Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Die tödliche Bilanz der Ignoranten

Donald Trump, Wladimir Putin, Jair Bolsonaro und Boris Johnson haben das Virus sträflich unterschät­zt

- Von Klaus Ehringfeld, Dirk Hautkapp, Stefan Scholl und Peter Stäuber

Berlin. Es ist kein Zufall: Die vier Länder mit den meisten Corona-Infektione­n und einer hohen Zahl von Todesfälle­n werden von Staatsund Regierungs­chefs geführt, die die Gefahr durch das Virus zu Beginn geleugnet oder sträflich unterschät­zt haben. Die USA, Russland, Brasilien und Großbritan­nien weisen weltweit die schlimmste Bilanz

auf.

Brasilien:

Der brasiliani­sche Präsident Jair Messias Bolsonaro führt die Front derjenigen an, die das Coronaviru­s entweder für „Fake News“oder eine völlig übertriebe­ne Gefahr halten. Noch immer huldigen jeden Sonntag Tausende Anhänger und Corona-Leugner ihrem Präsidente­n. Sie lassen Bolsonaro hochleben und beten sein Mantra nach, das todbringen­de Virus sei eine „gripezinha“, eine kleine Grippe. Demonstrat­iv schüttelt Bolsonaro die Hände seiner Jünger, geht in die Bäckereien und kauft ohne Mundschutz ein. Gesundheit­sexperten sind sich einig: Diese Laissez-faire-Haltung trägt Mitschuld daran, dass das Virus das größte Land Lateinamer­ikas auf den Kopf stellt. Bolsonaro kommentier­t dies in kalter Verhöhnung der Opfer: „Was soll ich denn tun? Ich heiße zwar Messias, Wunder vollbringe­n kann ich aber nicht.“Seit gut zwei Monaten formieren sich in den größeren Städten Brasiliens Autokorsos von Bolsonaros Anhängern. Sie kritisiere­n offen die

Gouverneur­e der Bundesstaa­ten und die Bürgermeis­ter, die Shoppingce­nter geschlosse­n haben. Währenddes­sen breitet sich das Virus rasend schnell aus. Bis Mittwoch waren laut der Johns-Hopkins-Universitä­t in Baltimore (USA) 271.885 Infektione­n und 17.983 Todesfälle registrier­t.

USA:

Es besteht in den USA in großen Teilen von Politik, Wissenscha­ft und Medien Einigkeit, dass das spät begonnene und bis heute sprunghaft gebliebene Corona-Krisenmana­gement von Präsident Donald Trump die Lage massiv verschlimm­ert hat. Nach Ausbruch der Seuche im zentralchi­nesischen Wuhan wurde Trump von US-Geheimdien­sten und Gesundheit­sexperten vor einem Virus-Tsunami gewarnt. „Wir haben es vollkommen unter Kontrolle“, behauptete der Präsident. Es gab keine Vorsichtsm­aßnahmen. Erst am 13. März vollzog Trump die Kehrtwende und rief den nationalen Notstand aus. In den sieben Wochen davor, haben US-Medien minuziös rekonstrui­ert, hätte eine vorausscha­uend und verantwort­ungsvoll agierende Regierung durch eine Reihe von Schritten die Ansteckung­sgefahr deutlich senken können. Nichts davon ist frühzeitig geschehen. Stattdesse­n propagiert­e der Präsident schon vor Ostern die radikale Öffnung des wirtschaft­lichen Lebens, macht China zum Sündenbock, sagt gegen alle wissenscha­ftliche Expertise einen schnellen Impfstoff voraus. Bis Mittwochna­chmittag wurden nach der Zählung der Johns-HopkinsUni­versität

1.528.661 Infektione­n und 91.938 Todesfälle registrier­t.

Großbritan­nien:

Noch Anfang März, als Wissenscha­ftler auf der ganzen Welt schon längst Alarm geschlagen hatten, nahm es der britische Premiermin­ister Boris Johnson gelassen: Nicht nur schüttelte er weiterhin die Hände von Corona-Patienten, er prahlte damit auch noch im Fernsehen. Es genüge, wenn man sich danach die Hände wasche, versichert­e er fröhlich. Damals wütete das Coronaviru­s bereits in Italien.

In nördlichen Provinzen wurde eine Ausgangssp­erre verhängt. Interne Dokumente belegen zudem, dass wissenscha­ftliche Berater die britische Regierung bereits zu jener Zeit auf die hohe Ansteckung­srate des Virus hingewiese­n hatten. Aber erst am 23. März ordnete der Premiermin­ister den vollständi­gen Lockdown an. Anfang April erkrankte Johnson selbst an Covid19, musste ins Krankenhau­s eingeliefe­rt werden und verbrachte mehrere Nächte auf der Intensivst­ation. Die Erfahrung hat ihn geprägt: Seit er zurück im Amtssitz ist, gibt sich

Johnson ernster, sein Auftritt ist sachlicher. Aber der Schaden ist längst da: In Großbritan­nien waren laut Johns-Hopkins-Universitä­t bis Mittwoch 250.138 Infektione­n und 35.422 Todesfälle vermeldet – mehr als in jedem anderen europäisch­en Land.

Russland:

Anfang März sah Russlands Präsident Wladimir Putin den Feind noch draußen. Der Geheimdien­st FSB habe gemeldet, die „Falschmeld­ungen“über die Corona-Epidemie seien hauptsächl­ich im Ausland organisier­t worden. „Ihr Ziel ist verständli­ch: Sie wollen Panik in der Bevölkerun­g säen. Gott sei Dank passiert bei uns bisher nichts Kritisches.“In Russland war damals offiziell ein halbes Dutzend Infektions­fälle gemeldet. TV-Doktor Alexander Mjasnikow versichert­e der Fernsehnat­ion, die Ansteckung­sgefahr für sie betrage „null Komma null null Prozent“. Putin ließ ihn später zum Sprecher des Corona-Krisenstab­es ernennen. Wochen später stand Quarantäne an, Putin versuchte die Bevölkerun­g zu besänftige­n. Er versprach „eine arbeitsfre­ie Woche, natürlich bei Lohnfortza­hlung“. Der Politologe Juri Korgonjuk glaubt, der Staatschef habe das Virus unterschät­zt. „Allerdings haben wir das fast alle.“Bis Mittwoch waren laut Johns-Hopkins-Universitä­t 308.705 Fälle von Corona-Infektione­n registrier­t, 2972 Menschen starben. Russland konnte weder Pandemie noch Lockdown vermeiden. Der hat die Wirtschaft­sleistung im April um 28 Prozent gedrückt.

„Ich heiße zwar Messias, Wunder vollbringe­n kann ich aber nicht.“Jair Messias Bolsonaro, Brasiliens Präsident

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FOTO: AFP US-Präsident Donald Trump gibt vor allem China die Schuld.
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FOTO: AFP Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hält Corona für ein Gerücht.
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FOTO: DPA/PA Russlands Präsident Wladimir Putin versucht zu beruhigen.
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FOTO: AFP Großbritan­niens Premier Boris Johnson hat Viruserfah­rung.
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