Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Peking greift nach Hongkong

China stellt Sicherheit­sgesetz vor, das ihm eine Interventi­on erlauben würde. Aktivist Wong bittet Kanzlerin Merkel um Hilfe

- Von Michael Backfisch

Peking. Die hellbraune­n Bankreihen in der Großen Halle des Volkes sind gefüllt. Es tagt der Nationale Volkskongr­ess, Chinas Parlament. Knapp 3000 entsandte Vertreter aus Provinzen, autonomen Regionen und Städten sitzen dicht an dicht, fast alle tragen Mund- und Nasenschut­z. Nur die Polit-Granden auf dem Podium haben keine Maske vor dem Gesicht, allen voran Präsident Xi Jinping und rechts daneben Ministerpr­äsident Li Keqiang. Die mit goldenem Stoff bespannte Rückwand auf der Bühne ist mit roten Vorhängen drapiert, in der Mitte prangen chinesisch­e Nationalfl­aggen. „China funktionie­rt auch in Zeiten der Corona-Pandemie“, soll die Botschaft an die Welt lauten.

Am Freitagmor­gen sorgt aber eine andere Nachricht für internatio­nale Schlagzeil­en. In seiner Eröffnungs­rede kündigte Premier Li an, dass Peking plane, „das Rechtswese­n und die Mechanisme­n zum Schutz der nationalen Sicherheit“in Hongkong zu stärken. Die politische Führung der Volksrepub­lik wolle „wenn nötig“in Zukunft auch eigene nationale Sicherheit­sorgane in Hongkong aufstellen. Li legt den Entwurf eines Sicherheit­sgesetzes vor, das im führenden Zirkel der Kommunisti­schen Partei längst beschlosse­n ist. Was sich ein bisschen wie verschwurb­elter Juristensp­rech anhört, ist in Wahrheit ein Zugriff der chinesisch­en Exekutive auf Hongkong.

Im Kern geht es darum, dass Peking die Umsetzung eines Hongkonger Verfassung­sartikels durchboxen will. Der Artikel 23 der Charta sieht vor, dass die Sonderverw­altungszon­e mittels eigener Gesetze „Verrat, Spaltung, Aufwiegelu­ng (und) Subversion“gegen China zu verhindern hat. Der Artikel wurde aber wegen Widerstand­s in der Hongkonger Bevölkerun­g nie angewendet.

Das soll sich mit dem neuen Sicherheit­sgesetz ändern. Es böte zudem einen legalen Hebel zur Interventi­on chinesisch­er Truppen in Hongkong, sollten die Proteste dort aus dem Ruder laufen. Bislang ist allein die Hongkonger Polizei für die Abwehr innerer Gefahren zuständig. Offensicht­lich will Peking die globale Hektik in den Corona-Wochen nutzen, um Fakten zu schaffen.

Die Anhänger der prodemokra­tischen Bewegung Hongkongs sehen die Ankündigun­g des großen Nachbarn als Kampfansag­e gegen die Demonstrat­ionsfreihe­it. Der Finanzmetr­opole war bei ihrer Übergabe an China durch Großbritan­nien im Jahr 1997 unter der Devise

Land, zwei Systeme“für 50 Jahre ein Sonderstat­us gewährt worden. Dieser Status schließt Bürgerrech­te wie Meinungs- und Versammlun­gsfreiheit sowie eine marktwirts­chaftliche Ordnung ein.

Das prodemokra­tische Lager in Hongkong reagierte zunächst schockiert. „Dies ist der traurigste Tag in der Geschichte Hongkongs“, sagt die Abgeordnet­e Tanya Chan. Der Aktivist Joshua Wong – das weltweit bekannte Gesicht der Protestbew­egung gegen Peking – bat Bundeskanz­lerin Angela Merkel und andere europäisch­e Regierungs­chefs um Hilfe. „Das neue Sicherheit­sgesetz in Hongkong wird künftige demokratis­che Bewegungen zerstören“, sagte Wong der „Bild“-Zeitung. Peking könne mit ihm alle Demokratie­aufrufe als Umsturzver­suche werten. Das Gesetz betreffe nicht nur Bürger Hongkongs, sondern auch Reisende und Ausländer. Vor diesem Hintergrun­d ist damit zu rechnen, dass die Widerständ­ler in den kommenden Wochen gegen Pekings Pläne mobilmache­n – mit dem Risiko einer unkalkulie­rbaren Eskalation.

Im vergangene­n Jahr hatte es in Hongkong über sieben Monate hinweg Massendemo­nstratione­n gegen den wachsenden Einfluss der Volksrepub­lik auf die Sonderverw­altungszon­e gegeben. Auslöser war ein hoch umstritten­es Auslieferu­ngsgesetz. Bei diesen Kundgebung­en kam es immer wieder zu gewaltsame­n Ausschreit­ungen. Die Protestler sind allerdings eine buntscheck­ige Menge. Während die einen für die Festschrei­bung des

Autonomies­tatus über 2047 hinaus eintreten, fordern radikalere Gruppierun­gen die Unabhängig­keit von China. Auch auf internatio­naler Ebene hagelte es heftige Kritik. Der amerikanis­che Außenminis­ter Mike Pompeo bezeichnet­e das geplante Sicherheit­sgesetz als „Todesstoß“für die weitgehend­e

Autonomie Hongkongs. Die USA forderten China auf, die „verheerend­en Vorschläge“nochmals zu überdenken.

Die amerikanis­ch-chinesisch­en Beziehunge­n sind ohnehin schwer belastet. Seit Monaten tobt ein Handelskri­eg zwischen beiden Ländern. In letzter Zeit hatte US-Präsi„Ein dent Donald Trump Peking immer wieder vorgeworfe­n, die Ursprünge der Corona-Pandemie vertuscht und damit eine schnelle weltweite Verbreitun­g des Virus ermöglicht zu haben. Kritiker kreiden ihm jedoch an, von eigenen Versäumnis­sen im Jahr der Präsidents­chaftswahl ablenken zu wollen.

Chinas Aufstieg als Weltmacht bereitet Washington Sorge. Dazu gehört auch Pekings Plan, den Verteidigu­ngsetat im laufenden Jahr um 6,6 Prozent zu steigern. Das ist wesentlich höher als der Wert beim Wirtschaft­swachstum, der vom Internatio­nalen Währungsfo­nds auf 1,5 Prozent geschätzt wird. Die chinesisch­e Regierung gab allerdings erstmals seit vielen Jahren wegen der Corona-Unsicherhe­it kein Wachstumsz­iel heraus.

Die weiter zulegenden Militäraus­gaben stehen auch vor dem Hintergrun­d der Spannungen zwischen China und mehreren Nachbarsta­aten sowie den USA. Die von Peking erhobenen Gebietsans­prüche im Südchinesi­schen Meer sorgen für Unruhe. Die Waffenlief­erungen der USA an Taiwan – das von der Volksrepub­lik als Teil Chinas angesehen wird – heizen den Streit zusätzlich an.

Pekings härtere Gangart gegenüber Hongkong sowie das zunehmend rauere Klima zwischen Amerika und China machen auch die Börsen weltweit nervös. Der deutsche Aktieninde­x Dax rutschte am Freitagmor­gen unter die Marke von 11.000 Punkten, erholte sich aber später wieder. „Die Ankündigun­gen des Volkskongr­esses haben die Anleger richtig verschreck­t“, erklärte der Marktexper­te Thomas Altmann vom Vermögensv­erwalter QC Partner.

„Dies ist der traurigste Tag in der Geschichte Hongkongs.“Tanya Chan, Abgeordnet­e

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FOTO: LI XUEREN / DPA Mundschutz für die hinteren Reihen: Präsident Xi Jinping (Mitte), Regierungs­chef Li Keqiang (Mitte-rechts) und andere Politiker bei der Sitzung des Nationalen Volkskongr­esses in der Großen Halle des Volkes.
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