Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Wer im Glashaus sitzt
Es hat etwas Elegantes, wirkt modern und macht kleine Räume optisch größer: Glas im Interior Design
Möglicherweise liegt es an unserem oftmals überfrachteten Lebensstil, vielleicht haben wir uns auch bereits zu sehr an die glatten Oberflächen unserer digitalen Geräte gewöhnt: Klar ist jedenfalls, dass bei aktuellen Inneneinrichtungen Schlichtheit und Funktionalität den Ton angeben. Kaum ein Werkstoff (oder genauer: Aggregatzustand) eignet sich besser zur Herstellung eines modernen und offenen Raumgefühls als das momentan ziemlich angesagte Glas. Es verbindet zeitlose Eleganz mit dem Wunsch nach klar geordneten und lichtdurchfluteten Räumen.
1 Glasmachergeschichte
Zuerst nutzen die Menschen hartes Naturglas, das beim Abkühlen von Lava entstand, um Werkzeuge und Klingen zu fertigen. In welcher Region dann die künstliche Glasfertigung in Brennöfen begann, ist nicht zweifelsfrei belegt. Der älteste Fund stammt aus Mesopotamien, ägyptische Schriften berichten bereits um 1600 vor Christus den Import von Glas aus östlichen Gefilden. Die ersten Glasgegenstände waren Gefäße wie Kelche, im antiken Rom wurden weitere Formen wie Parfumfläschchen und Schmuck gefertigt. Manche Quellen erwähnen auch Gewächshäuser aus Glas.
Im Mittelalter ermöglichten neue Schmelz- und Glasbläsertechniken eine erhöhte und verbesserte Produktion. Insbesondere zur Zeit der Gotik wurden etliche bunte Kirchenfenster entworfen, bei denen neue Glasmaltechniken zur Anwendung kamen. Verarbeitungstechniken wie das Mondglas- und Walzglasverfahren und immer filigranere Glasmacherpfeifen optimierten die Produktion, sodass diverse Glasprodukte ab dem Spätmittelalter auch für das Bürgertum erschwinglich wurden.
2 Scherben ohne Schaden
Heutigen Sicherheitsansprüchen genügt die Glasproduktion früherer Jahrhunderte natürlich nicht mehr. Bei aktuellen Inneneinrichtungen kommt besonders schlag- und stoßfestes Sicherheitsglas zum Einsatz. Statt im Ernstfall scharfkantige Scherben zu hinterlassen, zerspringt das Bauglas in Hunderte stumpfe Einzelteile. Je nach Bedarf können Glasscheiben auch so gebrannt werden, dass sie Schall absorbieren, vor Sonnenstrahlen schützen oder wie Panzerglas sogar schuss- und sprengsicher sind.
3 Möbel aus Glas
Logisch, dass man bei Glas in der Wohnung erst einmal an Fenster denkt. Sie beeinflussen nicht nur die Außenwirkung eines Gebäudes, sondern auch deren Innenräume: Ihre Größe und Anordnung macht den Raum heller, lässt Lichtspiele entstehen oder öffnet den Blick nach draußen. Bemalte Fenster lassen nicht nur in Kirchen eine feierliche Stimmung entstehen, auch zu Hause können eingefärbte Fenster oder Glas-Mobiles das Tageslicht effektvoll nach drinnen streuen.
Abgesehen von Fenstern stehen inzwischen auch beim Mobiliar allerlei gläserne Varianten zur Verfügung – seien es Vitrinen, Couchoder Esstische, Regale oder Schränke, sogar Sessel oder Sofagestelle können aus Glas sein. Besonders in Badezimmern und Küchen liegt das Material im Trend, was auch an seinen hygienischen Eigenschaften liegt. Dabei können verglaste Oberflächen ganz unterschiedlich aussehen, es gibt sie matt oder spiegelnd, glatt oder mit Rillenschliff oder Relief. Gerade kleine Zimmer profitieren von dem durchsichtigen Material, dessen spiegelnder Effekt Räume optisch vergrößert. Verglaste Türen lassen die Grenzen zwischen den Räumen verschwimmen, ein Glasschrank gibt den Blick auf die dahinter liegende Wand frei, ein Glaseinsatz in der Tür macht das Zimmer heller.
4 Glasdekoration
Aber keine Sorge, es geht auch eine Nummer kleiner: Wer sich Glas als Interior-Design-Element in die Wohnung holen will, muss nicht lange suchen, die Auswahl an Dekogegenständen ist riesig. Pendelleuchten aus durchsichtigem Glas sind zeitlose Klassiker, auch als Tischleuchte macht sich das filigrane Material gut. Vasen, Windlichter oder Kerzenständer aus Glas, vielleicht sogar in unterschiedlichen Farben, sehen sehr dekorativ aus, ebenso Schalen oder Teller. Minigewächshäuser aus transparentem Glas verbinden gleich zwei Trends, den zum Material und zum grünen Wohnzimmer. Und haben Sie schon mal an ein Aquarium als Raumteiler gedacht?
5 Glas in Kunst und Kultur
Über die Jahrhunderte erhielten regionale Glasmanufakturen immer wieder weitreichende Berühmtheit. Während die einen ihre Arbeit einfach nur besonders fingerfertig ausführen, traten andere von Anbeginn mit einem Designanspruch an. Zu frühem Ruhm kamen die in Venedig hergestellten bunten Perlen aus Muranoglas, die zu den wertvollsten der Welt zählen und seinerzeit auch als Zahlungsmittel dienten. Dickwandiges Muranoglas und 60er-Jahre-Design machte selbst aus schnöden Aschenbechern
stilvolle Klassiker und heute begehrte Sammlerobjekte.
Um neue Formen und Sinneseindrücke zu kreieren, geben Künstlerinnen und Künstler heute Pulver und Metallsplitter auf angeschmolzenes Glas oder entwerfen neue Brennverfahren für großformatige Plastiken. Viel Bekanntheit erlangte etwa die 1936 vom finnischen Designer Alvar Aalto entworfene asymmetrische, wellenförmige Vase Savoy. Sie ist bis heute Blickfang in zahlreichen Wohnzimmern weltweit – und eines der bekanntesten Wohnaccessoires aus Glas.
„Zu viel Sorge zerbricht das Glas.“Deutsches Sprichwort