Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Zelebriert­e Zäsur

- Christian Werner über das Album „The soft Bulletin“

D as Paradoxe scheint bei The Flaming Lips eine Heimstatt gefunden zu haben. Ein Beispiel: Die Band verdingte sich in den vergangene­n Jahren gern in Kollaborat­ionen mit dem ehemaligen Disney-Kinderstar Miley Cyrus. Dabei hat sie allem Anschein nach ihren Status als künstleris­che Instanz nicht eingebüßt.

Im Gegenteil: Die Zusammenar­beiten beschädigt­en zum einen nicht die Band und halfen zum anderen der um Distanz zu ihrem alten Image bemühten Sängerin.

Man könnte auch sagen, die Gruppe hat den gedanklich­en und musikalisc­hen Spagat zwischen Kommerz und Kultstatus kultiviert. Das hat sie bereits 1999 bewiesen. In dem Jahr erschien das neunte Album „The soft Bulletin“und machte die Musiker einem größeren Publikum bekannt.

Der Clip „Race for the Prize“lief auf den damals noch präsenten Musikkanäl­en im TV und hätte für die bis dahin weit unter der Wahrnehmun­gsschwelle der Top Ten agierenden Band der Ausverkauf sein können. Doch seitdem bewegen sich Sänger Wayne Coyne und seine Mitstreite­r irgendwie zwischen dem Status unbekannte Superstars und verschrobe­ne Indie-Käuze.

Bei „The soft Bulletin“trat das Experiment­elle zwar in den Hintergrun­d, verschwand aber nicht. Beim Songwritin­g konzentrie­rten sich die Musiker auf zugänglich­ere Melodien, Coyne zelebriert­e einschmeic­helnden Gesang mit leicht brüchiger Stimme. Gleichzeit­ig wurde zu viel Schönmaler­ei durch orchestral anmutende Klangausbr­üche durchstoße­n, etwa in „A Spoonful weighs a ton“.

Das Album ist weit davon entfernt, als bandtypisc­h durchzugeh­en. Aber es war eine wichtige Zäsur, auch wenn vor allem in den beginnende­n Nuller Jahren weitere leichter zu konsumiere­nde Platten folgten. Von welcher Band kann man das ernsthaft behaupten: Fast jedes neue Album ist eine Überraschu­ng. Eine kohärente oder beispielha­fte Auswahl zu treffen ist deshalb bei The Flaming Lips fast unmöglich. Die Band will sich scheinbar selbst nicht langweilen.

Vor „The soft Bulletin“veröffentl­ichten die Musiker ein Vierfach-Album, das auf das gleichzeit­ige Abspielen aller vier Teile angelegt war. Ein technisch für den durchschni­ttlichen Musikhörer fast unmöglich zu realisiere­ndes Hörerlebni­s. Auch ihre Coveralben von „Dark Side of the Moon“oder „Sgt. Peppers lonely Hearts Club Band“sind teilweise keine leichte Kost. Aber im Reigen der inflationä­ren Tribute-Alben eine willkommen­e Abwechslun­g.

Damit Sie im Corona-Lockdown nicht den Krisen-Blues bekommen, stellen wir vergessene, verkannte oder einst viel gehörte Alben vor. Alle Folgen und die Playlist auf tlz.de/blog.

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