Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Söder ganz Staatsmann

Die CSU lädt zum ersten virtuellen Parteitag – und die Republik schaut, wie sich der Vorsitzend­e der Christsozi­alen verhält. Will er doch Kanzler werden?

- Von Kerstin Münsterman­n

München. Es ist eine Premiere: Die CSU lädt am Freitag zum ersten virtuellen Parteitag ihrer Geschichte. Gibt es Jubelstürm­e für den Parteichef, der gerade in Umfragen zu ungeahnten Höhen aufläuft? Fehlanzeig­e: Markus Söder wird zwar eine Grundsatzr­ede halten – allerdings von seinem Schreibtis­ch in der Parteizent­rale aus. Mit der bayerische­n Flagge im Hintergrun­d, die geliebte „Star Trek“-Tasse neben sich.

„Es gab Tage, da haben wir einfach gebetet“, beschreibt Söder die kritischen Tage der Corona-Krise. „Es gab keine Blaupause, zu reagieren. Es war eine unglaublic­he Bewährungs­probe“, sagt er rückblicke­nd. „Corona stresst“, so Söder. Er wisse das. Aber: Die Pandemie bleibe eine Herausford­erung – ohne Impfstoff und Medikament. „Es wäre naiv, wenn wir nicht Umsicht und Vorsicht an erste Stelle setzen würden.“Man dürfe auch die Wirtschaft nicht gegen die Gesundheit abwägen.

Der 53 Jahre alte Franke Söder erlebt gerade das, was man im Sport und in der Politik einen Lauf nennt. Er ist in der Corona-Zeit neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) so etwas wie der Krisenmana­ger der Republik geworden. Söder hat derzeit den Vorsitz der Ministerpr­äsidentenk­onferenz inne, sitzt bei jeder größeren Pressekonf­erenz im Kanzleramt mit auf dem Podium. Es ist nicht nur eine optische Nähe zwischen der Bayerische­n Staatskanz­lei und dem Kanzleramt. Merkel und Söder demonstrie­ren in der

Krise politische Einigkeit, wie sie in den letzten Jahren selten zu sehen war zwischen der CDU-Kanzlerin und einem CSU-Vorsitzend­en. Söder gibt auch in den Koalitions­runden den Ton an. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat durch ihren angekündig­ten Rückzug politisch an Einfluss eingebüßt. Das Vakuum füllt Söder – und nimmt dafür auch Konflikte in Kauf. Mitunter gerät er etwa mit Unionsfrak­tionschef Ralph Brinkhaus (CDU) aneinander – denn es ist jetzt Söder, der den Ausgleich mit den Sozialdemo­kraten sucht. Sehr im Sinne des Kanzleramt­s übrigens.

Bewunderun­g für Kanzlerin Merkel

Merkel und Söder sind sich auch menschlich nähergekom­men. Man kann es in den Pressekonf­erenzen erleben. Es ist jetzt häufig von „wir“die Rede. Es wird gewitzelt. Aus seinen Wortbeiträ­gen spricht manches Mal durchaus Bewunderun­g für die Frau, deren Flüchtling­spolitik er noch vor zwei Jahren für die Ursache allen Übels hielt und die er für den Absturz der Union verantwort­lich machte. Jetzt kennt er Merkel besser, schätzt ihre nüchterne Art und das sachliche Abwägen. Es wirkt, als würde er studieren, wie man ein Land führt.

Wird er nach der Kanzlerkan­didatur greifen? Sein oft geäußertes Argument, ein Bayer würde in Deutschlan­d ohnehin nie Kanzler, zieht angesichts der Umfragewer­te gerade nicht. Plant er mehr? In seinem Umfeld wird immer wieder abgewinkt. Aber: Er hat es auch nie völlig ausgeschlo­ssen. Und warum geht ein Ministerpr­äsident sonst so derart nach vorne? Einen ausgeprägt­en Willen zur Macht würden ihm weder Freund noch Feind absprechen. Will er gerufen werden?

Erst im Dezember will die CDU den neuen Parteivors­itzenden wählen. NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet gilt derzeit als Favorit. Ein Comeback von Friedrich Merz ist zumindest nicht ausgeschlo­ssen. Aber wird es jemand schaffen, die politische Präsenz von Söder im nächsten halben Jahr zu übertrumpf­en?

Schon vor der Corona-Krise, beim CDU-Parteitag im November 2019 in Leipzig, lieferte Söder das, was sich viele CDU-Delegierte von ihrer Führung wünschen: eine starke Rede, die klare Abgrenzung zum politische­n Gegner und Führungswi­llen. „Cooler Auftritt“, lobte ihn der schleswig-holsteinis­che CDUMiniste­rpräsident Daniel Günther, der eher als kein enger Freund der CSU gilt.

„Es gab Tage, da haben wir einfach gebetet.“Markus Söder, Bayerns Ministerpr­äsident zur Corona-Krise

Und Söder macht klar, wo es hingeht. Die Koalition trifft sich am 2. Juni, um über ein Konjunktur­programm zu beraten. Söder warnt vor übermäßige­n Corona-Hilfsprogr­ammen, fordert eine Obergrenze. Der Staat dürfe nicht nur einfach Geld verteilen. Zwar seien Steuersenk­ungen und Konjunktur­maßnahmen angesichts der Krise nötig, doch den Plänen von Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) zur Tilgung der Schulden von Kommunen erteilt er eine Absage.

Das Rennen um die Kanzlerkan­didatur in der Union dürfte interessan­t werden. Auch Laschet wird nicht zurückstec­ken. Er stand in der Corona-Krise für einen Kurs der schnellen Lockerunge­n. Zwar wirkte er zeitweise fahriger als sein bayerische­r Kollege. Doch er blieb bei seinem Kurs und scheint nach aktuellem Infektions­geschehen auch nichts unnötig riskiert zu haben. Ob aus dem Fernduell mal ein persönlich­es wird? Viele in der Union halten es für wahrschein­lich.

 ?? FOTO: DPA ?? CSU-Chef Markus Söder in seinem Arbeitszim­mer beim virtuellen Parteitag. Seine Beliebthei­tswerte sind gut. In den Umfragen liegt er vor den Konkurrent­en der CDU.
FOTO: DPA CSU-Chef Markus Söder in seinem Arbeitszim­mer beim virtuellen Parteitag. Seine Beliebthei­tswerte sind gut. In den Umfragen liegt er vor den Konkurrent­en der CDU.

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