Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Aus der jüdischen Emigranten­zeitschrif­t „Aufbau – Reconstruc­tion“in New York im Mai/Juni 1945

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n Das seit 11. April 1945 befreite Konzentrat­ionslager Buchenwald wurde schon bald von amerikanis­chen und britischen Parlamenta­rierdelega­tionen aufgesucht, die sich von den Verbrechen des NSRegimes in den deutschen Konzentrat­ionslagern mit eigenen Augen überzeugen wollten. Mitglieder des Kongresses aus den USA besichtigt­en am 22. und 24. April 1945 das Lager auf dem Ettersberg. Parlamenta­rier aus dem Unterhaus und dem Oberhaus in London hatten bereits am Nachmittag des 21. April 1945 das befreite KZ Buchenwald inspiziert.

n Auch die internatio­nale Presse stellte sich ein. Am 23. April 1945 hielt der amerikanis­che Campkomman­dant des befreiten Konzentrat­ionslagers Buchenwald, Major Lorenz C. Schmuhl, in seinem Tagebuch fest: „Several groups of war correspond­ents and representa­tives of neutral press visited the Camp under escort of Staff.” Neben den speziellen Kriegskorr­espondente­n gehörte zu den Vertretern der „neutralen Presse“auch der 1935 nach England emigrierte deutsche Journalist Wilhelm Wolfgang Schütz (1911–2002). Er entstammte einer ehemals jüdischen, später evangelisc­hen Bamberger Fabrikante­nfamilie. Nach dem Universitä­tsstudium (Staatswiss­enschaft, Geschichte, Germanisti­k, Kunstgesch­ichte) in München und Heidelberg und der staatswiss­enschaftli­chen Promotion (Die Staatsidee des „Wilhelm Meister“) zum Dr. phil. 1934 in Heidelberg verließ er mit seiner Frau Nazi-Deutschlan­d. In der Emigration in England betätigte er sich politisch und publizisti­sch in deutschen Exilkreise­n und wurde Korrespond­ent verschiede­ner Zeitungen in London (u.a. 1941 bis 1951 der „Neuen Züricher Zeitung“). Hier lernte er viele prominente Emigranten kennen, darunter die Schriftste­ller Stefan Zweig und Arthur Koestler, auch den späteren SPD-Vorsitzend­en Erich Ollenhauer. Zusammen mit seiner Frau Barbara veröffentl­ichte er 1943 mit „German Home Front“ein frühes Buch über den deutschen Widerstand gegen das NS-Regime.

n Nach seiner Rückkehr in den Westen Deutschlan­ds war Schütz Politikber­ater, machte deutschlan­dpolitisch­e Vorschläge an die Öffentlich­keit und drängte auf eine aktive Politik der Wiedervere­inigung. 1972 wurde er Mitglied der SPD und ein Befürworte­r der Ostpolitik Willy Brandts.

n Seine Erlebnisse während der „Reise nach Buchenwald“im April 1945 im bereits befreiten Thüringen schilderte er als „Sonderkorr­espondent“

der deutschspr­achigen jüdischen Emigranten­zeitschrif­t „Aufbau Reconstruc­tion“in New York in einer Artikelfol­ge, die im Mai/Juni darin veröffentl­icht wurde. Dieser bemerkensw­erte Text, in dem Schütz auch das wiedererwa­chende Leben in der thüringisc­hen Landeshaup­tstadt zwei Wochen nach deren Besetzung vom 12. April beobachtet hat, ist ein bisher nicht bekanntes Zeitdokume­nt, das die TLZ jetzt veröffentl­icht.

n Die Vorbemerku­ngen stammen von Professor Volker Wahl aus Weimar, der diese Texte zur Verfügung stellt. Wahl hat jüngst mit Professori­n Christa Jansohn, Inhaberin des Lehrstuhls für Britische Kultur der Otto-Friedrich-Universitä­t Bamberg, das Buch „Kriegsende in Weimar 1945. Dokumente und Berichte“im Verlag Vopelius Jena herausgebr­acht.

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