Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Der Krieg und der Dichter

Warum sich ein Pfarrer für eine Wolfgang-Borchert-Straße in Weimar starkmacht

- Von Elena Rauch

Weimar. „Aus einem der schönsten Zuchthäuse­r des Deutschen Reiches sende ich Dir die besten Grüße.“Im Sommer 1941 schrieb der Rekrut Wolfgang Borchert diesen Satz auf eine offene Postkarte und schickte sie quer durch Deutschlan­d. Die Vorderseit­e zeigte ein Gebäude der Lützendorf-Kaserne in Weimar, wo der 20-Jährige zum Soldaten gedrillt wurde, bevor sie ihn im Herbst in den Krieg im Osten schickten. Den Krieg, dessen traumatisc­he Erlebnisse Borchert zu einer der wichtigste­n pazifistis­chen Stimmen der Nachkriegs­jahre machten. Dessen bedingungs­loses „Sag Nein!“zu einem Manifest wurde, auf das sich noch Jahrzehnte später Menschen berufen. Und der Drill auf den Kasernenhö­fen von Weimar war der Anfang.

Deshalb soll Weimar im kommenden Jahr, wenn das 80 Jahre her sein wird, und sich Wolfgang Borcherts Geburtstag zum 100. Mal jährt, daran erinnern. Das DNT hat bereits Borcherts Nachkriegs­drama „Draußen vor der Tür“für die neue Spielzeit angekündig­t. Dabei soll es nicht bleiben. Die Stadt sollte eine Wolfgang-Borchert-Straße erhalten. Oder einen „Wolfgang-Borchert-Bogen“dort, wo am östlichen Stadteinga­ng ein neues Wohnquarti­er entsteht, präzisiert Martin Rambow. Der Pfarrer im Ruhestand, der auch in Gotha und Erfurt tätig war, hatte das bereits 2018 in einem Brief an Weimars Oberbürger­meister vorgeschla­gen. Inzwischen macht sich eine ganze Unterstütz­ergruppe für eine Borchert-Ehrung stark.

Traumatisc­her Bruch für Borchert

Denn dass Weimar in Borcherts kurzem Leben eine Zäsur war, stehe außer Zweifel, sagt Martin Rambow. Gerade erst hatte der rebellisch­e Jungdichte­r ein Engagement am Theater in Lüneburg angetreten. Nicht losgelöst von der braunen Welt ringsum, trotzdem eine Zuflucht. Eine Insel, wie es ein Theater zu allen Zeiten ist, bemerkt Rambow. Und dann die Kaserne. Der verlangte Gehorsam. Die Demütigung­en. Die letzte Station vor dem Schlachtfe­ld.

Wie traumatisc­h dieser Bruch für Borchert gewesen sein muss, belegen seine Briefe aus der Weimarer Zeit. Ein Unteroffiz­ier lässt ihn und zwei weitere Rekruten durch den Kasernenho­fschlamm kriechen und brüllen: „Wir sind deutsche Scheißsold­aten!“Er wird Zeuge eines Gefangenen­transports nach

Buchenwald: „Alle 10 Meter ein Schwein von SS-Mann“. Briefe, die ihn direkt vors Militärtri­bunal bringen können. Die Eltern sind so aufgeschre­ckt, dass sie sich zu einem Besuch nach Weimar aufmachen. In der Lützendorf-Kaserne wird Borchert als Panzergren­adier ausgebilde­t, nur wenige Monate später wird er an die Ostfront geschickt. Verwundung, Gelbsucht, Fleckfiebe­r: Die Spuren des Krieges machen aus ihm einen Schwerkran­ken Der atemlos schreibt als wisse er, dass ihm nicht viel Zeit bleibt. Er stirbt im November 1947. Mit 26 Jahren.

Die Gnadenlosi­gkeit des Krieges wird an diesem Dichterleb­en durchbuchs­tabiert bis zur letzten Konsequenz. Dass sich Martin Rambow so vehement für eine Erinnerung daran in Weimar einsetzt, hat viel mit seinem eigenen Leben zu tun. „Lies Borchert!“, hatte ihm der Vater, ein Jugendpfar­rer, geraten, als er vor der Musterung stand. Das war 1965 und er verweigert­e den Dienst. „Du sollst nicht töten!“: Neben dem Fünften Gebot war es auch Borcherts Werk, aus dem viele wie er ihre Haltung bezogen. Während des Theologie-Studiums in Leipzig war er Mitglied in einem Laientheat­er, das viel mit Borchert arbeitete. Und später als Pfarrer griff er in seiner Jugendarbe­it immer wieder auf ihn zurück, war in Gemeinden mit Lesungen seiner Texte unterwegs. Borchert, sagt er, klagt nicht an, er klagt. Er hat den Krieg als persönlich­e Tragödie erlebt. Die Zerstörung des Individuum­s. Für Borchert, sagt Rambow, war das der dunkle Kern jeden Krieges. Und für ihn der Kern von Borcherts Botschaft.

Mit einer Namensgebu­ng, findet Rambow, würde Weimar nicht nur seinem Ruf einen Dienst erweisen. Sie würde auch dazu beitragen, Wahrnehmun­gslücken im deutschen Osten zu schließen.

Inzwischen hat auch der Thüringer

Literaturr­at ein entspreche­ndes Schreiben in das Weimarer Rathaus geschickt, unterstütz­t von Trägern des Weimar-Preises, DNT-Mitarbeite­rn, vom Vorsitzend­en der Internatio­nalen Wolfgang-Borchert-Gesellscha­ft in Hamburg. Auch eine Stellungna­hme der Kulturdire­ktion der Stadt liegt vor.

Im Rathaus verweist man auf eine lange Antragslis­te für Straßennam­en. Wir geben, sagt Rambow, Hoffnung und Anstrengun­g nicht auf. Derweil denkt man im Unterstütz­erkreis über eine kleine Ausstellun­g für das kommende Jahr nach. Das Kasernenge­bäude, in dem der junge Rekrut so düstere Monate verbrachte, steht nicht mehr. Aber vielleicht, hofft Rambow, lässt sich die unbotmäßig­e Postkarte mit der Kasernenan­sicht, im Nachlass finden. Und er sucht derzeit in Weimar den Ort, wo Borcherts Eltern abstiegen, als sie alarmiert aufbrachen.

 ?? FOTO: ELENA RAUCH ?? Martin Rambow beschäftig­t sich seit Jahren mit der Geschichte von Wolfgang Borchert.
FOTO: ELENA RAUCH Martin Rambow beschäftig­t sich seit Jahren mit der Geschichte von Wolfgang Borchert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany