Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Treiber und Getriebene in der FDJ
Jugendorganisation erhob 40 Jahre den Alleinvertretungsanspruch. 1989/90 liefen die Mitglieder davon. Das Wiederauftreten erinnert an alte Verletzungen
Weimar. Die FDJ war allgegenwärtig zu DDR-Zeiten. Einer, der sich mit ihr befasst hat, ist Marc-Dietrich Ohse, der jetzt Hannover lebt. Er ist Jahrgang 1966, stammt aus einem Pfarrhaus im Norden der DDR und war nie in der FDJ. Auch zur Jugendweihe ging er nicht. 1989 begann er in Leipzig Theologie zu studieren, schwenkte später auf Geschichte um. Seine Dissertation ist unter dem Titel „Jugend nach dem Mauerbau, Anpassung, Protest und Eigensinn (DDR 1961 bis 1974)“im Ch. Links Verlag erschienen.
Ohse kann gut nachvollziehen, warum das Wiedererscheinen der FDJ wie jetzt in Jena einen Teil der
Leser erbost. Er verweist auf das massive Auftreten von FDJlern in den 1960ern etwa bei der Ochsenkopf-Kampagne, bei der es darum ging, gen Westen ausgerichtete Antennen abzuschrauben. Bereits in den 1950er Jahren gingen FDJler handgreiflich gegen Mitglieder der Jungen Gemeinde vor. Zudem erinnert er an Haarschneideaktionen etwa in Pößneck, wo FDJ und Polizei brutal gegen Langhaarige vorging. „Solche Kampagnen müssen im Rückblick als handfeste Übergriffe und als massive Repressalien betrachtet werden.“
Der Aktenbestand zur FDJ sei relativ dürftig. „Man findet über sie oft mehr in den Unterlagen der SED. Das erklärt auch schon ihre Rolle“, sagt Ohse. Die Freie Deutsche Jugend zählt wie der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) oder die Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) zu den „zielgruppenorientierten Vorfeldorganisationen der SED“. Ihre Aufgabe? „Die SEDPolitik in den entsprechenden Zielgruppen zu vermitteln und durchzusetzen.“Die Jugendorganisation war aber auch Treiber der SED-Politik. Ein Beispiel: die Herabsetzung der Volljährigkeit in der DDR auf 18 Jahre bereits 1950; in der Bundesrepublik galt das erst 1975. „Grundsätzlich entschied die FDJ-Mitgliedschaft mit 14 Jahren über Bildungschancen in der DDR. Wer nicht Mitglied war, riskierte, bestimmte Bildungschancen erst gar nicht eröff– net zu bekommen“, sagt Ohse mit Blick auf die Zulassung zur EOS und zum Hochschulstudium. „Und gerade an den Hochschulen spielte die FDJ eine zentrale Rolle – auch wenn es um Reglementierungen ging.“Die offiziellen Bilder der FDJ zeigten begeisterte Massen. Ohse aber weiß, dass vielen Mitgliedern das Blauhemd peinlich war. „Es wurde getragen, weil man es musste am besten drunter“, sagt er. „Es mag einen kleinen überzeugten Jungkommunistenteil gegeben haben“, schätzt er ein – die meisten seien dabei gewesen, weil das üblich war oder weil sie keine Nachteile haben wollten.
Die FDJ war Träger der Jugendkultureinrichtungen – also zuständig für Jugendklubs und Jugendkulturhäuser. Einzelne FDJ-Funktionäre nahmen sich Freiheiten heraus, wenn es darum ging, literarische oder musikalische Zirkel zu ermöglichen. Ohse verweist auf „Rennsteigbeat“von Peter Wurschi, der in Thüringen Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ist. Wurschi befasst sich in dieser Studie mit „jugendlichen Subkulturen im Thüringer Raum 1952 – 1989“. „Die SED war die Weisungsgeberin für die FDJ“, sagt Ohse. Ihr Ende war 1989/90 schnell besiegelt: Sie verlor quasi über Nacht an Bedeutung; dabei hatte sie seinerzeit 2,3 Millionen Mitglieder und 7500 hauptamtliche Mitarbeiter gehabt. „Jugendliche verließen in Scharen die FDJ.“
Zur Volkskammerwahl am 18. März 1990 trat sie als Listenvereinigung an – ohne Erfolg. Die sich zur PDS wandelnde SED betrachtete die FDJ nicht als ihre Jugendorganisation. Damit endete dieser Teil der Geschichte – und wird aktuell deshalb wieder interessant, weil in Jena nun schon zum zweiten Mal FDJAktivisten auftreten.