Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Barock und Bio im Bliesgau
In der Region im Saarland sollen Mensch und Natur in Einklang leben. Floßbauer, Ölmüller, Käsemacher und ein Sternekoch locken in das kleine Biosphärenreservat an der französischen Grenze
Wer kennt die Drummsäge und das Schäleisen?“, fragt Helmut Wolf. Die Gäste des Naturführers schütteln die Köpfe. Doch die Werkzeuge werden sie in den kommenden zwei Tagen kennenlernen. Denn sie wollen unter Wolfs Anleitung Flöße bauen und damit hier am Niederwürzbacher Weiher umherkurven. Dafür müssen Bäume gefällt und die Stämme von Ästen befreit werden. Mit Seilen und Holzschrauben werden sie zusammengefügt. „Für so manch einen Büromenschen ist der Floßbau eine echte Herausforderung“, meint Wolf, der seit fünf Jahren die Kurse im Sommer im Biosphärenreservat Bliesgau im Südosten des Saarlandes anbietet.
Der Bliesgau erstreckt sich entlang des Flusses Blies zwischen den Städten Saarbrücken, St. Ingbert, Homburg und Zweibrücken. Im Jahr 2009 bekam der Bliesgau von der Unesco offiziell den Titel Biosphärenreservat, als eines von
16 Gebieten in Deutschland. In diesen Reservaten gibt es – im Gegensatz zu den streng geschützten Nationalparks – nicht nur unberührte Natur, sondern ein Nebeneinander von bewirtschafteten und bewohnten Zonen und Naturschutzgebieten. „Im Bliesgau haben wir alles auf kleinem Raum, über
100.000 Einwohner leben in den Städten und kleinen Dörfern“, sagt Holger Zeck vom Biosphärenzweckverband Bliesgau.
Fast 1000 Kilometer umfasst das Wander- und Radfahrnetz
Urlauber sollen den Landstrich im Sinne eines sanften Tourismus als Wanderer oder Radler entdecken: Fast 1000 Kilometer umfasst das Netz der markierten Routen. Entlang der Blies verläuft die Radroute auf der stillgelegten Bahnstrecke zu kleinen Orten. Wolfersheim etwa gilt mit seinen behutsam restaurierten Bauernhäusern als besonders schön. Der gefürchtete Massentourismus? Den wollen sie vom Bliesgau fernhalten. Städte und Gemeinden, Kreis und Land, Vereine und
Betriebe arbeiten gemeinsam an der weiteren Entwicklung der Modellregion. Dabei sollen die bedrohte Natur und die Menschen in Einklang gebracht werden. Auf Lebensmittel aus der Region setzt Sternekoch Cliff Hämmerle aus Blieskastel-Webenheim. Er ist oft bei regionalen Erzeugern: Lamm vom Schäfer Ernst in Seelbach, Ziegenfrischkäse vom Neukahlenberger Hof, Leindotteröl der Bliesgauer Ölmühle in Bliesransbach, Wild von den örtlichen Jägern. Und Hämmerle ist nicht allein mit diesem Ansatz: „Immer mehr Restaurants bei uns bieten regionale Gerichte.“
Soledad Lagos ist die Käsemacherin vom Neukahlenberger Hof in Böckweiler. „Mit guten Gedanken und viel Liebe entstehen unsere Käse“, schwärmt die Chilenin. Auf dem Biohof helfen 16 Menschen mit Behinderung. Fünf von ihnen sind bei Soledad Lagos in der
Hofkäserei: Schnitt-, Hart- und Weichkäse, Joghurt und Quark stellen sie her. Von gelebter Inklusion sprechen sie auf dem Wintringer Hof in Kleinblittersdorf: Um die
100 Beschäftigte mit Behinderung arbeiten dort mit in Landwirtschaft und Gartenbau, im Hofladen, Restaurant und Hotel. 70 Rinder,
100 Schweine und unzählige Hühner tummeln sich auf dem Bio-Betrieb der Lebenshilfe Obere Saar.
Erbsig und spargelig im Geschmack ist das Leindotteröl
Als „Pioniere des Leindotteröles“sehen sich die beiden Ölmüller Patric Bies und Jörg Hector, die seit 2007 in ihrer kleinen Ölmühle neben dem Leindotteröl auch Mariendistelöl, Hanföl, Senföl, Walnussöl und Sonnenblumenöl pressen. Vor allem der Leindotter hat es den beiden angetan, wie man beim Besuch ihrer Manufaktur auf Gut Hartungshof in Bliesransbach merkt. „Leindotter ist im Saarland seit Jahrhunderten bekannt, geriet dann aber in Vergessenheit und wird seit 2003/2004 wieder angebaut“, sagt Patric Bies. Erbsig und spargelig sei der Geschmack dieses Öles.
Streuobstwiesen prägen das Bild des sanften Hügellandes. Aus den Früchten der Apfel- und Pflaumenbäume entstehen Säfte und Marmeladen. In der Auenlandschaft der Blies bei Breitfurt haben sich wieder Biber angesiedelt. Und in der Nähe von Gersheim bewundern Blumenfreunde in der Hauptblütezeit, die von Mai bis Anfang Juli geht, knapp die Hälfte aller in Deutschland vorkommenden Orchideenarten - vom Kleinen Knabenkraut über den seltenen Hummel-Ragwurz bis zum Breitblättrigen Stendelwurz. Markierte Wege leiten durch das Naturschutzgebiet.
Siegfried Heß ist in Blieskastel unterwegs. Der pensionierte Lehrer zählt zum Kreis der 25 Natur- und Landschaftsführer, die Besuchern die Schönheiten des Biosphärenreservates näher bringen. „Blieskastel ist unser barockes Kleinod“, erzählt Heß beim Stadtrundgang. 1773 verlegte Reichsgraf Franz Karl von der Leyen seine Residenz von Koblenz nach Blieskastel und ließ im Stile der Zeit bauen, dem Barock. Schon zwei Jahre später verstarb er, doch seine Ehefrau Marianne ließ weiterbauen, etwa am Paradeplatz und an der steilen Schloßbergstrasse. Dort entstanden noble Bauten für die Hofräte. Das Schloss selbst ist verschwunden, 1793 von französischen Revolutionstruppen zerstört. Nur die Orangerie mit dem Garten blieb erhalten, ebenso wie die barocke Schlosskirche nebenan. „Blieskastels Prunkstück“, schwärmt Siegfried Heß.
Zurück zu den Floßbauern am Niederwürzbacher Weiher. Wenn sie im Bliesgau schon die Nachhaltigkeit beschwören, wird das nicht davon konterkariert, dass zwanzig Fichten ihr Leben lassen müssen für Flöße, mit denen Urlauber über einen See paddeln wollen? Naturführer Helmut Wolf will kritische Stimmen beruhigen. Für jeden abgeholzten Baum werde ein neuer gepflanzt, verspricht er.