Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
„Die Bonpflicht ist eine Plage“
Kampf gegen Steuerbetrug: Seit einem Monat werden Kassenbons ohne Ende gedruckt – die Kritik wächst
Berlin. An der Tüte Frühstücksbrötchen hat die Verkäuferin den Kassenbon über 2,50 Euro mit Tesafilm befestigt, für den Kaffee auf dem Weg zur Arbeit geht gleich der nächste Kassenzettel über die Theke. Seit einem Monat herrscht in Deutschland Pflicht zur Bonausgabe, selbst für kleinste Beträge – und die Kritik an der Papierflut reißt nicht ab.
Im Internet häufen sich Fotos, auf denen Lebensmittelhändler weggeworfene Kassenbons demonstrativ auf meterlangen Stapeln quer durch den Laden drapiert haben. Ein Bäcker in Bayern druckt Kassenzettel mit Lebensmittelfarbe auf seine Pfannkuchen, ein Wirt in Karlsruhe hat über tausend Bons an eine Wäscheleine in seinem Lokal gehängt. „Die Bonpflicht ist eine Plage und sie muss jetzt endlich weg“, sagt Christian Dürr, Vizechef der FDPBundestagsfraktion, unserer Redaktion. „Sogar Frankreich hat es geschafft, die Zettelflut mit einem neuen Gesetz abzuschaffen.“Tatsächlich macht das Nachbarland bei dem Thema gerade eine Rolle rückwärts.
Frankreich schafft Bonpflicht gerade wieder weitgehend ab
Erst am Donnerstag haben dort die Abgeordneten der Nationalversammlung die Bonpflicht massiv eingeschränkt. Ein Gesetz gegen Verschwendung sieht vor, dass Händler ab September für Einkäufe bis zu zehn Euro Quittungen nur noch auf Wunsch ausstellen müssen. Ab 2021 gilt die Regel bei Beträgen
bis zu 20 Euro und im Folgejahr dann bis zu 30 Euro.
Während sich in Frankreich der Umweltschutz gegen mögliche Vorteile bei der Prävention von Steuerbetrug durchgesetzt hat, nimmt das große Bondrucken in Deutschland erst so richtig Fahrt auf. Zwei Millionen Kilometer zusätzliche Kassenzettel erwartet etwa der Handelsverband HDE. Das häufig verwendete Thermopapier müsste eigentlich als Sondermüll entsorgt werden, landet aber meist im Hausmüll.
Trotz allem prallt die Kritik an Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) nach wie vor ab. Durch Kassenmanipulation entstehe ein jährlicher Steuerschaden von bis zu zehn Milliarden Euro, betont sein Ministerium auch einen Monat nach Einführung der Bonpflicht. Und der Handel war vorgewarnt – das Gesetz wurde vor drei Jahren verabschiedet.
An Scholz’ Haltung änderte auch die jüngste Intervention von seinem Kabinettskollegen Peter Altmaier nichts. Anfang der Woche hat der Bundeswirtschaftsminister seine Kritik an der Bonpflicht bei einem Empfang in Berlin vor 3000 mittelständischen Unternehmern erneuert. Der CDU-Politiker regt an, dass die Finanzämter Ausnahmegenehmigungen erteilen sollen. „Es wäre möglich, 80 Prozent der Kritik aufzufangen mit einem simplen Anwendungshinweis an die Finanzämter, dass sie von der gesetzlich vorgesehenen Ausnahmeregelung Gebrauch machen“, sagt er.
Doch so einfach ist es nicht. Umfassende Ausnahmen von der Belegausgabe, etwa für bestimmte Branchen
oder Kleinbeträge, habe der Gesetzgeber gar nicht vorgesehen, betont das Finanzministerium gegenüber unserer Redaktion: „Eine Einschränkung der Belegausgabepflicht etwa für bestimmte Beträge durch bloße Verwaltungsvorschrift lässt das Gesetz daher nicht zu.“
Sehr wohl aber stehe den Händlern frei, wie sie die Quittung ausgeben. Die Belegausgabepflicht sei „bewusst technologieoffen ausgestaltet“worden. „Kasseninhaber können den Bon auch ohne Papierausdruck elektronisch zur Verfügung stellen“, so das Ministerium.
Wege aus der Papierflut gibt es viele: Kunden des Bonussystems Payback können bei Handelsketten wie Rewe oder Real digitale Kassenbons erhalten. Andere Unternehmen
übermitteln die Quittung per E-Mail. Ein Kassensystem-Hersteller setzt auf QR-Codes, die Kunden an der Kasse abfotografieren.
Doch Wirtschaftsminister Altmaier geht es bei seiner Kritik auch um Grundsätzliches. „Was die Leute ärgert, ist nicht nur die Papierflut oder die Bürokratie“, sagt er. Es gehe vor allem um die Begründung für die Bonpflicht, es gehe um die Bekämpfung von Steuerbetrug. „Das rechtfertigt nicht, dass man ganze Branchen in die Situation bringt, dass sie sich rechtfertigen müssen.“
Auch geht es ihm um die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung, die sich gegenüber der massiven Kritik aus Wirtschaft und Gesellschaft stur zeigt. „Ich halte es für ärgerlich, wenn wir so tun, als ob uns das Leid und der Ärger der Menschen nicht interessieren“, sagt der Wirtschaftsminister. Im Koalitionsausschuss blitzte er mit seinen Forderungen am Mittwoch jedoch ab.
Die FDP hat unterdessen einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die Bonpflicht für jeden Betrieb, der manipulationssichere Kassen einsetzt, nach Darstellung der Fraktion sofort entfallen könnte. Dieser liege seit Wochen auf dem Tisch, doch insbesondere CDU und CSU weigerten sich, ihn auf die Tagesordnung des Bundestags zu setzen, sagt Fraktionsvize Dürr. Die Bonpflicht sei bei der ausufernden Bürokratie das i-Tüpfelchen, klagt er: „Wir müssen die kleinen Unternehmen, die sich sowieso schon Tag für Tag mit einem massiven Verwaltungsaufwand rumschlagen müssen, vor absurden Ideen wie diesen schützen.“