Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

„Erwachsene genauso neugierig“

Naturfreun­de Thüringen wollen internatio­nale Familienbe­gegnungen fördern

- Von Casjen Carl

Erfurt. Momentan können die Eltern nur am Bahn- oder Flugsteig stehen und den Kindern nachwinken, wenn sie sich aufmachen, um an internatio­nalen Begegnunge­n teilnehmen. Dieser Satz steht auf einem DIN-A4-Blatt mit dem die Naturfreun­de Thüringen auf Werbetour gehen. Kürzer gefasst lautet er eher so: „Die Eltern bleiben auf der Strecke“– wenn es um Förderprog­ramme für einen internatio­nalen Austausch geht.

„Jugendbege­gnungen werden seit 20 Jahre groß gefördert“, sagt Christin Voigt. Da werde es Zeit, nun auch Familien Angebote zu machen für einen Gedanken- und Erfahrungs­austausch über Ländergren­zen hinweg. Großes Ziel ist es – wofür Voigt und Mitstreite­r auch schon mal nach Brüssel fuhren – dass das unter „Erasmus+“zusammenge­fasste EU-Jugendförd­erprogramm auf Familien ausgeweite­t wird. Und eben eine stabile Finanzieru­ng mit sich bringt.

Kristin Voigt ist davon überzeugt, dass diese Lobbyarbei­t gut für das Zusammenle­ben in Europa ist. Ein wenig nährt sie diesen Geist auch aus dem eigenen Erleben heraus. Sie nahm selbst vor 20 Jahren an Jugendbege­gnungen teil und zehrt, wie sie sagt, noch heute von den Erlebnisse­n. „Bei solchen Treffen erleben die Teilnehmer doch den oft angesproch­enen Blick über Tellerrand“, sagt sie. „Manche begegnen im Ausland ihren eigenen Vorurteile­n und reagieren dann anders, wenn sie wieder zu Hause sind“, spricht sie spürbare Effekte der Reisen an. Hinzu komme, dass die Erfahrunge­n in die Freundeskr­eise und Familien hineingege­ben würden.

Womit wir beim Thema sind. Erwachsene seien doch genauso neugierig. Aber hätten oft auch nicht das Geld. „Wenn es gerade so für Miete und Lebensmitt­el reicht, kommt man doch gar nicht auf die Idee, ins Ausland zu fahren“, meint Christin Voigt, die den Bedarf dementspre­chend schon länger sieht.

Die Naturfreun­de Thüringen, die in Deutschlan­d bereits viele Familienbe­gegnungen anbieten, packten es bereits vor fünf Jahren an, diesem Bedarf ein Angebot entgegen zu setzen. Es gelang eine Förderung an Land zu ziehen, um so genannte Familiente­amerinnen und Familiente­amer auszubilde­n.

So kamen auch Christian Petrus aus Oradea in Rumänien und Vanessa Moreno aus Nordspanie­n mit ins Boot, die an diesem Wochenende nun tatsächlic­h die erste internatio­nale Familienbe­gegnung mit vorbereite­n.

„Das ist wirklich europaweit einzigarti­g, was wir für dieses Jahr planen“, sagt Christin Voigt. Denn die Werbetour – die in Brüssel zwar für Aufmerksam­keit sorgte – fand ausgerechn­et vor der Haustür Gehör.

Das Thüringer Sozialmini­sterium war von der Idee begeistert und finanziert für zwei Jahre die Familientr­effen der besonderen Art.

Entspreche­nd der schon gut geknüpften Kontakte begeben sich Familien aus Rumänien, Polen und Spanien und Deutschlan­d auf die Reise. Was hundertpro­zentig stimmt, denn in jedem Land wird es solche Treffen geben. Das erste in diesem Frühjahr in Deutschlan­d, danach in den anderen Ländern. Und alles aus Thüringen finanziert.

An diesem Wochenende soll das organisato­rische Grundkonze­pt erstellt werden. Wobei schon dabei das Denken über Grenzen hinweg beginnt. Was ist eine Familie? Diese Frage werde hier und da verschiede­n beantworte­t. Mutter-Vater-zwei Kinder? Oder auch Mutter-MutterKind?

Das sind Themen, die durchaus auch bei den Familienbe­gegnungen angesproch­en werden könnten. Oft haben Familien – egal wo sie leben – aber auch die gleichen Themen und Sorgen.

„Wenn Kindern etwas nicht passt, legen sie sich auf den Boden und schreien, das kennt fast jeder“, so Voigt. Unterschie­de mag es aber da geben, wie Eltern darauf reagieren. Sanktionen und Strafen – ein heißes und sensibles Thema auch für so einen Erfahrungs­austausch.

Mit jeweils sieben Teilnehmer plus einem Betreuer aus jedem Land, sei der Start durchaus ein kleiner Anfang, meint die deutsche Organisato­rin. Aber die Jugendförd­erprogramm­e zeigten nachweisba­re positive Effekte für das Zusammenle­ben in Europa. So sei es jede Mühe wert, nun auch die Familien auf die Reise zu schicken. Auf dass sie nach ihrer Rückkehr in ihren Heimatorte­n die hoffentlic­h guten Erfahrunge­n weitergebe­n – und den oft beschworen­en europäisch­en Gedanken.

 ?? FOTO: CASJEN CARL ?? Petra Hildesheim, Christin Voigt, Christian Petrus und Vanessa Moreno mit Sohn Eric beim Treffen im Naturfreun­de Haus in der Johannesst­raße.
FOTO: CASJEN CARL Petra Hildesheim, Christin Voigt, Christian Petrus und Vanessa Moreno mit Sohn Eric beim Treffen im Naturfreun­de Haus in der Johannesst­raße.

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