Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Mehr als eine Grande Dame der Fotografie
Evelyn Richter feiert ihren 90. Geburtstag
Dresden. „Ich will im Porträt zeigen, wie der Mensch zu sich findet. Ich suche den Augenblick der Konzentration, nicht das Extreme“, sagte Evelyn Richter einmal in einem Interview. Dem russischen Geiger David Oistrach (1908–1974) ist sie bis zum richtigen Moment zehn Jahre hinterhergereist: der Musiker in Schwarz-Weiß, konzentriert und mit perfekter Bogenhaltung, erzählt Peter Richter, der Bruder der Künstlerin, die an diesem Freitag 90 Jahre alt wird.
Evelyn Richter, 1930 in Bautzen geboren, zählt zu Deutschlands bedeutendsten Fotografinnen. Sie sei viel mehr als „eine Grande Dame der Fotografie“, sagt die Berliner Kunsthistorikerin Gabriele Muschter. „Eigenständig und originell, dabei voller Noblesse, unverwechselbar und dennoch den besagten Zeitgeist verkörpernd.“
Höhen und Tiefen, Verunsicherungen und Erfolge wechselten sich ab im Leben der Künstlerin. „Sie musste sich durchkämpfen, hat meist im eigenen Auftrag gearbeitet“, sagt ihr 14 Jahre jüngerer Bruder. Themen fand sie überall, dabei galt und gilt ihre besondere Liebe der Begegnung mit Menschen.
Mit 16 Jahren war die bürgerliche Tochter zunächst in die Goldschmiedelehre gegangen. Ab 1948 machte sie eine Ausbildung zur Fotografin. Nach kurzem Intermezzo an der TU Dresden bekommt sie
1953 das Fotografiestudium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. 1955 wird sie exmatrikuliert, weil sie sich gegen ideologisch bestimmte Verbote wehrt. Ab
1955 freischaffend, dokumentiert sie ungeschönt den Alltag in der DDR. Ihre Werke konnte Richter weder veröffentlichen noch verkaufen. Bis 1979 dauerte es bis zur ersten Einzelausstellung, zwei weitere Jahre bis zu einer Anstellung: 1981 bekam sie einen Lehrauftrag an der Hochschule, von der sie als Studentin verwiesen wurde, 1991 dann eine Professur.
Eine Leica ist 2014 mit Evelyn Richter ins Pflegeheim gezogen.
2012 entstanden die letzten Aufnahmen.