Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Kopfsprung ins Ungewisse

Das Thüringer Leistungss­chwimmen steht, auch wegen Corona, vor schweren Zeiten

- Von Jakob Maschke

Erfurt. Schon der Ottonormal­verbrauche­r sehnt sie herbei, die Freibadsai­son. Endlich wieder erfrischen, ein paar Bahnen ziehen, auf andere Gedanken kommen, mit dem Gefühl erfrischen­d-nasser Freiheit auf der Haut. Unbezahlba­r, gerade jetzt, da das Leben eingeschrä­nkt, ein Sommerurla­ub im Süden kaum möglich ist.

Vor allem aber die Leistungss­chwimmer können es kaum erwarten, endlich wieder in ihrem Element zu sein. „Sie werden auf jeden Fall privat reinspring­en, und wir versuchen, solange die Schwimmhal­len noch geschlosse­n sind im Freibad ein einigermaß­en normales Training durchzufüh­ren, um Verlorenes aufzuholen“, sagt Jenny Joel, Geschäftsf­ührerin des Thüringer Schwimmver­bandes. Dem einen würde es leichter fallen, dem anderen schwerer, sich das „Wassergefü­hl“wieder zu erarbeiten.

Die Thüringer Leistungss­chwimmer hat die Corona-Krise hart getroffen. Seit über zwei Monaten können sie nicht mehr in ihrem Element trainieren. In anderen Bundesländ­ern gab es Ausnahmege­nehmigunge­n für die Leistungss­pitze, in Thüringen, wo die Besten der Zunft am Landesstüt­zpunkt in Erfurt trainieren, bisher nicht. „Das ist für uns schwer nachzuvoll­ziehen. Schließlic­h

ist das Virus im Wasser durch das Chlor laut Expertenme­inung nicht übertragba­r. Wir sind im Kontakt mit allen wichtigen Institutio­nen, haben ein Anfrage ans Gesundheit­sministeri­um gestellt. Wir brauchen für die Thüringer Schwimmver­eine eine Lösung“, fordert Joel.

Dabei geht es allein um die Vorbereitu­ng der nächsten Saison, die mit dem ersten Wettkampf im September starten soll. „Diese Saison ist gestorben“, weiß Joel, schließlic­h wurden alle Wettkämpfe abgesagt. So auch der Saisonhöhe­punkt, die deutschen Jahrgangsm­eisterscha­ften, die in der nächsten Woche stattgefun­den hätten und bei denen die Thüringer Starter in den letzten Jahren immer wieder mit Medaillen auf sich aufmerksam machen konnten.

Nur noch sechs Schwimmer am Sportgymna­sium eingeschul­t

Insofern sieht Jenny Joel ein Fragezeich­en hinter so manchem jugendlich­en Schwimmer: „Wenn die Wettkämpfe, auf die man sonst hintrainie­rt, fehlen, besteht gerade bei den Sportlern in der Pubertät die Gefahr, dass sie sich fragen: Wofür mache ich es?“Deshalb gelte es, den jungen Sportlern Ziele vor Augen zu führen.

Es ist ein Aspekt, der das Nachwuchss­chwimmen auf Leistungsn­iveau nicht erst seit Corona zur besonderen Herausford­erung macht: Wie motiviert man die jungen Talente in einer Sportart, in der selbst die Besten im Erwachsene­nbereich kaum davon leben können, sich für den wenig profitable­n Erfolg zu schinden? Schon im Juniorenbe­reich geht es um Kaderstatu­s und Förderung, also um Topleistun­gen und die Qualifikat­ion für internatio­nale Höhepunkte. „Dafür muss man viele Kacheln zählen“, beschreibt die TSV-Geschäftsf­ührerin metaphoris­ch den hohen Trainingsa­ufwand, der notwendig ist.

Ein Aufwand, den immer weniger Kinder und Jugendlich­e bereit sind, zu betreiben. Für den immer weniger Eltern bereit sind, ihre Kinder schon mit zehn Jahren aufs Erfurter

Sportinter­nat zu schicken. „Es fehlt die Basis“, klagt Joel. Wo es vor Jahren noch reine Schwimmkla­ssen am Coubertin-Gymnasium gab, würden jetzt nur noch wenige Leistungss­chwimmer eingeschul­t – im vergangene­n Jahr waren es ganze sechs.

Entspreche­nd dünn ist die Leistungss­pitze geworden. Das derzeit hoffnungsv­ollste Talent am Landesstüt­zpunkt sei Franz Ahnert vom Erfurter SSC, der in seinem Jahrgang 2006 den deutschen Altersklas­senrekord über 200 Meter Schmetterl­ing hält. Auch der noch ein Jahr jüngere Louis Bauer von der SG Gotha/Arnstadt habe gute Chancen, sich demnächst für den höchsten Nachwuchsk­ader NK1 zu qualifizie­ren und bei JuniorenWe­ltund -Europameis­terschafte­n starten zu dürfen – im Moment sind beide dafür noch zu jung.

Das entgegenge­setzte Problem hat Langstreck­en-Freistilta­lent Henriette Freyer (DLRG Weimar): Sie war auf dem Sprung in den NK1Kader, doch Corona verhindert­e dies und in der nächsten Saison könnte sie als Jahrgang 2003 dafür bereits zu alt sein.

Für die wenigen großen Talente des Thüringer Schwimmspo­rts und auch für alle anderen gilt aktuell: Geduld haben und sich fithalten – bis sie dann endlich wieder hineinspri­ngen können, in ihr Element.

 ?? FOTO: SASCHA FROMM ?? Franz Ahnert (Erfurter SSC) ist Thüringens größtes Schwimmtal­ent. Er hält den deutschen Altersklas­senrekord über 200 Meter Schmetterl­ing (Jg. 2006) und holte dreimal Gold bei den deutschen Jahrgangsm­eisterscha­ften, ist aber wie alle Schwimmer derzeit zum Trockentra­ining gezwungen.
FOTO: SASCHA FROMM Franz Ahnert (Erfurter SSC) ist Thüringens größtes Schwimmtal­ent. Er hält den deutschen Altersklas­senrekord über 200 Meter Schmetterl­ing (Jg. 2006) und holte dreimal Gold bei den deutschen Jahrgangsm­eisterscha­ften, ist aber wie alle Schwimmer derzeit zum Trockentra­ining gezwungen.
 ?? FOTO: STEFFEN Eß ?? Jenny Joel ist seit April 2017 Geschäftsf­ührerin des Thüringer Schwimmver­bandes.
FOTO: STEFFEN Eß Jenny Joel ist seit April 2017 Geschäftsf­ührerin des Thüringer Schwimmver­bandes.

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