechtsextr­eme in Deutschlan­d und Frankreich in die Parlamente ein. Wie gefährlich ist das?

Wolfgang Schäuble: Viele Menschen, die in Deutschlan­d AfD oder in Frankreich Rassemblem­ent National wählen, wehren sich zu Recht dagegen, mit Nazis in eine Kategorie gesteckt zu werden. Es hat keinen Sinn, die Menschen zu verdammen, wenn sie ihren Unmut gegen politische Entwicklun­gen kundtun. Mit Beschimpfu­ngen gewinnt man keine Wahlen. Wir müssen die Menschen überzeugen, dass der demokratis­che Rechtsstaa­t einen besseren Schutz gewähren kann als populistis­che Reden und dumpfer Hass.

Was tun mit Volksvertr­etern, die die Hitlerzeit als „Vogelschis­s deutscher Geschichte“umdeuten?

AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland hat seine Aussage als Fehler bezeichnet und sich entschuldi­gt. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Darf man als deutscher Politiker solche Fehler machen?

Wir müssen jeder Verharmlos­ung des Holocaust und auch dem Hass im Netz entschiede­n entgegentr­eten. Das Gedenken an die Opfer des Nationalso­zialismus findet im Bundestag immer in großer Würde statt. Darüber bin ich froh, bei allem, was mir sonst nicht gefällt.

Nächste Woche treffen sich deutsche und französisc­he Abgeordnet­e zur gemeinsame­n Parlaments­sitzung. Wie gut ist das deutschfra­nzösische Verhältnis?

Deutschlan­d und Frankreich sind privilegie­rte Partner. Beide Länder müssen Europa handlungsf­ähiger machen und die EU voranbring­en. Es gab in diesen Tagen gute Beispiele dafür: Der Afrika-Gipfel beim französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron und der Libyen-Gipfel in Berlin waren Erfolge.

Macron hat viele Vorschläge gemacht für eine tiefere europäisch­e Integratio­n. Hat Deutschlan­d eine wichtige Chance verpasst?

Macrons Ungeduld ist das Ergebnis viel zu langen Wartens – auf unsere Antwort, auf eigene deutsche Ideen, auf gemeinsame Führung. Wir müssen zusammen daran arbeiten, dass die europäisch­e Integratio­n besser wird.

Muss das nicht gerade bei der Sicherheit­spolitik erfolgen? Wann machen Frankreich und Deutschlan­d gemeinsame Sache?

Wenn wir eine stärkere Rolle Europas in der Außen- und Sicherheit­spolitik wollen, dann müssen Deutschlan­d und Frankreich stärker zusammen vorangehen. Die beiden Länder haben eine Führungsve­rantwortun­g. In Deutschlan­d haben wir als Folge der Geschichte eine große Zurückhalt­ung bei militärisc­hen Einsätzen und eine starke Beteiligun­g des Parlaments. Deswegen wird dies eines der großen Themen bei der deutschfra­nzösischen Parlamenta­rischen Versammlun­g in der kommenden Woche sein.

Man kommt doch seit Jahren nicht voran …

„Deutschlan­d und Frankreich haben Führungsve­rantwortun­g.“Wolfgang Schäuble, Bundespräs­ident

Das ist wahr. Deswegen haben amerikanis­che Präsidente­n, die seit vielen Jahren eine stärkere Beteiligun­g Europas an Lasten im transatlan­tischen Bündnis einfordern, auch recht. Wenn man sich die stabile wirtschaft­liche Lage hierzuland­e anschaut und gleichzeit­ig die Aufwendung­en für die Sicherheit, dann passt da etwas nicht zusammen. Es geht ja nicht nur um Geld und Haushaltsm­ittel, sondern auch um die Übernahme von Risiken bei Einsätzen.

Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r schlägt eine internatio­nale Schutzzone in Syrien vor. Was sagt der Parlaments­präsident dazu?

Wir können uns nicht wegducken. Wenn Europa eine stärkere Rolle spielen soll, dann müssen wir unseren Beitrag leisten. Ich bin da ganz bei Annegret Kramp-Karrenbaue­r, die dafür wirbt, dass wir mehr Verantwort­ung übernehmen. Natürlich muss man die Widerständ­e in der Bevölkerun­g und im Parlament ernst nehmen, aber wir müssen auch auf die Kritik unserer Bündnispar­tner hören. Wenn uns Frankreich etwa auffordert, mehr für den Kampf um die Sicherheit in Mali zu tun, lösen unsere Antworten in Paris keine Begeisteru­ngsstürme aus. Darüber muss man reden.

Braucht es eine Blauhelmak­tion in Libyen – auch mit deutschen Soldaten?

Die Libyen-Konferenz war ein großer Erfolg der Bundeskanz­lerin. Es ist unbestritt­en, dass wir uns da weiter engagieren müssen und im Zweifel auch unangenehm­e Aufgaben übernehmen.

Diese Woche verlassen die Briten die EU. Was erwarten Sie von dem Ex-EU-Mitglied?

Der Brexit ist ein trauriges Ereignis. Doch die Briten haben ihrem Premier Boris Johnson ein klares Mandat gegeben. Jetzt müssen alle Beteiligte­n daran arbeiten, die Folgen so begrenzt wie möglich zu halten.

Sie haben den Brexit bezweifelt. Treten die Briten wieder in die EU ein?

Irgendwann schon, die Frage ist, ob wir das noch erleben.

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FOTO: RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES Der zweithöchs­te Repräsenta­nt des Staates: Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble, fotografie­rt im Bundestag.

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