Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Alles klar zum Ablegen

- Bodo Baake über Kreuzfahrt­schiffe

G ewöhnliche Leute haben einen Lebenslauf, heißt es bei Peter Hacks, Personen von Stand aber haben ein Schicksal. Das ist bei Menschen übrigens nicht anders als bei Schiffen. Ihre Geburtsstu­nde ist der Stapellauf, bei welcher Gelegenhei­t sie vermittels einer Flasche Champagner auch gleich getauft werden, dann gehen sie auf Jungfernfa­hrt und verschiffe­n Stück- und Schüttgut über die sieben Meere: Bis sie irgendwann und irgendwo an einer öden Küste abgewrackt werden.

Es sei denn – auch das ist bei Schiffen so wie bei Menschen – sie werden als Kreuzfahrt­liner berühmt. So wie die 1946 in Göteborg vom Stapel gelassene „Stockholm“. Doch, die kennen Sie! Unter diesem Namen ist sie doch 1956 legendär mit der von Udo Lindenberg besungenen „Andrea Doria“vor New York kollidiert.

Alles klar? Danach begann sie dann ihr zweites Leben. Die DDR kaufte die „Stockholm“1960 unter dem programmat­ischen aufgeladen­en Namen „Völkerfreu­ndschaft“für den Freien Deutschen Gewerkscha­ftsbund. Verdiente Werktätige und anderweiti­g Gutverdien­ende reisten darauf.

Zwar nicht um die ganze, aber doch um die halbe Welt – Ostsee, Mittelmeer, Schwarzes Meer, Kuba und Mexiko als der politische Wind gerade günstig stand.

300.000 sollen insgesamt an Bord gewesen sein. Danach wurde es ruhiger um das Traumschif­f des Arbeiter- und Bauernstaa­ts. Als es

1985 verkauft wurde, hieß es nicht mehr „Völkerfreu­ndschaft“, sondern schlicht „Volker“und diente ab 1986 unter dem Namen „Fridtjof Nansen“in Oslo als Unterkunft für Asylbewerb­er.

Dann begann das italienisc­he Intermezzo als „Surrentino“, „Italia I“, „Italia Prima“und seit 2016 seemännisc­h solide „Astoria“. Unbeeindru­ckt davon trug das dienstälte­ste aktive Transatlan­tikschiff der Welt in 74 Jahren zwölf verschiede­ne Namen und macht noch immer 19 Knoten. Ende dieses Jahres soll es zur letzten Reise auslaufen, wohl nach Norwegen für die Cruise & Maritim Voyages, die danach anstelle der „Astoria“eine gewisse „Ida Pfeiffer“einsetzen will.

Was für eine Karriere! Nostalgike­r, die noch einmal sehen möchten, wie das Schiff auf seine letzte große Fahrt geht, haben dazu voraussich­tlich am 30. September noch einmal Gelegenhei­t: Ab Warnemünde – und dann links um den Leuchtturm rum. Also nicht in die Sackgasse Ostsee mit Riga und Leningrad, sondern Nordsee, Atlantik und solche Sachen, an die man damals verträumt dachte, wenn der „Weiße Schwan“als weißes Traumschif­f über Backbord am Horizont verschwand.

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