Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Söder ganz Staatsmann
Die CSU lädt zum ersten virtuellen Parteitag – und die Republik schaut, wie sich der Vorsitzende der Christsozialen verhält. Will er doch Kanzler werden?
München. Es ist eine Premiere: Die CSU lädt am Freitag zum ersten virtuellen Parteitag ihrer Geschichte. Gibt es Jubelstürme für den Parteichef, der gerade in Umfragen zu ungeahnten Höhen aufläuft? Fehlanzeige: Markus Söder wird zwar eine Grundsatzrede halten – allerdings von seinem Schreibtisch in der Parteizentrale aus. Mit der bayerischen Flagge im Hintergrund, die geliebte „Star Trek“-Tasse neben sich.
„Es gab Tage, da haben wir einfach gebetet“, beschreibt Söder die kritischen Tage der Corona-Krise. „Es gab keine Blaupause, zu reagieren. Es war eine unglaubliche Bewährungsprobe“, sagt er rückblickend. „Corona stresst“, so Söder. Er wisse das. Aber: Die Pandemie bleibe eine Herausforderung – ohne Impfstoff und Medikament. „Es wäre naiv, wenn wir nicht Umsicht und Vorsicht an erste Stelle setzen würden.“Man dürfe auch die Wirtschaft nicht gegen die Gesundheit abwägen.
Der 53 Jahre alte Franke Söder erlebt gerade das, was man im Sport und in der Politik einen Lauf nennt. Er ist in der Corona-Zeit neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) so etwas wie der Krisenmanager der Republik geworden. Söder hat derzeit den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz inne, sitzt bei jeder größeren Pressekonferenz im Kanzleramt mit auf dem Podium. Es ist nicht nur eine optische Nähe zwischen der Bayerischen Staatskanzlei und dem Kanzleramt. Merkel und Söder demonstrieren in der
Krise politische Einigkeit, wie sie in den letzten Jahren selten zu sehen war zwischen der CDU-Kanzlerin und einem CSU-Vorsitzenden. Söder gibt auch in den Koalitionsrunden den Ton an. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat durch ihren angekündigten Rückzug politisch an Einfluss eingebüßt. Das Vakuum füllt Söder – und nimmt dafür auch Konflikte in Kauf. Mitunter gerät er etwa mit Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) aneinander – denn es ist jetzt Söder, der den Ausgleich mit den Sozialdemokraten sucht. Sehr im Sinne des Kanzleramts übrigens.
Bewunderung für Kanzlerin Merkel
Merkel und Söder sind sich auch menschlich nähergekommen. Man kann es in den Pressekonferenzen erleben. Es ist jetzt häufig von „wir“die Rede. Es wird gewitzelt. Aus seinen Wortbeiträgen spricht manches Mal durchaus Bewunderung für die Frau, deren Flüchtlingspolitik er noch vor zwei Jahren für die Ursache allen Übels hielt und die er für den Absturz der Union verantwortlich machte. Jetzt kennt er Merkel besser, schätzt ihre nüchterne Art und das sachliche Abwägen. Es wirkt, als würde er studieren, wie man ein Land führt.
Wird er nach der Kanzlerkandidatur greifen? Sein oft geäußertes Argument, ein Bayer würde in Deutschland ohnehin nie Kanzler, zieht angesichts der Umfragewerte gerade nicht. Plant er mehr? In seinem Umfeld wird immer wieder abgewinkt. Aber: Er hat es auch nie völlig ausgeschlossen. Und warum geht ein Ministerpräsident sonst so derart nach vorne? Einen ausgeprägten Willen zur Macht würden ihm weder Freund noch Feind absprechen. Will er gerufen werden?
Erst im Dezember will die CDU den neuen Parteivorsitzenden wählen. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet gilt derzeit als Favorit. Ein Comeback von Friedrich Merz ist zumindest nicht ausgeschlossen. Aber wird es jemand schaffen, die politische Präsenz von Söder im nächsten halben Jahr zu übertrumpfen?
Schon vor der Corona-Krise, beim CDU-Parteitag im November 2019 in Leipzig, lieferte Söder das, was sich viele CDU-Delegierte von ihrer Führung wünschen: eine starke Rede, die klare Abgrenzung zum politischen Gegner und Führungswillen. „Cooler Auftritt“, lobte ihn der schleswig-holsteinische CDUMinisterpräsident Daniel Günther, der eher als kein enger Freund der CSU gilt.
„Es gab Tage, da haben wir einfach gebetet.“Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident zur Corona-Krise
Und Söder macht klar, wo es hingeht. Die Koalition trifft sich am 2. Juni, um über ein Konjunkturprogramm zu beraten. Söder warnt vor übermäßigen Corona-Hilfsprogrammen, fordert eine Obergrenze. Der Staat dürfe nicht nur einfach Geld verteilen. Zwar seien Steuersenkungen und Konjunkturmaßnahmen angesichts der Krise nötig, doch den Plänen von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zur Tilgung der Schulden von Kommunen erteilt er eine Absage.
Das Rennen um die Kanzlerkandidatur in der Union dürfte interessant werden. Auch Laschet wird nicht zurückstecken. Er stand in der Corona-Krise für einen Kurs der schnellen Lockerungen. Zwar wirkte er zeitweise fahriger als sein bayerischer Kollege. Doch er blieb bei seinem Kurs und scheint nach aktuellem Infektionsgeschehen auch nichts unnötig riskiert zu haben. Ob aus dem Fernduell mal ein persönliches wird? Viele in der Union halten es für wahrscheinlich.