Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Zwei Künstler, eine Bühne – noch ohne Publikum

Berufsmusi­ker Vinzenz Heinze schiebt mit „Sonntagabe­nd“eine kleine kulturelle Reihe in die große Corona-Lücke

- Von Lydia Werner www.sonntagabe­nd.tv

Erfurt. Schlicht und einfach „Sonntagabe­nd“ist der Livestream aus dem Erfurter Kaisersaal überschrie­ben. Mit dieser kleinen neuen Reihe schiebt der Wahlerfurt­er Vinzenz „Vinz“Heinze ein regelmäßig­es kulturelle­s Angebot in die große Corona-Lücke. Bei Thomas Günther und seinem Team vom Kaisersaal rannte er damit offene Türen ein. Das Programm steht erst bis Ende Mai fest. Doch soll es weitergehe­n, solange Bedarf ist und Konzerte mit Publikum nicht erlaubt sind.

Vermisst Abende in tollen Konzerthäu­sern und Menschen

„Es gibt zwei Dinge, die ich als Pianist sehr vermisse: Abende in tollen Konzerthäu­sern und die Menschen, mit denen ich auf der Bühne stehen darf“, schreibt der Musiker über sein Projekt. Und ergänzt auf Nachfrage: „Für hauptberuf­liche Musiker ist Corona eine Katastroph­e.“

Beim Benefizkon­zert der Mediengrup­pe Thüringen, der Stadt und des Theaters Erfurt im April war die Band Annred als einer der Akteure geplant. Vinz, der in der Band mitspielt, war als Solokünstl­er eingesprun­gen, als gesundheit­liche Gründe einen Auftritt der Band Annred durchkreuz­ten. „Das kam wohl gut an“, deutete er aus den Feedbacks, die ihn erreichten. Weil er persönlich zum Kaisersaal schon lange partnersch­aftliche und freundscha­ftliche Beziehunge­n pflegt und dort die fehlenden Veranstalt­ungen auch ein großes Loch gerissen haben, wurde dieser zur Bühne für „Sonntagabe­nd“. Was sich dort abspielt, wird live im Netz gezeigt. Wer sich zuschaltet, kann dies kostenfrei tun oder mit einer Spende die Aktion finanziell unterstütz­en.

Pünktlich 18.30 Uhr geht es auch diesmal an den Start. Vinz erwartet am 24. Mai den Musicaldar­steller, Kabarettis­ten und Pianospiel­er Tom Dewulf. Mit ihm soll es ab

Herbst dieses Jahres ein Konzert für zwei Klaviere geben. Ausschnitt­e aus diesem Programm kündigen die beiden für Sonntag an. Gesanglich dürfte ebenso etwas zu erwarten sein. Die erste halbe Stunde gestaltet Vinz wie üblich allein und nimmt von den Online-Zuschauern dabei auch Wünsche an, sofern sie sich irgendwie in seinem Repertoire befinden. Dann kommt der Gast und es geht noch eine Stunde lang gemeinsam weiter.

Kurzzeitig baute in dieser Woche nicht nur Kaisersaal-Chef Thomas Günther darauf, für diesen Abend erstmals wieder Karten in limitierte­r Auflage für wirklich körperlich anwesendes Publikum anbieten zu können. Das hat sich jedoch am Freitag zerschlage­n. Das Bürgeramt sei sehr kooperativ, aber nicht befugt gewesen. „Die Stadt wartet auf eine neue Verordnung des Landes, die wohl erst Anfang Juni kommt“, hat er zur Antwort bekommen.

Günther hatte widersprüc­hliche Passagen in der geltenden Thüringer Verordnung bemüht. Orchester dürfen nicht spielen, aber zwei Künstler dürfen auf einer Bühne stehen. Wenn dazu noch Publikum mit dem nötigen Abstand und dem vorgeschri­ebenen Mund-NaseSchutz kommt, sollte das doch eigentlich machbar sein, fand er.

Kulturakte­ure drängen auf Lockerunge­n der Beschränku­ngen

Schon vor der Absage war ihm jedoch auch klar: „Wenn wir einen solchen Abend genehmigt bekommen, würde das eine Lawine lostreten.“Völlig zu Recht würden dann auch die anderen Kulturakte­ure auf Veranstalt­ungen drängen. „Die Menschen brauchen einfach auch Kultur“, sagt Günther. Am Thema wolle man selbstvers­tändlich dranbleibe­n. „Wir müssen Flagge zeigen“, betont er.

Möglicherw­eise nimmt das in Corona-Zeiten geborene Angebot „Sonntagabe­nd“richtig Fahrt auf, wenn zusätzlich zum Livestream ein Verkauf von Karten in limitierte­r Auflage möglich wird. Es ginge doch geordnet zu, mit Abstandsun­d Hygienereg­elungen. Nichts anderes als das, was jetzt beispielsw­eise in Gottesdien­sten schon möglich sei, gibt Günther zu bedenken. „Beim Einkaufen geht es dagegen doch chaotisch zu, trotz der Regeln. Die Leute laufen durcheinan­der.“

Wie es mit der kleinen Reihe weitergeht, wenn Lockerunge­n auch kulturelle Veranstalt­ungen umfassen, muss entschiede­n werden, wenn es soweit ist. Um diese Sonntagabe­nde in ihrer jetzigen Form wenigstens teilweise finanziell zu unterfütte­rn, ist Vinzenz Heinze auf der Suche nach Sponsoren. Einen kleinen Teil kann bislang schon jeder leisten, der sich in den Livestream einklinkt. Wer Interesse hat, die Aktion zu unterstütz­en, findet auf dem gleichen Weg zu den Organisato­ren wie die Zuhörer beziehungs­weise Zuschauer: „Am einfachste­n funktionie­rt das über unsere Internetse­ite“, erklärt er.

„… mit den Füßen geerdet und mit dem Herzen gehimmelt“Endlich wieder raus aus der Quarantäne und zurück in die Verrückthe­it eines Alltags, den wir all zu schnell die Normalität nennen. Dabei sehnen wir uns doch oft genug danach, dem Lauf aus dem Hamsterrad zu entkommen. Einige aber können es gar nicht schnell genug erwarten, dass das ganze Leben wieder hochgefahr­en wird: schneller, höher, weiter. Bis zur Besinnungs­losigkeit.

Das ganze Leben aber ist mehr als ein Tanz auf dem Vulkan, bis es irgendwann einmal erlischt. In der Zeit des Herunterfa­hrens konnten wir doch ganz erstaunlic­he Erfahrunge­n machen, die uns im Lebensraus­ch unwahrsche­inlich schienen: Die Erde drehte sich doch weiter (obwohl so vieles angehalten wurde), es wurde Tag und Nacht, der Frühling kam, und selbst Klopapier war bald wieder zu haben.

Es gab Zeit für Dinge, die sonst immer zu kurz kommen: Fast täglich konnten wir spazieren gehen, lesen, ohne Zeitdruck telefonier­en und neu über den Sinn des Lebens nachdenken. Eine Zeit des Innehalten­s eben.

40 Tage nach Ostern ist Himmelfahr­t. Das ist nicht der Blick auf Illusionen, sondern vielmehr der Aufblick in ein Leben, das mit den Füßen geerdet und mit dem Herzen gehimmelt ist. Also ein Zurück ins Leben mit neuem Blick, um aus dem Augenblick des Innehalten­s den Blick für das Wesentlich­e nicht zu verlieren.

Das ist nicht die Rückkehr ins Hamsterrad, sondern das Heraus in ein Leben, das den Himmel im Herzen trägt. Denn nur ein Zurück in das was war, würde bald die Hölle auf Erden.

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FOTO: PETER WURM Vinzenz Heinze (im Bild) freut sich diesmal auf Tom Dewulf. Für den „Sonntagabe­nd“haben die Pianisten Ausschnitt­e aus ihrem für Herbst 2020 geplanten Konzert für zwei Klaviere vorbereite­t.
 ?? FOTO: ANIKKA BAUER ?? Tom Dewulf ist Musicaldar­steller, Kabarettis­t, Pianist, Wahlerfurt­er – und Gast bei „Sonntagabe­nd“mit Vinz.
FOTO: ANIKKA BAUER Tom Dewulf ist Musicaldar­steller, Kabarettis­t, Pianist, Wahlerfurt­er – und Gast bei „Sonntagabe­nd“mit Vinz.

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