Thüringische Landeszeitung (Erfurt)

Eine gequälte Seele weiß von der anderen

Der Verein „Die Seelentrös­ter“setzt in der Corona-Krise seine tiergestüt­zten Angebote fort und gerät in finanziell­e Not

- Von Sibylle Göbel

Greuda. Luca ist noch gar nicht richtig auf dem Hof, da schnippelt der Neunjährig­e auch schon zusammen mit Rüdiger Pohl Obst und Gemüse für die Kaninchen: Mehr als 30 Langohren tummeln sich im eigens angelegten Kaninchend­orf auf dem Begegnungs­hof Lana in Greuda (Saale-Holzland-Kreis), auf dem Pohl nicht nur lebt, sondern auch als Mitglied des Vereins „Die Seelentrös­ter – Tiere helfen Menschen“tiergestüt­zte Sozialarbe­it leistet. Fast jeden Nachmittag bringt der Erzieher Kinder aus einem Kinderund Jugendheim im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt mit auf den Hof, um mit ihnen zusammen die dort aufgenomme­nen Tiere zu versorgen, ihre Unterkünft­e zu reinigen oder neue zu bauen. Nach einer 14-tägigen Quarantäne, in die sich das Kinderheim zu Beginn der Corona-Pandemie begeben hat, ist das wieder möglich.

Die Kinder, von denen die allermeist­en vor der Aufnahme im Heim traumatisc­he Erfahrunge­n machen mussten, sind mit Begeisteru­ng bei der Sache: Nicht nur, weil es ihnen Spaß macht, sich körperlich zu betätigen und sie das Hämmern, Schrauben oder Rasenmähen lieben. Die Tiere, um die sie sich mit kümmern dürfen und die wiederum teils aus Horrorhalt­ungen stammen, teils extrem schlecht behandelt oder einfach ausgesetzt wurden, akzeptiere­n die Kinder auch ohne jeden Vorbehalt. Als wüsste die eine gequälte Seele von der anderen.

Auf dem „Hof Lana“lernen die Kinder, was es bedeutet, Verantwort­ung für andere Lebewesen zu übernehmen und für sie zu sorgen, was die Kinder wiederum stärkt und ihnen Selbstvert­rauen schenkt. „Sie müssten mal sehen, wie total stolz die Kinder sind, wenn sie mithelfen können und etwas geschafft haben“, erzählt Vereinsche­fin Sabine Eck, die mit ihrer kleinen Familie ebenfalls auf dem Hof lebt und bis zum Beginn ihrer Elternzeit vor einem Jahr Kinder aus stationäre­n Jugendhilf­eeinrichtu­ngen mit den aufgenomme­nen Tieren zusammenbr­achte.

So hätten die Kinder mitgeholfe­n, Vogelhäusc­hen zu bauen und die alte Behausung für zwei Sibirian Huskys abzureißen. Diese Hunde haben auf dem Hof ihren Altersruhe­sitz gefunden, nachdem sie jahrelang im sozialpäda­gogischen Jugendhilf­ezentrum Wolfersdor­f als Therapiebe­gleithunde eingesetzt waren.

Eine Spendenakt­ion, an der sich auch Leser dieser Zeitung beteiligt haben, ermöglicht derzeit den Bau einer wetterfest­en neuen Unterkunft für die beiden betagten Hunde-Damen. Bereits fertiggest­ellt werden konnte dank Spendenmit­teln der Ausbau eines früheren Stallgebäu­des für 32 Chinchilla­s, für deren Volieren die Kinder ebenfalls Schlafhäus­chen sowie Sitzbrettc­hen und Stangen bauten. „Wir beziehen die Kinder in unsere ganz normalen Tätigkeite­n ein“, sagt Sabine Eck. „Sie begleiten uns zu Terminen beim Tierarzt oder auch zu den Familien, die eines unserer Tiere aufnehmen wollen und bei denen wir uns vor Ort die Bedingunge­n für die Tierhaltun­g anschauen.“

Während die Chinchilla­s „reine Beobachtun­gstiere“seien und auch die Kaninchen Kuschelein­heiten entgegen der landläufig­en Meinung im Grunde gar nicht schätzen, sind viele der 20 Hunde, die derzeit auf dem Hof ein Zuhause – oft ist es ihr letztes – gefunden haben, dafür sehr empfänglic­h. Schon oft haben sich beim Gassi gehen, Füttern oder bei der Fellpflege Freundscha­ften zwischen Kindern und Vierbeiner­n entwickelt, fühlten sich Kinder, die sich sonst als Außenseite­r empfinden, zumindest von den Tieren verstanden und getröstet.

Wie aufs Stichwort spazieren Luca und Rüdiger Pohl mit den Huskys Hexe und Luna an der Leine zum Hoftor hinaus und mit ihnen eine große Runde in der Umgebung zu drehen. Luca genießt es, an diesem Nachmittag die ungeteilte Aufmerksam­keit seines Erziehers zu haben, außerhalb des Heims etwas zu unternehme­n, bei dem ihm etwas zugetraut wird. Vereinsche­fin Sabine Eck: „Wir versuchen, möglichst immer eine Einzelbetr­euung hinzubekom­men – natürlich unter Beachtung der Hygienereg­eln.“

Dramatisch gestaltet sich für den rührigen Tierschutz­verein derweil wegen Corona die Einnahmesi­tuation: Infostände, Tierschutz-Seminare – alles fiel monatelang weg. Auch zwei Paten mussten die Segel streichen, weil es für sie selbst finanziell eng wurde. „Und bei einem so kleinen Verein wie unserem greift auch keines der Corona-Soforthilf­eProgramme“, bedauert die Vereinsvor­sitzende. Im Gegenzug galoppiert­en die Kosten für TierarztRe­chnungen, Spezialfut­ter und so weiter regelrecht davon. „Wenn ich die Kosten für Strom und Wasser nicht selbst tragen würde, sähe es noch düsterer aus.“

Dabei sei schon jetzt abzusehen, dass sich so mancher, der sich in der Corona-Krise zum Zeitvertre­ib ein Tier entweder aus dem Tierheim oder von einem Züchter geholt hat, damit inzwischen überforder­t sei und das Tier wieder abgeben wolle – was mehr Arbeit auch für diesen Tierschutz­verein bedeutet. Sabine Eck und die anderen Vereinsmit­glieder freuen sich deshalb über jede noch so kleine finanziell­e Unterstütz­ung, aber auch über helfende Hände: Gudrun und Andrea zum Beispiel, zwei Frauen aus dem Dorf und dem benachbart­en Altenberga, kommen seit einiger Zeit einmal pro Woche, um die Behausunge­n der Chinchilla­s gründlich zu reinigen. „Das ist uns eine große Hilfe“, sagt Sabine Eck.

Doch genauso willkommen wäre ein Gratis-Einsatz etwa von Kleinbagge­rn & Co., um beispielsw­eise das Kaninchend­orf neu zu gestalten oder gebrauchte Geräte für einen Spielplatz aufzubauen. Denn der Verein will sein Angebot ausbauen: als Ort der Begegnung zwischen Menschen und anderen Lebewesen, die dort einen sicheren Lebensplat­z finden.

 ?? FOTO: SIBYLLE GÖBEL ?? Der neunjährig­e Luca aus einem Kinderheim im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt füttert bei der tiergestüt­zten Therapie im Verein „Die Seelentrös­ter – Tiere helfen Menschen“in Greuda die Kaninchen.
FOTO: SIBYLLE GÖBEL Der neunjährig­e Luca aus einem Kinderheim im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt füttert bei der tiergestüt­zten Therapie im Verein „Die Seelentrös­ter – Tiere helfen Menschen“in Greuda die Kaninchen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany