Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Wer zahlt für die pflegebedürftigen Eltern?
Reicht das Geld nicht für den Heimplatz, müssen die Kinder einspringen. Seit Jahresbeginn gelten neue Regeln
Berlin.
Ein neues Gesetz entlastet viele erwachsene Kinder von Eltern, die ihre Pflege im Alter nicht selbst finanzieren können. Nur wer mehr als 100.000 Euro im Jahr verdient, wird weiter zum sogenannten Elternunterhalt herangezogen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Worum geht es?
Werden Eltern pflegebedürftig, ohne die Kosten im Heim alleine stemmen zu können, springt zunächst das Sozialamt mit der „Hilfe zur Pflege“oder anderen Sozialleistungen ein – um sich das Geld bei den unterhaltspflichtigen Kindern dann gegebenenfalls zurückzuholen. Neu ist, dass ein Rückgriff auf die Kinder nur noch selten erfolgt. Dies regelt das Anfang Januar in Kraft getretene Angehörigen-Entlastungsgesetz.
Brutto oder netto?
Nach dem alten Recht war es so, dass die Behörden eine Unterhaltspflicht des volljährigen Kindes auf Basis seines „bereinigten Netto-Einkommens“und eines Selbstbehaltes von mindestens 1800 Euro pro Monat, den das Kind auf jeden Fall behalten durfte, ermittelten. Jetzt gilt eine Jahreseinkommensgrenze von brutto 100.000 Euro (rund 8300 Euro pro Monat), bis zu der das Sozialamt kein Geld vom Kind einfordern darf. Das entspricht laut Stiftung Warentest einem Monatsnettolohn von etwa 4500 Euro bei Ledigen in Steuerklasse 1.
Was ist bei höherem Verdienst?
Dann kommt es auf bestimmte Abzugsposten an. Vom Bruttoeinkommen gehen zum Beispiel Ausgaben für die eigene Altersvorsorge sowie Werbungskosten ab, das sind die steuerlich anerkannten berufsbedingten Ausgaben wie für Fahrten. „Wer also brutto pro Jahr über 100.000 Euro verdient, aber durch hohe Werbungskosten unter die Grenze rutscht, kann nicht zu Unterhaltszahlungen herangezogen werden“, erläutern Experten der Stiftung Warentest.
Wie ist das mit dem Selbstbehalt?
Einem Kind mit Einkommen oberhalb der Verdienstgrenze verbleibt auf jeden Fall ein monatlicher Mindestselbstbehalt von netto 2000 Euro (Ledige) oder 3600 Euro (Verheiratete). Die Werte gelten gemäß sogenannter Düsseldorfer Tabelle in diesem Jahr und steigen jährlich leicht. Tatsächlich behalten darf das Kind den Mindestselbstbehalt plus die Hälfte seines darüberliegenden Einkommens.
Was gehört zum Einkommen?
Die 100.000-Euro-Grenze gilt für alle Jahreseinkünfte zusammen. Das heißt, dass zum Beispiel Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung sowie Kapitalerträge zum Arbeitseinkommen hinzugerechnet werden.
Zählt Ehepartner-Einkommen mit?
Nein. Laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) bleibt der Ehepartner bei der Überprüfung des Einkommens unberücksichtigt. Beispiel: Der Sohn pflegebedürftiger Eltern arbeitet in einem 450-Euro-Minijob, seine Frau verdient mehr als 100.000 Euro – ohne für ihre Schwiegereltern deshalb unterhaltspflichtig zu sein.
Was ist mit dem Eigenheim?
Häuser und Grundstücke des Kindes spielen für die Berechnung ebenso keine Rolle wie der Wert von Schmuck, Kunstgegenständen oder sonstigem persönlichen Vermögen. Wer also wenig verdient, aber ein riesiges Vermögen hat, ist fein raus. Anders sieht es für die pflegebedürftigen Eltern selbst aus: Bevor sie Sozialleistungen bekommen, müssen sie ihr Vermögen verwerten, ein Schonbetrag von 5000 Euro pro Elternteil ausgenommen.
Muss ich jetzt etwas machen?
Wer bislang Elternunterhalt an den Sozialhilfeträger überwies, muss dem BMAS zufolge keine weiteren Schritte einleiten, um von der Neuregelung zu profitieren. Es werde „grundsätzlich vermutet“, dass das Einkommen unterhalb der
100.000-Euro-Grenze liegt. Laut Gesetz kann ein Amt Einkommensnachweise nur verlangen, wenn es „hinreichende Anhaltspunkte“für ein Überschreiten der 100.000Euro-Grenze hat. Eine rückwirkende Erstattung von vor 2020 geleisteten Unterhaltszahlungen erfolgt nicht.
Für Geschwister mitbezahlen?
Ein unterhaltspflichtiges Kind muss den Anteil seiner Schwestern und Brüder, die weniger als 100.000 Euro erzielen, an den Pflegekosten der Eltern nicht mittragen. Nach BMAS-Angaben haften die Geschwister prozentual anteilig nach ihren Einkommen. Beispiel: Entfallen auf die Tochter – eine Spitzenverdienerin – zwei Drittel der Unterhaltspflicht, zahlt sie diesen Anteil, ohne das restliche Drittel, das ihr Bruder mit einem Einkommen unterhalb der 100.000-Euro Grenze bis 2019 schulterte, jetzt auch noch aufbringen zu müssen.
Was ist mit denen, die weiter zahlen?
Den Elternunterhalt, den ein alleinstehender Angestellter mit monatlich 4500 Euro netto künftig leisten muss, bezifferte der Deutsche Anwaltverein (DAV) in seiner Stellungnahme zum Gesetz auf rund 970 Euro im Monat. Beamte können nach den DAV-Berechnungen ab einem Nettoeinkommen von monatlich 4900 Euro mit 1192 Euro Unterhalt in Regress genommen werden. Bei diesen Berechnungen berücksichtigte der DAV jeweils Aufwendungen für die Altersvorsorge beider Personengruppen.
Noch selbst pflegen?
Im Vorfeld der Novelle wurden Befürchtungen laut, dass Angehörige ihre Eltern nun häufiger in einem Heim unterbringen, statt sie zu Hause selbst zu pflegen, da sie ja kein Geld mehr zuschießen müssten. Das Bundesarbeitsministerium ist jedoch der Auffassung, es werde „dem Vorrang ambulanter Pflege vor stationärer Pflege nicht widersprochen“. Vielmehr erlaube die Regelung „überlasteten, verantwortungsbewussten Angehörigen, die Pflege bei Notwendigkeit abzugeben, ohne finanzielle Folgen für die gesamte Familie befürchten zu müssen“.
Von rund 3,4 Millionen Menschen mit Pflegegrad 1 bis 5 in Deutschland wird knapp ein Viertel (820.000 Personen) vollstationär in Pflegeheimen betreut.