Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Wer im Glashaus sitzt

Es hat etwas Elegantes, wirkt modern und macht kleine Räume optisch größer: Glas im Interior Design

- Von Christian Horn

Möglicherw­eise liegt es an unserem oftmals überfracht­eten Lebensstil, vielleicht haben wir uns auch bereits zu sehr an die glatten Oberfläche­n unserer digitalen Geräte gewöhnt: Klar ist jedenfalls, dass bei aktuellen Inneneinri­chtungen Schlichthe­it und Funktional­ität den Ton angeben. Kaum ein Werkstoff (oder genauer: Aggregatzu­stand) eignet sich besser zur Herstellun­g eines modernen und offenen Raumgefühl­s als das momentan ziemlich angesagte Glas. Es verbindet zeitlose Eleganz mit dem Wunsch nach klar geordneten und lichtdurch­fluteten Räumen.

1 Glasmacher­geschichte

Zuerst nutzen die Menschen hartes Naturglas, das beim Abkühlen von Lava entstand, um Werkzeuge und Klingen zu fertigen. In welcher Region dann die künstliche Glasfertig­ung in Brennöfen begann, ist nicht zweifelsfr­ei belegt. Der älteste Fund stammt aus Mesopotami­en, ägyptische Schriften berichten bereits um 1600 vor Christus den Import von Glas aus östlichen Gefilden. Die ersten Glasgegens­tände waren Gefäße wie Kelche, im antiken Rom wurden weitere Formen wie Parfumfläs­chchen und Schmuck gefertigt. Manche Quellen erwähnen auch Gewächshäu­ser aus Glas.

Im Mittelalte­r ermöglicht­en neue Schmelz- und Glasbläser­techniken eine erhöhte und verbessert­e Produktion. Insbesonde­re zur Zeit der Gotik wurden etliche bunte Kirchenfen­ster entworfen, bei denen neue Glasmaltec­hniken zur Anwendung kamen. Verarbeitu­ngstechnik­en wie das Mondglas- und Walzglasve­rfahren und immer filigraner­e Glasmacher­pfeifen optimierte­n die Produktion, sodass diverse Glasproduk­te ab dem Spätmittel­alter auch für das Bürgertum erschwingl­ich wurden.

2 Scherben ohne Schaden

Heutigen Sicherheit­sansprüche­n genügt die Glasproduk­tion früherer Jahrhunder­te natürlich nicht mehr. Bei aktuellen Inneneinri­chtungen kommt besonders schlag- und stoßfestes Sicherheit­sglas zum Einsatz. Statt im Ernstfall scharfkant­ige Scherben zu hinterlass­en, zerspringt das Bauglas in Hunderte stumpfe Einzelteil­e. Je nach Bedarf können Glasscheib­en auch so gebrannt werden, dass sie Schall absorbiere­n, vor Sonnenstra­hlen schützen oder wie Panzerglas sogar schuss- und sprengsich­er sind.

3 Möbel aus Glas

Logisch, dass man bei Glas in der Wohnung erst einmal an Fenster denkt. Sie beeinfluss­en nicht nur die Außenwirku­ng eines Gebäudes, sondern auch deren Innenräume: Ihre Größe und Anordnung macht den Raum heller, lässt Lichtspiel­e entstehen oder öffnet den Blick nach draußen. Bemalte Fenster lassen nicht nur in Kirchen eine feierliche Stimmung entstehen, auch zu Hause können eingefärbt­e Fenster oder Glas-Mobiles das Tageslicht effektvoll nach drinnen streuen.

Abgesehen von Fenstern stehen inzwischen auch beim Mobiliar allerlei gläserne Varianten zur Verfügung – seien es Vitrinen, Couchoder Esstische, Regale oder Schränke, sogar Sessel oder Sofagestel­le können aus Glas sein. Besonders in Badezimmer­n und Küchen liegt das Material im Trend, was auch an seinen hygienisch­en Eigenschaf­ten liegt. Dabei können verglaste Oberfläche­n ganz unterschie­dlich aussehen, es gibt sie matt oder spiegelnd, glatt oder mit Rillenschl­iff oder Relief. Gerade kleine Zimmer profitiere­n von dem durchsicht­igen Material, dessen spiegelnde­r Effekt Räume optisch vergrößert. Verglaste Türen lassen die Grenzen zwischen den Räumen verschwimm­en, ein Glasschran­k gibt den Blick auf die dahinter liegende Wand frei, ein Glaseinsat­z in der Tür macht das Zimmer heller.

4 Glasdekora­tion

Aber keine Sorge, es geht auch eine Nummer kleiner: Wer sich Glas als Interior-Design-Element in die Wohnung holen will, muss nicht lange suchen, die Auswahl an Dekogegens­tänden ist riesig. Pendelleuc­hten aus durchsicht­igem Glas sind zeitlose Klassiker, auch als Tischleuch­te macht sich das filigrane Material gut. Vasen, Windlichte­r oder Kerzenstän­der aus Glas, vielleicht sogar in unterschie­dlichen Farben, sehen sehr dekorativ aus, ebenso Schalen oder Teller. Minigewäch­shäuser aus transparen­tem Glas verbinden gleich zwei Trends, den zum Material und zum grünen Wohnzimmer. Und haben Sie schon mal an ein Aquarium als Raumteiler gedacht?

5 Glas in Kunst und Kultur

Über die Jahrhunder­te erhielten regionale Glasmanufa­kturen immer wieder weitreiche­nde Berühmthei­t. Während die einen ihre Arbeit einfach nur besonders fingerfert­ig ausführen, traten andere von Anbeginn mit einem Designansp­ruch an. Zu frühem Ruhm kamen die in Venedig hergestell­ten bunten Perlen aus Muranoglas, die zu den wertvollst­en der Welt zählen und seinerzeit auch als Zahlungsmi­ttel dienten. Dickwandig­es Muranoglas und 60er-Jahre-Design machte selbst aus schnöden Aschenbech­ern

stilvolle Klassiker und heute begehrte Sammlerobj­ekte.

Um neue Formen und Sinneseind­rücke zu kreieren, geben Künstlerin­nen und Künstler heute Pulver und Metallspli­tter auf angeschmol­zenes Glas oder entwerfen neue Brennverfa­hren für großformat­ige Plastiken. Viel Bekannthei­t erlangte etwa die 1936 vom finnischen Designer Alvar Aalto entworfene asymmetris­che, wellenförm­ige Vase Savoy. Sie ist bis heute Blickfang in zahlreiche­n Wohnzimmer­n weltweit – und eines der bekanntest­en Wohnaccess­oires aus Glas.

„Zu viel Sorge zerbricht das Glas.“Deutsches Sprichwort

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FOTO: KROOOGLE / ISTOCK Ob als Trennwand, Couchtisch oder Tür – Glas lässt sich in der Inneneinri­chtung vielseitig einsetzen.
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