Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Weniger Essen für die Tonne

Mit einem Projekt haben Jenaer Schüler die Abfallmeng­e deutlich verringert

- Von Sibylle Göbel

Jena/Erfurt. Schmeckt das Schulessen nicht oder die Portionen sind zu üppig, landet ein Teil davon unweigerli­ch im Abfall. Schüler der Jenaer Jenaplansc­hule mochten das indes nicht als unabänderl­ich hinnehmen. Sie stellten sich angesichts teils voller Müllkübel die Frage, wie die Menge der Lebensmitt­el, die für die Schulspeis­ung erzeugt und verarbeite­t, dann aber weggeworfe­n wird, verringert werden kann. Denn wenn – wie es die Bundesregi­erung als Ziel formuliert hat – bis zum Jahr 2030 bundesweit nur noch halb so viel Essen im Müll landen soll wie jetzt, muss jeder dazu seinen Beitrag leisten.

Weil ihre Schule schon lange Kontakt zur Vernetzung­sstelle Schulverpf­legung Thüringen hat, nach dem Schulumbau sogar eine Mensa-AG gegründet wurde, suchten die „Essensrett­er“, wie sie sich selbst nannten, erneut den Rat der Fachleute. Denn Experten wie Mike Ogorsolka bringen nicht nur das nötige Fachwissen mit, sondern können auch mit ganz praktische­r Hilfe dienen. So konnte die Vernetzung­sstelle den Schülern Wiegeproto­kolle und eine Waage kostenfrei zur Verfügung stellen, mit der nicht nur haushaltsü­bliche Kleinstmen­gen, sondern bis zu 10 Kilogramm gewogen werden können. „Um zu einer belastbare­n Aussage zu kommen, müssen korrekte Messungen durchgefüh­rt werden“, sagt Ogorsolka, gelernter Koch und studierter Ernährungs­wissenscha­ftler. Da auch die Schule den Wunsch gehabt habe, dass die Untersuchu­ng einem wissenscha­ftlichen Anspruch genügt, die Schüler dabei auch das wissenscha­ftliche Arbeiten lernen, sollte alles gewissenha­ft vorbereite­t und durchgefüh­rt werden, so Ogorsolka.

Täglich 13 Kilogramm Lebensmitt­el weggeworfe­n

Die ersten Messungen erfolgten dann im November 2018: Die „Essensrett­er“wogen in der Schulmensa an 20 aufeinande­rfolgenden Unterricht­stagen nicht nur die Speiserest­e, die im Abfall landeten, sondern auch die Reste in Töpfen und Pfannen. Da der Caterer so kooperativ war, der AG auch jeweils das Gewicht der gelieferte­n Speisen und die Anzahl der Teilnehmer an der Schulspeis­ung zu nennen, war es den Schülern möglich, die durchschni­ttliche Abfallmeng­e je Portion und Tag zu errechnen. Das Ergebnis: Über den Messzeitra­um, in dem insgesamt rund 5700 Portionen Essen ausgegeben wurden, wurden im Schnitt jeden Tag gut 13 Kilogramm Lebensmitt­el weggeworfe­n – an 20 Tagen insgesamt 264 Kilogramm.

Veranschla­gt man für den Wareneinka­uf bis zur Entsorgung Kosten von 2 Euro je Kilogramm, sind an nur 20 Tagen 528 Euro direkt in den

Müll gewandert. Um das zu ändern, haben die Schüler Poster erstellt: Da das Schulessen in der Regel schmeckt, Qualitätsm­ängel also nicht der Grund für die Abfallmeng­en sind, legten sie das Augenmerk auf die Quantität: Sie fotografie­rten kleine Mengen von Menü-Bestandtei­len, die – wenn sie gar nicht erst auf die Teller gehäuft werden – auch nicht im Abfall landen. Verzichten die Schüler also, ohne hungrig zu bleiben, beispielsw­eise auf einen Löffel Rosenkohl oder zwei Hähnchennu­ggets, wird ihr Teller eher leer sein. „Die Poster und Hinweise

wurden gut sichtbar in der Mensa ausgehängt“, sagt Mike Ogorsolka. Auch hätten sich die Schüler immer wieder gegenseiti­g dazu angespornt, die Teller nur mit dem zu füllen, was tatsächlic­h in den Magen passt.

Nach vier Monaten wiederholt­en die Schüler ihre Messung mit derselben Methodik, ohne dass sich etwas am Angebot des Caterers oder der Zahl der mitessende­n Schüler geändert hatte. Ergebnis: Obwohl im März 2019 an 20 Tagen 5771 Portionen gekocht wurden, –also annähernd so viele wie bei der ersten

Messung –, sank die Gesamtmeng­e der weggeworfe­nen Lebensmitt­el um fast 70 Kilogramm. Im Schnitt warf jeder Schüler nur noch 13 Gramm Speiserest­e weg.

Fazit: Allein dadurch, dass sich die Jenaplansc­hüler beim Mittagesse­n nur noch die Mengen nahmen, die sie wirklich verzehren konnten, verringert­e sich der Abfall. Mit einer minimalen Veränderun­g, die nichts verbot und deshalb leicht im Alltag umzusetzen war, wurde Großes erreicht. Und ganz nebenbei auch noch praktische Mathematik gemacht.

Dazu kommt: Aus dem Projekt sind zwei weitere Projekte erwachsen: Weil Eltern und die Schule für jedes eingespart­e Kilo einen kleinen Geldbetrag stifteten, konnte die AG Bienen gegründet werden, die von einem ausgebilde­ten Imker angeleitet wird. Das erste Bienenvolk dafür war ein Geschenk des Caterers. Obendrein stellt der Anbieter der Schule Bioabfälle wie Kartoffels­chalen und Gemüserest­e für eine schuleigen­e Kompostanl­age zur Verfügung. Nicht zuletzt achten viele Kinder jetzt auch zuhause darauf, dass nur noch so viele Lebensmitt­el eingekauft werden, wie die Familie wirklich braucht.

Die Jenaplansc­hule, sagt Mike Ogorsolka, will an dem Thema dranbleibe­n: Nicht nur, dass die Mensa-AG und auch das Projekt der „Essensrett­er“fortbesteh­en. „Die Messungen sollen in regelmäßig­en Abständen wiederholt werden, um zu prüfen, ob sich der Effekt der Verringeru­ng verstetigt.“. Doch genauso könne das Projekt vielleicht Nachahmer finden. Auch ihnen würde die Vernetzung­sstelle mit fachlicher Expertise und ihrem Equipment zur Seite stehen. Mike Ogorsolka wirbt: „Dieses Angebot gilt für alle Schulen landesweit und egal, ob freie oder staatliche Schule.“

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FOTO: DANIEL VOLKMANN Lecker: Ein Schnitzel mit Brokkoli in der Schulspeis­ung.

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