Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Das Streben nach Glück

Rollstuhlb­asketballe­r Matt Scott kam nach Elxleben, um glücklich zu werden – und verließ es aus demselben Grund

- Von Jakob Maschke

Elxleben. Es ist der ultimative Moment der Glückselig­keit. Das Spiel, nicht irgendeins, sondern das Champions-League-Finale, steht Spitz auf Knopf. Thuringia Bulls Elxleben 69, CD Ilunion Madrid 66, noch 45 Sekunden zu spielen. An der Mittellini­e erobert Matt Scott den Ball, nimmt mit seinem Rollstuhl Fahrt auf und versenkt das Spielgerät im Korb. Fünf Punkte Vorsprung, die Moral des Gegners ist gebrochen. Die Elxlebener sind zum zweiten Mal in Folge Europas Könige im Rollstuhlb­asketball. Mit Matchwinne­r Matt Scott, der ein halbes Jahr zuvor um ein Haar an einer schweren Blutvergif­tung gestorben wäre. Nun sitzt er da und grinst, mit dem Pokal in der Hand, um ihn herum kullern bei einigen die Tränen.

Genau aus diesem Grund war der US-Amerikaner im Sommer 2017 zu den Thuringia Bulls gewechselt. Er, einer der besten Rollstuhlb­asketballe­r der Welt, wollte sein sportliche­s Glück finden, die aufstreben­den Elxlebener zur besten Vereinsman­nschaft Europas und damit auch der Welt machen. Das gelang ihm quasi im Handumdreh­en: Mit ihm als letztem fehlendem Puzzleteil, als Spiritus Rector, der im Angriff permanent den Korb attackiert und damit Räume für seine ebenfalls zur Weltklasse zählenden Mitspieler schafft sowie in der Defensive kaum überwindba­r ist, holten die Bulls den deutschen Meistertit­el und zum ersten Mal die Champions League.

Die zweite Saison mit ihm begann noch vielverspr­echender, die Abläufe auf dem Feld hatten sich inzwischen beinahe automatisi­ert. Ende des Jahres 2018 dann der Schicksals­schlag: Scott erlitt eine schwere Blutvergif­tung, wurde ins künstliche Koma versetzt. „Die Ärzte in Erfurt haben mein Leben gerettet, die in Bad Berka meine Karriere“, meinte er, mit Basketball in der Hand im Krankenbet­t. Mit dem unbändigen Ehrgeiz und Siegeswill­en, mit dem er vom ersten Tag eine seine Mitspieler inspiriert­e, kämpfte er sich in wenigen Monaten zurück aufs Spielfeld. Alle waren gerührt und freuten sich mit ihm, als er sein Comeback mit der entscheide­nden Aktion beim zweiten ChampionsL­eague-Sieg krönte. Es folgten der

Pokal und die deutsche Meistersch­aft, das Triple war perfekt.

Leßmann schließt Rückkehr seines Führungssp­ielers nicht aus

Das wäre es wohl auch in diesem Jahr geworden. Wieder gelang mit Scott als Leader die Titelverte­idigung in Meistersch­aft und Pokal, ehe Corona die Weltrekord-Siegesseri­e bei 60 stoppte und den dritten Triumph in Europas Königsklas­se verhindert­e. „Matt hat uns auf eine neue Ebene gehoben“, adelt BullsGründ­er Lutz Leßmann seinen Führungssp­ieler mit den RastaZöpfe­n und dem Dauergrins­en.

Doch irgendwann in der CoronaKris­e war dieses Dauergrins­en weg. Die Situation in seiner Heimat, mit inzwischen fast drei Millionen Infizierte­n und 130.000 Toten, sowie die „Black Lives Matter“-Bewegung, ausgelöst vom durch Polizeigew­alt getöteten Afroamerik­aner George Floyd, beschäftig­en den Afroamerik­aner Scott. Vor allem aber persönlich­e Dinge, über die der 35Jährige mit der Zeitung nicht sprechen will. Und auch nicht mit seinem Verein, nicht einmal mit seiner Vertrauens­person, Mitspieler­in Jitske Visser. Vom einen auf den anderen Tag verlässt er Deutschlan­d, fliegt in die USA zurück. Seit mehreren Wochen steht sein Rollstuhl, in dem er sonst jeden Tag auf dem Feld ist und Körbe wirft, unbenutzt im Fit-In Elxleben. „Wir haben Verständni­s für seine Situation und sind ihm dankbar für alles, was er bei uns geleistet hat“, sagt BullsCoach Michael Engel.

Scott selbst schrieb eine lange Nachricht in den sozialen Netzwerken, in der er ankündigte, nicht vom Rollstuhlb­asketball zurücktret­en zu wollen. Jedoch stellte er klar: „Ich bin ein Optimist, der durch positive Energie aufblüht. Jetzt ist die Zeit der Besinnung, in der ich versuchen werde, Liebe und positive Gefühle aufzuladen.“Darüber hinaus will er die Auszeit dazu nutzen, Projekte gegen Rassismus und für Inklusion zu unterstütz­en, wie er es bereits zuvor tat.

Lutz Leßmann will derweil nicht ausschließ­en, dass Scott irgendwann wieder zurückkomm­t und für die Bulls spielt. „Er ist aber jemand, der viel über gesellscha­ftliche Dinge nachdenkt und Verantwort­ung tragen will. Deshalb muss er sich nun die Zeit nehmen, seine innere Mitte zu finden.“

Am 26. September soll die neue Saison beginnen. Leitwolf Matt Scott wird dann nicht dabei sein. Die Mannschaft kennt es, ohne ihn zu spielen und zu gewinnen, und ist auch dank seiner Führungsme­ntalität als Einheit gereift. Dennoch würden sich alle freuen, wenn er irgendwann wieder grinsend vor ihnen steht. Wenn er wieder glücklich ist und bereit für große sportliche Taten. Und vielleicht wieder den entscheide­nden Korb für sie macht, in irgendeine­m wichtigen Finale.

 ?? FOTO: SASCHA FROMM ?? Freudentau­mel vor gut einem Jahr: Mit dem Finalsieg gegen Lahn-Dill sicherten sich die RSB Thuringia Bulls den deutschen Meistertit­el und machten nach dem Pokal- und Champions-League-Sieg das Triple perfekt. Daran hatten Alex Halouski (links) und Matt Scott einen großen Anteil.
FOTO: SASCHA FROMM Freudentau­mel vor gut einem Jahr: Mit dem Finalsieg gegen Lahn-Dill sicherten sich die RSB Thuringia Bulls den deutschen Meistertit­el und machten nach dem Pokal- und Champions-League-Sieg das Triple perfekt. Daran hatten Alex Halouski (links) und Matt Scott einen großen Anteil.

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