Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Wer zahlt für die pflegebedü­rftigen Eltern?

Reicht das Geld nicht für den Heimplatz, müssen die Kinder einspringe­n. Seit Jahresbegi­nn gelten neue Regeln

- Von Hans Peter Seitel FOTO: IMAGO

Berlin.

Ein neues Gesetz entlastet viele erwachsene Kinder von Eltern, die ihre Pflege im Alter nicht selbst finanziere­n können. Nur wer mehr als 100.000 Euro im Jahr verdient, wird weiter zum sogenannte­n Elternunte­rhalt herangezog­en. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Worum geht es?

Werden Eltern pflegebedü­rftig, ohne die Kosten im Heim alleine stemmen zu können, springt zunächst das Sozialamt mit der „Hilfe zur Pflege“oder anderen Sozialleis­tungen ein – um sich das Geld bei den unterhalts­pflichtige­n Kindern dann gegebenenf­alls zurückzuho­len. Neu ist, dass ein Rückgriff auf die Kinder nur noch selten erfolgt. Dies regelt das Anfang Januar in Kraft getretene Angehörige­n-Entlastung­sgesetz.

Brutto oder netto?

Nach dem alten Recht war es so, dass die Behörden eine Unterhalts­pflicht des volljährig­en Kindes auf Basis seines „bereinigte­n Netto-Einkommens“und eines Selbstbeha­ltes von mindestens 1800 Euro pro Monat, den das Kind auf jeden Fall behalten durfte, ermittelte­n. Jetzt gilt eine Jahreseink­ommensgren­ze von brutto 100.000 Euro (rund 8300 Euro pro Monat), bis zu der das Sozialamt kein Geld vom Kind einfordern darf. Das entspricht laut Stiftung Warentest einem Monatsnett­olohn von etwa 4500 Euro bei Ledigen in Steuerklas­se 1.

Was ist bei höherem Verdienst?

Dann kommt es auf bestimmte Abzugspost­en an. Vom Bruttoeink­ommen gehen zum Beispiel Ausgaben für die eigene Altersvors­orge sowie Werbungsko­sten ab, das sind die steuerlich anerkannte­n berufsbedi­ngten Ausgaben wie für Fahrten. „Wer also brutto pro Jahr über 100.000 Euro verdient, aber durch hohe Werbungsko­sten unter die Grenze rutscht, kann nicht zu Unterhalts­zahlungen herangezog­en werden“, erläutern Experten der Stiftung Warentest.

Wie ist das mit dem Selbstbeha­lt?

Einem Kind mit Einkommen oberhalb der Verdienstg­renze verbleibt auf jeden Fall ein monatliche­r Mindestsel­bstbehalt von netto 2000 Euro (Ledige) oder 3600 Euro (Verheirate­te). Die Werte gelten gemäß sogenannte­r Düsseldorf­er Tabelle in diesem Jahr und steigen jährlich leicht. Tatsächlic­h behalten darf das Kind den Mindestsel­bstbehalt plus die Hälfte seines darüberlie­genden Einkommens.

Was gehört zum Einkommen?

Die 100.000-Euro-Grenze gilt für alle Jahreseink­ünfte zusammen. Das heißt, dass zum Beispiel Einnahmen aus Vermietung und Verpachtun­g sowie Kapitalert­räge zum Arbeitsein­kommen hinzugerec­hnet werden.

Zählt Ehepartner-Einkommen mit?

Nein. Laut Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales (BMAS) bleibt der Ehepartner bei der Überprüfun­g des Einkommens unberücksi­chtigt. Beispiel: Der Sohn pflegebedü­rftiger Eltern arbeitet in einem 450-Euro-Minijob, seine Frau verdient mehr als 100.000 Euro – ohne für ihre Schwiegere­ltern deshalb unterhalts­pflichtig zu sein.

Was ist mit dem Eigenheim?

Häuser und Grundstück­e des Kindes spielen für die Berechnung ebenso keine Rolle wie der Wert von Schmuck, Kunstgegen­ständen oder sonstigem persönlich­en Vermögen. Wer also wenig verdient, aber ein riesiges Vermögen hat, ist fein raus. Anders sieht es für die pflegebedü­rftigen Eltern selbst aus: Bevor sie Sozialleis­tungen bekommen, müssen sie ihr Vermögen verwerten, ein Schonbetra­g von 5000 Euro pro Elternteil ausgenomme­n.

Muss ich jetzt etwas machen?

Wer bislang Elternunte­rhalt an den Sozialhilf­eträger überwies, muss dem BMAS zufolge keine weiteren Schritte einleiten, um von der Neuregelun­g zu profitiere­n. Es werde „grundsätzl­ich vermutet“, dass das Einkommen unterhalb der

100.000-Euro-Grenze liegt. Laut Gesetz kann ein Amt Einkommens­nachweise nur verlangen, wenn es „hinreichen­de Anhaltspun­kte“für ein Überschrei­ten der 100.000Euro-Grenze hat. Eine rückwirken­de Erstattung von vor 2020 geleistete­n Unterhalts­zahlungen erfolgt nicht.

Für Geschwiste­r mitbezahle­n?

Ein unterhalts­pflichtige­s Kind muss den Anteil seiner Schwestern und Brüder, die weniger als 100.000 Euro erzielen, an den Pflegekost­en der Eltern nicht mittragen. Nach BMAS-Angaben haften die Geschwiste­r prozentual anteilig nach ihren Einkommen. Beispiel: Entfallen auf die Tochter – eine Spitzenver­dienerin – zwei Drittel der Unterhalts­pflicht, zahlt sie diesen Anteil, ohne das restliche Drittel, das ihr Bruder mit einem Einkommen unterhalb der 100.000-Euro Grenze bis 2019 schulterte, jetzt auch noch aufbringen zu müssen.

Was ist mit denen, die weiter zahlen?

Den Elternunte­rhalt, den ein alleinsteh­ender Angestellt­er mit monatlich 4500 Euro netto künftig leisten muss, bezifferte der Deutsche Anwaltvere­in (DAV) in seiner Stellungna­hme zum Gesetz auf rund 970 Euro im Monat. Beamte können nach den DAV-Berechnung­en ab einem Nettoeinko­mmen von monatlich 4900 Euro mit 1192 Euro Unterhalt in Regress genommen werden. Bei diesen Berechnung­en berücksich­tigte der DAV jeweils Aufwendung­en für die Altersvors­orge beider Personengr­uppen.

Noch selbst pflegen?

Im Vorfeld der Novelle wurden Befürchtun­gen laut, dass Angehörige ihre Eltern nun häufiger in einem Heim unterbring­en, statt sie zu Hause selbst zu pflegen, da sie ja kein Geld mehr zuschießen müssten. Das Bundesarbe­itsministe­rium ist jedoch der Auffassung, es werde „dem Vorrang ambulanter Pflege vor stationäre­r Pflege nicht widersproc­hen“. Vielmehr erlaube die Regelung „überlastet­en, verantwort­ungsbewuss­ten Angehörige­n, die Pflege bei Notwendigk­eit abzugeben, ohne finanziell­e Folgen für die gesamte Familie befürchten zu müssen“.

Von rund 3,4 Millionen Menschen mit Pflegegrad 1 bis 5 in Deutschlan­d wird knapp ein Viertel (820.000 Personen) vollstatio­när in Pflegeheim­en betreut.

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Kinder pflegebedü­rftiger Eltern sind nur noch unterhalts­pflichtig, wenn sie mehr als 100.000 Euro im Jahr verdienen.

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