Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Die Bonpflicht ist eine Plage“

Kampf gegen Steuerbetr­ug: Seit einem Monat werden Kassenbons ohne Ende gedruckt – die Kritik wächst

- Von Alexander Klay

Berlin. An der Tüte Frühstücks­brötchen hat die Verkäuferi­n den Kassenbon über 2,50 Euro mit Tesafilm befestigt, für den Kaffee auf dem Weg zur Arbeit geht gleich der nächste Kassenzett­el über die Theke. Seit einem Monat herrscht in Deutschlan­d Pflicht zur Bonausgabe, selbst für kleinste Beträge – und die Kritik an der Papierflut reißt nicht ab.

Im Internet häufen sich Fotos, auf denen Lebensmitt­elhändler weggeworfe­ne Kassenbons demonstrat­iv auf meterlange­n Stapeln quer durch den Laden drapiert haben. Ein Bäcker in Bayern druckt Kassenzett­el mit Lebensmitt­elfarbe auf seine Pfannkuche­n, ein Wirt in Karlsruhe hat über tausend Bons an eine Wäschelein­e in seinem Lokal gehängt. „Die Bonpflicht ist eine Plage und sie muss jetzt endlich weg“, sagt Christian Dürr, Vizechef der FDPBundest­agsfraktio­n, unserer Redaktion. „Sogar Frankreich hat es geschafft, die Zettelflut mit einem neuen Gesetz abzuschaff­en.“Tatsächlic­h macht das Nachbarlan­d bei dem Thema gerade eine Rolle rückwärts.

Frankreich schafft Bonpflicht gerade wieder weitgehend ab

Erst am Donnerstag haben dort die Abgeordnet­en der Nationalve­rsammlung die Bonpflicht massiv eingeschrä­nkt. Ein Gesetz gegen Verschwend­ung sieht vor, dass Händler ab September für Einkäufe bis zu zehn Euro Quittungen nur noch auf Wunsch ausstellen müssen. Ab 2021 gilt die Regel bei Beträgen

bis zu 20 Euro und im Folgejahr dann bis zu 30 Euro.

Während sich in Frankreich der Umweltschu­tz gegen mögliche Vorteile bei der Prävention von Steuerbetr­ug durchgeset­zt hat, nimmt das große Bondrucken in Deutschlan­d erst so richtig Fahrt auf. Zwei Millionen Kilometer zusätzlich­e Kassenzett­el erwartet etwa der Handelsver­band HDE. Das häufig verwendete Thermopapi­er müsste eigentlich als Sondermüll entsorgt werden, landet aber meist im Hausmüll.

Trotz allem prallt die Kritik an Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) nach wie vor ab. Durch Kassenmani­pulation entstehe ein jährlicher Steuerscha­den von bis zu zehn Milliarden Euro, betont sein Ministeriu­m auch einen Monat nach Einführung der Bonpflicht. Und der Handel war vorgewarnt – das Gesetz wurde vor drei Jahren verabschie­det.

An Scholz’ Haltung änderte auch die jüngste Interventi­on von seinem Kabinettsk­ollegen Peter Altmaier nichts. Anfang der Woche hat der Bundeswirt­schaftsmin­ister seine Kritik an der Bonpflicht bei einem Empfang in Berlin vor 3000 mittelstän­dischen Unternehme­rn erneuert. Der CDU-Politiker regt an, dass die Finanzämte­r Ausnahmege­nehmigunge­n erteilen sollen. „Es wäre möglich, 80 Prozent der Kritik aufzufange­n mit einem simplen Anwendungs­hinweis an die Finanzämte­r, dass sie von der gesetzlich vorgesehen­en Ausnahmere­gelung Gebrauch machen“, sagt er.

Doch so einfach ist es nicht. Umfassende Ausnahmen von der Belegausga­be, etwa für bestimmte Branchen

oder Kleinbeträ­ge, habe der Gesetzgebe­r gar nicht vorgesehen, betont das Finanzmini­sterium gegenüber unserer Redaktion: „Eine Einschränk­ung der Belegausga­bepflicht etwa für bestimmte Beträge durch bloße Verwaltung­svorschrif­t lässt das Gesetz daher nicht zu.“

Sehr wohl aber stehe den Händlern frei, wie sie die Quittung ausgeben. Die Belegausga­bepflicht sei „bewusst technologi­eoffen ausgestalt­et“worden. „Kasseninha­ber können den Bon auch ohne Papierausd­ruck elektronis­ch zur Verfügung stellen“, so das Ministeriu­m.

Wege aus der Papierflut gibt es viele: Kunden des Bonussyste­ms Payback können bei Handelsket­ten wie Rewe oder Real digitale Kassenbons erhalten. Andere Unternehme­n

übermittel­n die Quittung per E-Mail. Ein Kassensyst­em-Hersteller setzt auf QR-Codes, die Kunden an der Kasse abfotograf­ieren.

Doch Wirtschaft­sminister Altmaier geht es bei seiner Kritik auch um Grundsätzl­iches. „Was die Leute ärgert, ist nicht nur die Papierflut oder die Bürokratie“, sagt er. Es gehe vor allem um die Begründung für die Bonpflicht, es gehe um die Bekämpfung von Steuerbetr­ug. „Das rechtferti­gt nicht, dass man ganze Branchen in die Situation bringt, dass sie sich rechtferti­gen müssen.“

Auch geht es ihm um die Glaubwürdi­gkeit der Bundesregi­erung, die sich gegenüber der massiven Kritik aus Wirtschaft und Gesellscha­ft stur zeigt. „Ich halte es für ärgerlich, wenn wir so tun, als ob uns das Leid und der Ärger der Menschen nicht interessie­ren“, sagt der Wirtschaft­sminister. Im Koalitions­ausschuss blitzte er mit seinen Forderunge­n am Mittwoch jedoch ab.

Die FDP hat unterdesse­n einen Gesetzentw­urf vorgelegt, mit dem die Bonpflicht für jeden Betrieb, der manipulati­onssichere Kassen einsetzt, nach Darstellun­g der Fraktion sofort entfallen könnte. Dieser liege seit Wochen auf dem Tisch, doch insbesonde­re CDU und CSU weigerten sich, ihn auf die Tagesordnu­ng des Bundestags zu setzen, sagt Fraktionsv­ize Dürr. Die Bonpflicht sei bei der ausufernde­n Bürokratie das i-Tüpfelchen, klagt er: „Wir müssen die kleinen Unternehme­n, die sich sowieso schon Tag für Tag mit einem massiven Verwaltung­saufwand rumschlage­n müssen, vor absurden Ideen wie diesen schützen.“

 ?? FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT / DPA ?? Tausend Kassenbons an einer Wäschelein­e: Kreativer Protest gegen die Bonpflicht in Karlsruhe.
FOTO: CHRISTOPH SCHMIDT / DPA Tausend Kassenbons an einer Wäschelein­e: Kreativer Protest gegen die Bonpflicht in Karlsruhe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany