Thüringische Landeszeitung (Erfurt)
Impfstoff - Hoffnung aus Deutschland
Die Unternehmen Curevac und Biontech nehmen im Wettlauf gegen die Pandemie eine Sonderstellung ein
Berlin. Es gibt Hoffnung an der Corona-Front: Pharmafirmen und Biotech-Start-ups kommen bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen
Sars-CoV-2 voran. Am Freitag gab die EU-Kommission grünes Licht für die Zulassung des Wirkstoffs Remdesivir. Es ist das erste Mittel, das zur Therapie von Covid-19 in Europa zugelassen wird. „Die heutige Zulassung eines ersten Medikaments zur Behandlung von Covid19 ist ein wichtiger Fortschritt im Kampf gegen das Virus“, erklärte Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Eine internationale Studie mit über 1000 Teilnehmern hatte Ende April gezeigt, dass Remdesivir bei Covid-19-Patienten die Zeit bis zu einer Genesung im Schnitt um vier Tage verkürzen kann – von
15 auf elf Tage. Damit ist es ein Lichtblick – aber kein Allheilmittel. Und es könnte für die EU teuer werden.
Denn die US-Regierung verkündete erst in dieser Woche, dass sie eine Vereinbarung mit dem US-Hersteller Gilead Sciences getroffen habe, wonach sie praktisch die gesamte Produktionsmenge des Mittels für die nächsten Monate aufgekauft hat. Allerdings hat Deutschland bereits Vorräte angelegt. Und auch die EU-Kommission verhandelt mit dem Hersteller, um sich Mengen des Wirkstoffs zu sichern.
Die Hoffnungen ruhen aber nicht alleine auf Remdesivir. Von mehreren der weltweit 14 Impfstoffkandidaten, die Forscher bereits an Menschen ausprobieren, sind bereits erste positive Resultate zu hören. So hat ein Wirkstoff der großen chinesischen Firma Sinopharm ebenfalls zuverlässig zur Bildung von Antikörpern geführt, wie das Unternehmen in der vergangenen Woche mitgeteilt hat. Die US-Unternehmen Inovio und Moderna sind ebenfalls schon mit Erfolgsnachrichten an die Öffentlichkeit gegangen. Die Universität Oxford in Großbritannien testet ihren Impfstoff bereits an Tausenden von Menschen weltweit. Weitere rund 150 Forschungsprogramme laufen derzeit an.
Curevac und Biontech erzielen erste Erfolge mit Gentechnik
Eine Sonderstellung nehmen drei Unternehmen ein, von denen zwei in Deutschland beheimatet sind. Moderna aus den USA sowie Curevac aus Tübingen und Biontech aus Mainz arbeiten mit einer neuen
Technik und sind auf dem Weg zum Impfstoff besonders weit fortgeschritten. Statt tote oder geschwächte Viren in die Spritze zu packen, um das Immunsystem gegen Sars-CoV-2 aufzustacheln, nutzen sie Gentechnik. Sie haben ein Verfahren entwickelt, um Boten-Erbsubstanz (mRNA) in körpereigene Zellen einzuschleusen. Diese wirken wie ein Herstellungsprogramm für die Zellmaschinerie. Die
Zellen stellen danach einzelne Teile des bösen Virus in großer Menge selbst her. So bekommt das Immunsystem den Feind gezeigt, ohne dass jemals ein echtes Virus beteiligt war.
Da die Spritze nicht den Impfstoff selbst enthält, sondern nur das Programm zu seiner Herstellung, reichen winzige Mengen aus. Die Produktion des Impfstoffs wird gewissermaßen aus der Medikamentenfabrik in die Zellen des Impflings verlagert. Mit einer Badewanne voll Impfstoff lässt sich mindestens die Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen durchimpfen. Die Hersteller haben sich daher bereits optimistisch gezeigt, nach Beginn der Massenproduktion innerhalb weniger Monate eine Milliarde Impfdosen bereitstellen zu können.
Die mRNA-Technik befindet sich erst seit wenigen Jahren in der Erprobung – es gibt noch keinen zugelassenen Impfstoff, der darauf beruht. Außer den drei Marktführern arbeiten zwar noch andere BiotechStart-ups damit, darunter die Firma Baseclick aus München oder Translate Bio aus den USA. Den größten Unterschied macht die Finanzkraft. Moderna, Biontech und Curevac haben reiche Unterstützer. Curevac hat sich im Juni eine Investition in Höhe von 300 Millionen Euro von der Bundesregierung gesichert. Biontech konnte als Großinvestor den Staatsfonds von Singapur gewinnen.
Deutschland gehört mit der starken biomedizinischen Forschung an Universitäten und Unternehmen derzeit generell zu den stärksten Standorten im Kampf gegen Covid-19. Der Verband der forschenden PharmaUnternehmen (VfA) zählt acht wichtige Projekte. Die Mehrheit der Forscher arbeitet dabei an einer herkömmlichen Variante, bei der ein harmloses Virus äußerlich als Sars-CoV-2 verkleidet wird. Daran forscht beispielsweise das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig zusammen mit den Universitäten München, Marburg und Hamburg.
Der Privatsektor liegt jedoch klar vorn. Biontech wird seine Tests vermutlich noch in diesem Monat auf 30.000 Personen ausweiten. Ein so schnelles Vorgehen ist ungewöhnlich, doch das Unternehmen hat sich schon im Februar entschieden, für das „Projekt Lichtgeschwindigkeit“eine andere Gangart anzuschlagen als in der Pharma-Forschung sonst üblich. Die Behörden spielen angesichts der CoronaSchäden für Gesundheit und Wirtschaft mit.
Mediziner Ugur Sahin