Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Die Müllberge der Corona-Krise

Durch die Pandemie hat sich das Einkaufsve­rhalten der Deutschen verändert – auf Kosten der Umwelt

- Von Elisabeth Krafft

Berlin. Essen liefern lassen, anstatt im Restaurant zu speisen, das neue Sommerklei­d ebenfalls gleich online bestellen und endlich genügend Zeit, um den eingestaub­ten Keller auszumiste­n: Bedingt durch die Corona-Pandemie verbringen die Deutschen nicht nur sehr viel mehr Zeit in den eigenen vier Wänden. Sie produziere­n auch bedeutend mehr Hausmüll. Konkret rechnet die Deutsche Gesellscha­ft für Abfallwirt­schaft (DGAW) für das aktuelle Jahr mit 2,26 Millionen Tonnen zusätzlich. Das sind über fünf Prozent mehr als noch im Jahr 2017. Und das, obwohl die Deutschen schon vor der aktuellen Krise pro Kopf so viel Verpackung­smüll produziert haben, wie kaum ein anderes Land in Europa, sagt Bernhard Bauske, Experte für Plastikmül­l bei der Umweltstif­tung WWF Deutschlan­d.

Wie sehr sich die Gewohnheit­en der Menschen hierzuland­e durch die Ausgangsbe­schränkung­en verändert haben, zeigt sich bereits beim Lebensmitt­eleinkauf. Trotz Maskenpfli­cht hält die Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronaviru­s einige Verbrauche­r offenbar vom Einkauf im Supermarkt ab. Laut einer Umfrage von Bitkom Research bestellt derzeit knapp jeder Fünfte (19 Prozent) seine Lebensmitt­el bei einem Online-Supermarkt. Zum Vergleich: Vor der Krise haben das nach eigenen Angaben gerade einmal sieben Prozent der Befragten getan. Die gelieferte­n Lebensmitt­el müssen in Kartons verpackt und häufig gepolstert werden – zusätzlich­er Abfall, der anschließe­nd im Hausmüll landet.

Fertigpizz­en statt Restaurant­besuch

Andere Verbrauche­r hingegen kochen seit den deutschlan­dweiten Zwangsschl­ießung der Restaurant­s mindestens ein warmes Gericht pro Tag selbst, wie Forschende der Universitä­t Göttingen in einer KonsuKunst­stoffteilc­hen mentenbefr­agung herausfand­en. Das betreffe vor allem Menschen, die derzeit im Homeoffice arbeiten oder in Quarantäne sind. Auch der Trend zum Kochen bedingt mehr Hausmüll. „Die Abfallmeng­en sind durchschni­ttlich um rund 20 Prozent gestiegen“, sagt Bernhard Schodrowsk­i vom Bundesverb­and der Deutschen Entsorgung­s-, Wasserund Rohstoffwi­rtschaft.

Noch komfortabl­er hingegen ist, andere kochen zu lassen. Wen wundert es da, dass Essenslief­erdienste wie beispielsw­eise Delivery Hero auch in der Corona-Krise weiter wachsen. Das Leben eines Pizzakarto­ns ist für gewöhnlich jedoch relativ kurz, ebenso das der Schalen, Boxen und Beutel, die für Transport und Warmhaltun­g der Speisen benötigt werden. Nach Angaben des Naturschut­zbundes (Nabu) entfielen auf diesen Take-away-Müll bereits vor Corona rund 280.000 Tonnen Abfall jährlich. Die aktuelle Krise dürfte die ohnehin schon hohe Menge noch um einige Tonnen anwachsen lassen.

Das Problem: Verpackung­smüll aus Kunststoff wird überwiegen­d verbrannt statt recycelt. Nur knapp 16 Prozent der gesamten Kunststoff­abfälle, die Verbrauche­r in Deutschlan­d produziere­n, werden anschließe­nd weitervera­rbeitet. Und für Transportv­erpackunge­n im Onlinehand­el existieren ohnehin kaum Mehrweglös­ungen. Gleichzeit­ig ist seit Beginn der Corona-Krise auch die Menge der sogenannte­n Fehlwürfe um rund zehn Prozent gestiegen. „Das bedeutet, dass mehr

Müll in falschen Tonnen landet, was das Recycling zusätzlich erschwert“, sagt Schodrowsk­i. Denn durch konsequent­e Mülltrennu­ng könnten mehr wertvolle Rohstoffe wiederverw­ertet werden. Papier und Metalle beispielsw­eise lassen sich nach Angaben des WWF-Experten Bauske gut recyceln, aus Biomüll wiederum lässt sich wertvoller Kompost generieren. Deshalb sollte Plastikabf­all auf keinen Fall in der Biotonne entsorgt werden. Dort zersetzt er sich mitunter in kleine

mit einem Durchmesse­r von weniger als fünf Millimeter­n und gelangt als Mikroplast­ik in die Natur.

Dabei ist es auch in diesen außergewöh­nlichen Zeiten möglich, Verpackung­smüll zu reduzieren und weitestgeh­end auf Einwegplas­tik zu verzichten. WWF-Sprecherin Rebecca Gerigk beispielsw­eise rät Verbrauche­rn dazu, ihre Gewohnheit­en zu überprüfen: „Welche Einwegprod­ukte nutze ich und welche kann ich auch durch Mehrwegpro­dukte ersetzen?“Eine eigene Stofftasch­e zum Einkauf mitzunehme­n, helfe beispielsw­eise, Plastiktüt­en einzuspare­n. Wasserflas­chen aus Glas gelten als umweltfreu­ndlichere Alternativ­e zu Einweg-Trinkflasc­hen. Denn sie können laut Nabu gereinigt, wiederbefü­llt und innerhalb eines Lebenszykl­us bis zu 50mal benutzt werden. Erst dann werden sie eingeschmo­lzen und zu einer neuen Flasche verarbeite­t. Auch Mehrweg-Plastikfla­schen seien ökologisch sinnvoll. Sie werden immerhin bis zu 25-mal wiederbefü­llt.

Wochenmärk­te sind Sieger der Krise

Für viele andere Produkte bietet der Handel mittlerwei­le praktische Nachfüllpa­cks an. Darunter für Gewürze, Waschpulve­r oder Flüssigsei­fe. Sie kommen häufig nicht nur mit weniger Verpackung­smaterial aus, sondern schonen auch den Geldbeutel. In größeren Städten wie Berlin, Hamburg, Erfurt oder Braunschwe­ig ist es sogar relativ einfach, beinahe verpackung­sfrei einzukaufe­n. Zum Beispiel beim Obst- und Gemüsehänd­ler, in Metzgereie­n, Käsefachge­schäften oder sogenannte­n Unverpackt-Supermärkt­en. Dort können lose Nudeln, Tee und Gewürze aus Keramikkrü­gen und Spendern in mitgebrach­te Behälter abgefüllt werden. Anschließe­nd werden die Lebensmitt­el an der Kasse abgewogen.

Aber auch Wochenmärk­te sind aktuell sehr beliebt – und die gibt es häufig auch in kleineren Städten und ländlichen Regionen. Laut Bitcom Research zählen sie in Sachen Einkaufsve­rhalten sogar zu den Gewinnern der Krise: Immerhin 43 Prozent der Befragten gaben an, aktuell vermehrt auf Märkten einzukaufe­n. Die dort angebotene­n Lebensmitt­el sind gewöhnlich weniger stark verpackt als ihre Pendants aus dem Supermarkt.

„Mehr Müll landet in falschen Tonnen, was das Recycling erschwert.“Bernhard Schodrowsk­i, Bundesverb­and der Deutschen Entsorgung­s-, Wasser- und Rohstoffwi­rtschaft

 ?? F.: R. MICHAEL/DPA ?? Seit Beginn der Corona-Krise produziere­n die Deutschen mehr Hausmüll und trennen ihn schlechter.
F.: R. MICHAEL/DPA Seit Beginn der Corona-Krise produziere­n die Deutschen mehr Hausmüll und trennen ihn schlechter.

Newspapers in German

Newspapers from Germany