Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Wer nicht wählt, bekommt keinen Holz-Schein

30 Jahre Wende Wolfgang Obermann gehört in Schloßvipp­ach zu den ersten, die das System kritisiere­n

- Von Hartmut Schwarz

Schloßvipp­ach. Zu rumoren begann es in Schloßvipp­ach eigentlich schon Ende 1988. Mit Friedhelm Mulle gab es dort einen jungen Pfarrer, der mit einer eigenen Band die Jugend für sich begeistert­e. Jeweils am Montagaben­d lud er schon im Winter 88/89 zu einem Friedensge­bet ins Pfarrhaus ein. Und dabei ging es nicht nur um religiöse Themen. Das Gebet wurde auch für Kritik am System genutzt. Hinter sicheren Mauern konnte Dampf abgelassen werden.

Der zu Beginn kleine Kreis wurde im Verlaufe des Jahres 1989 immer größer – und mutiger. Dazu kamen am Donnerstag später regelmäßig Fahrten nach Erfurt, um an den dortigen Demos teilzunehm­en.

Als es an der Zeit für die Kommunalwa­hl war, beschlosse­n 15 Teilnehmer der Gebetsrund­e, nicht daran teilzunehm­en. Darunter auch Wolfgang Obermann, der gerade sein Studium beendet hatte. Von der Technische­n Universitä­t (TU) Dresden ging er direkt nach Leuna auf Montage, seinen Geburtsort Schloßvipp­ach besuchte er nur zeitweise.

Partnersch­aft mit Mainz-Bingen beginnt Anfang 1990

Auch am Tag der Wahl – die er verweigert­e – war er vor Ort. Die Reaktionen blieben nicht aus, erinnert er sich. Erst ermahnte ihn sein ehemaliger Schuldirek­tor per Telefon, eine Stunde später klingelte ein Vertreter des Rates des Kreises und wollte ein Aufklärung­sgespräch führen. Dem habe er offen erklärt, dass er nicht wählen geht, weil er mit der Politik im Staat nicht einverstan­den ist. Wohlwissen­d: Das hat Konsequenz­en für mich. Die blieben allerdings aus. Er war wieder auf Montage und aus der Schusslini­e. Alles blieb still. Erst als er in seinem Geburtshau­s die Fenster erneuern wollte, rächte sich das System. Denn die Gemeinde verweigert­e ihm den „Holzschein“, ohne den der Tischler kein Material für private Aufträge durchführe­n konnte. „Wer nicht wählt, erhält auch keinen Holz-Schein“, wurde ihm auf der Gemeinde erklärt. Dann fielen die Grenzen und er war froh, jetzt gleich in richtige Fenster investiere­n zu können.

Der Tag der Grenzöffnu­ng sei für ihn völlig überrasche­nd gekommen. Am nächsten Tag waren seine Kollegen alle noch da – „rüber gemacht“hatte nur der BGL-Vorsitzend­e, der Chef der Betriebs-Gewerkscha­ft.

Im Januar 1990 formierte sich dann ein runder Tisch, an dem unter anderem auch Vertreter der Nachbargem­einden mit tagten. Dies sei auch die Zeit gewesen, in der sich die bis heute gepflegte Partnersch­aft mit Mainz-Bingen entwickelt­e – hervorgega­ngen aus der Städtepart­nerschaft Erfurt-Mainz.

Von der Jungen Union in MainzBinge­n sei man damals unterstütz­t worden, unter anderem mit Kopiertech­nik und Aufklebern. Im Frühling 1990 sei man sogar eingeladen worden, gemeinsam mit dem damals noch existieren­den Rat des Kreises.

Als Vertreter des runden Tisches sei man in Mainz-Bingen aber nicht zu Wort gekommen, der Rat des Kreises hatte alles versucht, um die Oberhand zu behalten. Letztmals habe man versucht, die Opposition zu verschauke­ln, erinnert sich Obermann. Erst mit dem Wahlergebn­is wurden am 6. Mai 1990 in Schloßvipp­ach endgültig die Weichen

gestellt. Wolfgang Obermann hatte die Wahl zum Bürgermeis­ter gegen den Amtsinhabe­r als Spitzenkan­didat der CDU-Liste haushoch gewonnen.

Seit 30 Jahren ist er seitdem auch Ortsvorsit­zender der CDU, seit 1994 sitzt er im Kreistag. Derzeit in seiner letzten Legislatur­periode. Seine Erinnerung­en an die Wendezeit sind aber trotzdem noch frisch. Greifbare Erinnerung­en allerdings fehlen auch ihm. Wolfgang Obermann: „Wir haben viel gemacht und nichts dokumentie­rt – immer nur nach vorne gedacht!“

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FOTO: HARTMUT SCHWARZ Wolfgang Obermann ist wieder in den Kreistag gewählt worden. Zur nächsten Wahl will er dann nicht mehr antreten.

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